Samstag, 14. Juli 2012

30 Millionen Kinder aus reichen Ländern leben in Armut


Rund 30 Millionen Kinder wachsen in den 35 reichsten Staaten der Welt in relativer Armut auf, fast 1,2 Millionen dieser Mädchen und Jungen leben in Deutschland. Ungefähr ebenso viele Kinder in Deutschland entbehren notwendige Dinge wie regelmäßige Mahlzeiten oder Bücher. Dies sind Ergebnisse der neuen UNICEF-Studie "Kinderarmut messen – Neue Ranglisten der Kinderarmut in den reichen Ländern der Welt".

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Anmerkung: Dieses erschütternde Ergebnis des kapitalistischen Systems kann noch getoppt werden: Die Bundesregierung selbst nennt in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke eine noch besorgniserregendere Zahl - bezogen auf alle Altersgruppen und nur auf die EU: "2010 seien es rund 80,9 Millionen [armutsgefährdete Personen in der EU] gewesen." - Das ist mehr als die gesamte Einwohnerzahl Deutschlands.

Es wird mir immer unbegreiflicher, wieso ein System, das immer wieder solche katastrophalen Fehlentwicklungen zur Folge hat, nicht einmal ansatzweise in Frage gestellt wird. Die Bilanzen dürften sich in Kürze noch drastisch verschlimmern - erfasst sind bislang ja ohnehin nur Zahlen bis 2010. Die aktuellen Entwicklungen in Griechenland, Spanien und vielen anderen Ländern, in denen die Obdachlosigkeit genauso stark zunimmt wie die Selbstmordrate, werden ein noch grauenhafteres Bild von dieser kapitalistischen Welt zeichnen.

An die vielen, vielen Millionen Menschen, die in weniger privilegierten, noch stärker ausgebeuteten Teilen der Welt in bitterster Armut leben und sterben müssen, damit die wenigen Superreichen weiter ihre überquellenden Geldspeicher auffüllen können, muss ich in diesem Zusammenhang auch wieder erinnern. Sicherlich ist es ein bodenloser Skandal, dass Menschen in reichen Ländern massenweise zur Armut verdammt werden - das ändert aber nichts daran, dass das kapitalistische System weitaus mehr arme Länder produziert, in denen unsereiner kaum überleben könnte. Die Ursache für beide Phänomene ist dieselbe. Und sie ist seit langem bekannt - wird aber einfach nicht thematisiert.

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Der Volkswirt


"Über eine Milliarde Mark wird täglich fürs Essen hinausgeworfen. Wie nützlich könnte man dieses Geld verwenden!"

(Lithografie von Paul Schondorff [1880-?], in "Simplicissimus", Heft 3 vom 20.04.1925)

Donnerstag, 12. Juli 2012

Zitat des Tages: Weltuntergang


Verhangene Türme geistern durch die Nacht.
Die Berge zittern. Inseln frisst das Meer.
Die Wolken dröhnen, schreckhaft hohl und leer,
Und übers Land zieht eine Furienjagd.

Die Menschen rotten sich zuhauf.
Ins Irre schießt ein rasender Komet.
- Eh sich der Globus einmal dreht,
Sind Mensch und Tier - Glut, Flamme, Staub.

(Herbert Schildknecht [1892-1970], in "Simplicissimus", Heft 4 vom 27.04.1925)

"Deutschland geht es gut": Prost Armut!


Deutschland ist europäischer Spitzenreiter bei der Ausbreitung von Armut. Im Zeitraum zwischen 2004 und 2009 sind in keinem anderen EU-Staat die existentiellen Nöte bei Erwerbstätigen und Arbeitslosen rascher gewachsen als hierzulande. So lautet das Ergebnis einer Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, über die in der aktuellen Ausgabe der Verbandszeitschrift Impuls berichtet wird. Für den Sozialwissenschaftler Eric Seils ist die Entwicklung ursächlich verbunden mit der Einführung der Hartz-IV-Gesetzgebung, die seinerzeit im Rahmen der "Agenda 2010" von der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder (SPD) ins Werk gesetzt wurde. Seither hat sich vor allem die Lage der Erwerbslosen drastisch verschlechtert: Von ihnen lebten vor drei Jahren fast drei Viertel unterhalb der Armutsgrenze.

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Anmerkung: Angesichts solcher Meldungen - die selbstverständlich in den etablierten Propagandamedien keine Beachtung finden - möchte man der Merkel ihr "Deutschland geht es gut"-Märchen links und rechts schallend um die Ohren hauen. Sie verarmen das ganze Land und sind dabei sogar noch "europäischer Spitzenreiter", während eine kleine Minderheit weiterhin obszönen Superreichtum anhäuft, dessen Ausmaße man inzwischen nur noch als vollkommen grotesk bezeichnen kann. Wolfgang Schreyer Hat es erst kürzlich im Ossietzky ausgerechnet: Jeder einzelne Clan dieser schmierigen "Elite" wird kontinuierlich jeden Tag um 585.000 Euro reicher. Jeden einzelnen Tag.

Inzwischen kommen sogar schon kapitalistische, erzkonservative Kreise auf die naheliegende Idee, diesen Superreichtum ein wenig zugunsten der Allgemeinheit umzuverteilen: "Reiche sollen zahlen". meint das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Aber unsere Genies in Berlin kontern sogleich: "Bei Wirtschaftspolitikern von Union und FDP stieß der DIW-Vorschlag auf Ablehnung. Das DIW habe 'ganz tief in die rote Mottenkiste gegriffen', kritisierte FDP-Fraktionsvize Volker Wissing. Der Sprecher des CSU-Wirtschaftsflügels, Hans Michelbach, sagte zu Handelsblatt Online, 'Hauptleidtragende' dieses Schuldenmodells [sei] die Mittelschicht. Er nannte die DIW-Idee einen 'Sommerlochwiedergänger'."

Was soll man dazu noch sagen? Sie zerstören seit über einem Jahrzehnt die viel beschworene Mittelschicht und beschwören sie einfach munter weiter, wenn Superreiche - und nicht etwa besagte Mittelschicht - endlich zur Kasse gebeten werden sollen. Das ist kein "Sommerlochwiedergänger" - das ist der "Großangriff der Zombies"!

Und selbstverständlich folgen auch die aktuelle deutsche Politik und die strippenziehende "Elite" in der stets wiederkehrenden Endzeit des Kapitalismus allzu bekannten ausgetretenen Pfaden.

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Entfettung


"Hier haben Sie eine Mark - und nun verraten Sie mir aber auch, wie Sie es angefangen haben, so schlank zu werden!"

(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 21 vom 24.08.1925)

Montag, 9. Juli 2012

"Song" des Tages: Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei


In Ermanglung einer anderen Quelle könnt Ihr Euch diese großartige Vertonung eines Textes von Jean Paul auf dieser Seite anhören (auf das orangefarbene Abspielsymbol klicken) und/oder herunterladen (auf "Download" darüber klicken).

(Oskar Sala: "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei", aus dem Album "My Fascinating Instrument", 1990 - Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1986.)



Ich lag einmal an einem Sommerabende vor der Sonne auf einem Berge und entschlief. Da träumte mir, ich erwachte auf einem Gottesacker. Die abrollenden Räder der Turmuhr hatten mich erweckt. Alle Gräber waren aufgetan, und die eisernen Türen des Gebeinhauses gingen unter unsichtbaren Händen auf und zu. An den Mauern flogen Schatten, die niemand warf, und andere Schatten gingen aufrecht in der bloßen Luft. Am Himmel hing ein grauer schwüler Nebel, den ein Riesenschatten immer näher, enger und heißer herein zog. Über mir hörte ich den fernen Fall der Lawinen, unter mir den ersten Tritt eines unermesslichen Erdbebens. Die Kirche schwankte auf und nieder. Zuweilen hüpfte an ihren Fenstern ein grauer Schimmer hinan, und unter dem Schimmer lief das Blei und Eisen zerschmolzen nieder. Ich ging durch unbekannte Schatten, denen alte Jahrhunderte aufgedrückt waren. - Alle Schatten standen um den Altar. Oben am Kirchengewölbe stand das Zifferblatt der Ewigkeit, auf dem keine Zahl erschien; nur ein schwarzer Finger zeigte darauf, und die Toten wollten die Zeit darauf sehen.

Jetzo sank eine hohe edle Gestalt mit einem unvergänglichen Schmerz auf den Altar hernieder, und alle Toten riefen: "Christus! ist kein Gott?"

"Es ist keiner."

"Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, soweit das Sein seine Schatten wirft, und schaute in den Abgrund und rief: 'Vater, wo bist du?' - Schreiet fort, Misstöne; denn Er ist nicht!"

"Starres, stummes Nichts! Kalte, ewige Notwendigkeit! Wahnsinniger Zufall! Wann zerschlagt ihr das Gebäude und mich? - Wie ist jeder so allein in der weiten Leichengruft des Alls! - Ist das neben mir noch ein Mensch? Du Armer! Euer kleines Leben ist der Seufzer der Natur oder nur sein Echo - ein Hohlspiegel wirft seine Strahlen in die Staubwolken aus Totenasche auf eure Erde hinab, und dann entsteht ihr - bewölkte, schwankende Bilder. - Schaue hinunter in den Abgrund, über welchen Aschenwolken ziehen - erkennst du deine Erde?"

"Ihr Glücklichen, ihr glaubt Ihn noch. Ihr fallet unter Blüten, Glanz und Tränen auf die Knie und rufet zum Himmel hinauf: 'Auch mich kennst du, Unendlicher!' ... Ihr Unglücklichen. Wenn der Jammervolle sich mit wundem Rücken in die Erde legt, so erwacht er im stürmischen Chaos, in der ewigen Mitternacht! - Sterblicher neben mir, wenn du noch lebest, so bete Ihn an: sonst hast du Ihn auf ewig verloren."

Meine Seele weinte vor Freude, als ich erwachte. Und als ich aufstand, glimmte die Sonne tief hinter den vollen purpurnen Kornähren und warf friedlich den Widerschein ihres Abendrotes dem kleinen Monde zu; und zwischen dem Himmel und der Erde streckte eine frohe vergängliche Welt ihre kurzen Flügel aus.

(Text aus: Jean Paul: "Siebenkäs. Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel", Roman, 1796–97. - Den kompletten Textauszug gibt's hier.)

Anmerkung: Dieser Text wurde von Jean Paul ursprünglich zur Befürwortung der Gottesgläubigkeit konzipiert - so jedenfalls wird er häufig (insbesondere von Theologen) interpretiert. Oskar Sala hat ihn durch gezielte Verkürzungen und seine geniale Vertonung in das genaue Gegenteil verkehrt. Selten zuvor hat ein "sakrales" Musikstück eine größere emotionale Reaktion bei mir verursacht wie dieses - schon vor über 20 Jahren.