Donnerstag, 12. Januar 2012

Die Lüge vom Jobwunder

Dieses Plakat hängt an allen großen Bahnhöfen: "Danke, Deutschland", heißt es darauf in großen Lettern. [Warum da gedankt wird], steht gleich darüber: "So viele Menschen in Arbeit wie nie zuvor". Dann folgt noch die Alliteration: "Wirtschaft. Wachstum. Wohlstand." Die Botschaft soll also nach Hause gehämmert werden. (...)

So viele Plakate sind natürlich nicht umsonst zu haben. Rund 330.000 Euro hat die "Danke, Deutschland"-Kampagne gekostet, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. Das ist viel Geld für eine Lüge. (...)

Stattdessen arbeiten mehr Menschen weniger, wie sich zeigt, sobald man nicht auf die Zahl der Erwerbstätigen starrt - sondern auf die geleisteten Arbeitsstunden. Dann stellt sich heraus: Im Jahr 2000 wurden insgesamt 57,7 Milliarden Arbeitsstunden absolviert, 2010 waren es 57,43 Milliarden. Wo ist da der Fortschritt? Es ist etwas übertrieben, dafür zu "danken", dass in zehn Jahren das Arbeitsvolumen leicht geschrumpft ist. (...)

Es ist kein Zufall, dass das Wirtschaftsministerium so dringend behaupten will, dass in Deutschland ein Paradies der Erwerbstätigkeit eröffnet hat. Die "Danke, Deutschland"-Plakate sind Teil einer größeren Erzählung, die da lautet: "Hartz IV" war notwendig. Es war die Rettung der Bundesrepublik, dass damit ein Niedriglohnsektor geschaffen wurde. Ohne die "Agenda 2010" hätte es 2010 niemals so viele Beschäftigte gegeben.

Diese Groß-Erzählung wird nicht nur von der schwarz-gelben Regierung betrieben. Sie ist genauso beliebt bei vielen Sozialdemokraten und Grünen, die ja unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder die Hartz-Reformen erfunden haben. Gegen dieses parteiübergreifende Kartell der Schönfärberei ist schwer anzukommen. Deswegen sei es - noch einmal - gesagt: Nein, Hartz IV hat gar nichts gebracht. Die Zahl der Arbeitsstunden ist nicht gestiegen; es wurde keine neue Beschäftigung geschaffen.

Es war eben schon immer ein Trugschluss zu glauben, man könnte Arbeit erzeugen, indem man den Arbeitsmarkt reformiert. Stattdessen wurden nur die Arbeitnehmer enteignet. Die Hartz-Reformen haben keine Beschäftigung geschaffen, dafür aber die Verhandlungsmacht der Beschäftigten beschnitten.

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Anmerkung: So notwendig und begrüßenswert es auch ist, einen solchen Kommentar in der taz lesen zu können, so unzureichend ist er doch gleichermaßen. Schließlich wird hier wieder nur ein kleiner Teilaspekt des großen Lügengebäudes berührt - der Hartz-Terror hat weitaus dramatischere und grundsätzlichere Konsequenzen, die weit über das hinausgehen, was im Text angesprochen wird.

Als Beispiele seien an dieser Stelle nur die Zwangsverarmung ganzer Bevölkerungsschichten, die Entrechtung, Bevormundung und Schikanierung aller Arbeitslosen und Nicht-Erwerbsfähigen, die Aushebelung des Grundgesetzes (Gebot der Menschenwürde, Verbot der Zwangsarbeit, Gebot der freien Berufswahl, Gebot der freien Wahl des Aufenthaltortes u.v.a.m.) und nicht zuletzt die Inkompetenz der behördlichen Mitarbeiter genannt. Diese Liste ließe sich fast endlos verlängern - aber auch so wird schon deutlich, dass die Lügereien bezüglich des angeblichen "Jobwunders" ein eher kleineres Übel darstellen, das diese Deformierung des Sozialstaates bewirkt hat.

Im letzten Satz weist die Kommentatorin dann doch noch auf einen dieser weiteren Aspekte hin, wenn sie schreibt: "Es schafft keine Arbeit, sondern nur Armut, die Löhne zu drücken." Das ist zwar richtig, geht aber wiederum nicht weit genug - Löhne haben schließlich nur für diejenigen Menschen eine Bedeutung, denen noch ein - wie auch immer gearteter - Arbeitsplatz in diesem System zugute kommt. Die Armut der Arbeitslosen, Kranken, Kinder und Alten scheint da nicht weiter zu interessieren.

Die ganze Perfidie dieser Rösler-Kampagne wird jedenfalls nicht deutlich, wenn man allein den Kommentar liest. Wieso die taz es unterlässt, auf den ganzen kranken Wahnsinn des Hartz-Terrors hinzuweisen und ihn endlich einmal klar zu benennen, ist wohl ebenfalls nur mit der politischen Nähe zu den Grünen erklärbar, die ja - wie es sogar dem Text zu entnehmen ist - maßgeblich an der Entwicklung und Einführung beteiligt waren und bis heute dazu stehen. Darauf weist die Kommentatorin sogar hin - ohne jedoch die entsprechenden Schlüsse zu ziehen und ihre Kritik auszuweiten.

Ich habe das schon oft geschrieben und es wird mit jedem Mal dringlicher: Die gesamten Hartz-Deformationen müssen endlich wieder rückstandslos abgeschafft werden. Es gab kein perfektes, aber zumindest ein halbwegs funktionierendes Sozialsystem in Deutschland, bevor Schröder und Fischer unter tatkräftiger Mitwirkung von Union und FDP es restlos zerstört haben. Dasselbe gilt für das Renten- und das Gesundheitssystem. Wenn sich nicht endlich zumindest auf der angeblich linken Seite diese Erkenntnis durchsetzt, wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, die neoliberalen Zerstörungen der Sozialsysteme endlich zu beenden und umzukehren. Albrecht Müller hat auf den NachDenkSeiten seine Forderungen für eine Wiederherstellung des Rentensystems formuliert, denen ich mich vorbehaltlos anschließe. Dasselbe muss nun auch für die Arbeitslosenversicherung, das Gesundheitssystem und die Sozialhilfe erfolgen.

Liebe taz, liebe Frau Herrmann - es wäre u.a. Eure Aufgabe, diese Themen endlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken.

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