Mittwoch, 11. August 2010

Angekommen in der Postdemokratie

Die Bundeszentrale für Politische Bildung gibt als Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament eine Art Zeitschrift unter dem Titel Aus Politik und Zeitgeschichte heraus. Die Beiträge darin sind in gehobener Wissenschaftssprache gehalten, die Gefahr, dass sie beim Empfängerkreis Aufregung verursachen könnten, ist dementsprechend gering. Aber mitunter ist darin Brisantes zu lesen. So in Heft 2–3/10 in einem Text von Claudia Ritzi und Gary S. Schaal, beide politologisch an der Hamburger Universität der Bundeswehr tätig. Einem Untersuchungskonzept von Colin Crouch folgend beschreiben Ritzi und Schaal, wie sich "politische Führung" in den Staaten des Westens zur "Postdemokratie" hin entwickelt: "Auf der formal-institutionellen Ebene bleiben demokratische Prozeduren erhalten, so dass der Blick von außen, ohne Kenntnis des internen Prozesses, sie für normativ intakt halten würde, das entspricht jedoch nicht der Realität, da sie massiv an Bedeutung für die demokratische Entscheidung verloren haben." Parteipolitik und Wahlkämpfe seien zunehmend von "Inhalten, die später Regierungspolitik programmieren sollen, befreit". Politische Weichenstellungen würden immer mehr von der "Firma" vorgenommen, worunter die Autoren das feste Bündnis von "politischen und ökonomischen Eliten" verstehen. In marktwirtschaftlichen Begriffen gedeutet, handele es sich um einen Schwenk im Politiksystem von der Nachfrage- zur Angebotsorientierung. Die Folge sei, wie Crouch sie schildert, dass "die Bürgerinnnen und Bürger als Demos zwar nicht de jure, aber de facto entmachtet werden". Mit "exit" oder mit "voice" könnten diese dann regieren – indem sie innerlich aus dem Politiksystem in die Politikverdrossenheit auswandern oder indem sie nicht mehr schweigen, sondern sich mit Protest zu Wort melden.

Eine lesenswerte Lagebeschreibung, die da im Fachjargon geliefert wird. "Postdemokratie" als gesellschaftliche Zukunft? Der Begriff verharmlost. "Post" bedeutet, wie der Lateiner weiß, einen Zustand nach dem Ende des vorhergehenden Zustandes. "Postdemokratie" wäre demnach ein politisches Entscheidungssystem, in dem die Demokratie abgeschafft ist, die Verpackung aber die alte bleibt, damit keine Aufregung entsteht.

(Quelle)

Anmerkung: Es ist bewundernswert, eine so hübsche wissenschaftliche Beschreibung des desaströsen Zustandes der demokratischen Welt nun auch in einem Blatt zu lesen, das ausgerechnet von der Bundeszentrale für Politische Bildung - einer staatlichen Institution - herausgegeben wird. Ob das nun ein Versehen war oder nur ein Feigenblatt darstellen soll, weiß man nicht. Allerdings kann man aus diesen schönen wissenschaftlichen Worten auch eines bilden, das die "Postdemokratie" ebenfalls sehr gut charakterisiert: Sie ist nämlich zugleich auch "Präfaschismus".

Besonders gut gefallen hat mir aber die Bezeichnung "das feste Bündnis von 'politischen und ökonomischen Eliten'". Man kann sich auch sehr gewählt ausdrücken, wenn man eigentlich über Lobbyismus, Korruption und Bestechung spricht.

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