Freitag, 24. Dezember 2010

Nochmal über Heitmeyer: Der Hass der Wohlhabenden

Seit 2002 belegt die sogenannte Heitmeyer-Studie auf empirischer Grundlage eine zunehmende "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" im deutschen Durchschnittsbewusstsein. Der neuesten Studie zufolge macht sich nun auch in der sogenannten bürgerlichen beziehungsweise post-bürgerlichen Mitte die Menschenfeindlichkeit auffällig bemerkbar: als ein diffuses Konglomerat aus Ressentiments und dem Wunsch nach Revolte, das sich im Sozialneid von oben ebenso niederschlägt wie im pöbelnden Angriff auf sozial oder als individuell schwächer wahrgenommene Menschen. (...)

In der nunmehr neunten Folge der Untersuchung wurden in diesem Frühsommer 2.000 Personen befragt, wobei diesmal Besser- und Höherverdienende besondere Beachtung fanden. Sie empfinden die gegenwärtige, als "Finanzkrise" wahrgenommene ökonomische Entwicklung als "Bedrohung" für ihren Lebensstandard und reagieren darauf mit einer "aggressiven Stimmung", die sich schließlich – wie die Studie zeigen kann – zum "Syndrom der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" verdichtet. Dieses "Syndrom" bestehe aus zehn Elementen: aus Sexismus, Homophobie, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, der Abwertung von Langzeitarbeitslosen, der Abwertung von Behinderten, der Abwertung von Obdachlosen, Islamfeindlichkeit und der Verteidigung von "Etabliertenvorrechten".

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Anmerkung: Dieses Thema habe ich in den letzten Wochen schon zweimal erwähnt, aber dieser Text aus der Jungle World ist der bislang beste, den ich dazu gefunden habe. Wer sich ein relativ tiefgehendes Bild von den Besorgnis erregenden "Deutschen Zuständen" machen möchte, ohne die ganze Studie zu lesen, sollte sich diesen Artikel zu Gemüte führen.

Die Parallelen dieser Entwicklungen heute zu denen der Weimarer Zeit sind nicht von der Hand zu weisen. Im Text heißt es dazu: "Der ohnehin kursierende Vergleich zur Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre drängt sich anhand der Ergebnisse der Studie auf. Wie die Jahre 1924 bis 1928 bedeuteten auch die Jahre 2003 bis 2008 eine Rückkehr zur 'Normalität'. Dazu gehörte die Restituierung der 'bereits erschütterten Kontinuitätsannahme in der Bevölkerung', nämlich die 'Hoffnung, dass endlich einmal alles so bleiben möge, wie es ist, ein Bedürfnis nach Ruhe, nach stationären Zuständen', wie es Peter Brückner für den Sozialcharakter der Weimarer Republik formulierte." - Was fünf Jahre nach 1928 geschehen ist, ist bekannt. Welche Zukunft wartet wohl auf uns, wenn wir weiter größtenteils tatenlos herumsitzen und abwarten?

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