Montag, 30. Mai 2011

Scheinalternativen: Über die Omnipotenz menschlicher Destruktivität

Der Roman "Die steinernen Götter" von Jeanette Winterson belebt das Genre der dystopischen Literatur neu.

Während für das 20. Jahrhundert gerne der Abschied von Utopien konstatiert wurde, mag für das 21.  Jahrhundert das gleiche für Dystopien gelten. Seit die Zivilisationskritik zum Allgemeinplatz geworden ist, die Weltuntergangsszenarien ihren Platz von der Literatur in die Zeitungen verlegt haben und selbst der betulichste Mahner sich kaum mehr traut, im Zusammenhang mit Vorratsdatenspeicherung und der Überwachung des öffentlichen Raums beschwörend "1984!" zu raunen, ist das Genre der negativen Utopie, das seit H.G. Wells' "Die Zeitmaschine" ihrer jeweiligen Gegenwart einen Spiegel vorhält und vor den möglicherweise verdeckten Gefahren des schönen Fortschritts warnt, etwas aus der Mode gekommen. Die Autorin Jeanette Winterson hat sich trotzdem getraut, einen dystopischen Roman zu schreiben, der sich an der Grenze zur Science Fiction bewegt und in drei nur semiotisch verbundenen Episoden beinahe jede Hoffnung der Leser zerstört.

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Anmerkung: Abgesehen davon, dass das Genre der dystopischen Literatur keineswegs erst mit Wells beginnt, möchte ich diese Rezension sowie den in Rede stehenden Roman von Jeanette Winterson jedem Leser sehr ans Herz legen. Anders als der Rezensionist behauptet, warten bei der Lektüre des Romans viele Aha-Erlebnisse inklusive Erkenntnisgewinn auf den Leser, keinesfalls lediglich Hoffnungslosigkeit - denn ein Sinn und Zweck dystopischer Literatur ist es ja gerade, aktuelle Entwicklungen aufzugreifen und deren mögliche oder wahrscheinliche Konsequenzen in der (näheren) Zukunft aufzuzeigen. Das unterscheidet schließlich die Fiktion von der Gegenwart: Es gibt noch immer - trotz aller düsteren Prognosen - die theoretische und auch praktische Möglichkeit, das Ruder herumzureißen und eine andere, bessere Zukunft zu kreieren.

In diesem Zusammenhang sei auch auf weitere dystopische Literatur verwiesen, deren erneute Lektüre sich gerade in unserer heutigen Zeit wieder sehr lohnt, wie beispielsweise den Roman "Kallocain" (1940) von Karin Boye, die Kurzgeschichtensammlung "Spaziergänge am Rande des Abgrunds" (1982) von Alain Dorémieux oder den Erzählband "Der Traum vom Großen Roten Fleck" (1985) von Karlheinz Steinmüller.

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