Montag, 27. Dezember 2010

"Ungarns Regierung schafft die Demokratie ab"

Staatlich kontrollierte Medien, machtlose Verfassungsrichter, eingezogene Renten: Ungarn wird immer unheimlicher. Korrespondent Bernhard Odehnal erklärt, was in dem Land vor sich geht.

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Anmerkung: Es ist zweifellos höchst problematisch, was da gerade in Ungarn geschieht - allerdings sollte man sich schon sehr genau informieren, bevor man sich eine Meinung bildet. Bei den im obigen Interview erwähnten "eingezogenen Renten" handelt es sich nämlich lediglich um eine erneute Verstaatlichung des zuvor privatisierten Rentensystems, was der neoliberalen Bande natürlich ein Dorn im Auge ist, denn so entgeht den privaten Versicherungen viel Profit, während ärmere Rentner davon profitieren.

Besonders peinlich waren viele Reaktionen auf diese Entwicklungen, wie sie z.B. von der tagesschau verbreitet wurden. Einige Kostproben:

  • "Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die ungarische Regierung vor einer Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien im Umgang mit den Medien gewarnt." - Was für eine lächerliche Farce - gerade die Union schert sich einen Teufel um "rechtsstaatliche Prinzipien", egal in welchem Zusammenhang.


  • "Nach Ansicht von Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kann Ungarn ohne eine Rücknahme des Gesetzes den EU-Ratsvorsitz nicht übernehmen. 'Diese fatale Entscheidung muss sofort zurückgenommen werden', sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Ein solcher 'Anschlag auf die Pressefreiheit' sei mit der EU-Ratspräsidentschaft Ungarns unvereinbar. / Trittin forderte die Bundesregierung und vor allem Außenminister Guido Westerwelle zum sofortigen Eingreifen auf. Die Regierung müsse dafür sorgen, dass europäische Grundrechte von keinem Mitgliedstaat unterminiert würden." - Herr Trittin, welchen Unterschied macht es, wenn Medien per Gesetz vom Staat kontrolliert werden (Ungarn) oder aber ganz freiwillig Hofberichterstatter und Propagandaministerium spielen, weil es private Unternehmen sind, deren Besitzer der neoliberalen Religion huldigen und ihren Profit maximieren wollen (Deutschland)? Eine gesetzlich garantierte Pressefreiheit nützt nicht viel, wenn sie von den Massenmedien im Sinne der Wahrheit und Information nicht angewendet wird.


  • "[Luxemburgs Außenminister] Asselborn sagte weiter, Ungarn müsse klargemacht werden, dass das Land nicht die EU-Präsidentschaft übernehmen könne, wenn diese Gesetze in Kraft träten. 'Wenn eine Regierung sich anmaßt zu definieren, was das allgemeine Interesse ist, und das mit einer Behörde kontrolliert, sind wir nicht mehr in einer Demokratie. Das ist hochgefährlich.' - Eine solche Feststellung gerade aus Kreisen der EU-Bürokratie ist eine Lachnummer, wie sie grotesker nicht sein könnte. Die EU ist ein undemokratisches, von Lobbyisten verseuchtes Elitenförderungskonstrukt, das ständig irgendwelche Richtlinien oder Standards erlässt oder festlegt, die für alle EU-Bewohner Geltung haben. Und der FDP-Europaabgeordnete Alexander Alvaro setzt noch einen drauf, wenn er zum Besten gibt: "Die ungarische Regierung müsse sich fragen, ob sie mental überhaupt hinter dem Projekt Europäische Union stehe." - Wer ist es denn, der seit Jahren das "Projekt Europäische Union" torpediert - beispielsweise durch einen immensen Exportüberschuss, durch einen sich immer weiter ausbreitenden Niedrigstlohnsektor und sich abschwächenden Binnenmarkt, durch in den Bankrott getriebene andere Mitgliedsstaaten? Und welche Partei verkündet dieses Hohelied der "freien Märkte" bis heute am lautesten? Richtig: die FDP.


Ganz unabhängig davon, wie man die geplanten Mediengesetze in Ungarn bewertet - ich persönlich halte sie in der Tat auch für skandalös -: Diejenigen, die da laut tagesschau so vehement Kritik daran üben, haben mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und einer wirklichen, echten Pressefreiheit (im Sinne von "frei von Wirtschafts- und Ideologieinteressen") selber nichts am Hut. Wenn es hierzulande eine starke und wirklich kritische Presse gäbe, können wir sicher sein, dass man ähnliche Gesetze auch hier schon längst versucht hätte zu etablieren. Zum Glück der neoliberalen Bande gibt es eine solche kritische Presse dank der besagten "freien Märkte" aber nur noch rudimentär. Und die kann man dann in solchen Momenten als schönes Feigenblatt in die Kameras der Weltöffentlichkeit halten, während zur gleichen Zeit die Propaganda wieder Fahrt aufnimmt.

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