Dienstag, 23. Juli 2013

Ernährung und der "Markt": Der Mensch als Müllhalde


In den Lebensmittelskandalen der letzten Monate wird nur auf besondere Weise sichtbar, wie der Nahrungsmittelmarkt im Spätkapitalismus funktioniert. (...)

Spätestens wenn die nächsten ekligen Schweinereien, die uns die Lebensmittelindustrie auftischt, infolge medialer Abnutzungseffekte keine größere Empörung mehr auslösen, werden wir anfangen, mit der permanenten Lebensmittelkrise als einer Normalität zu leben – bis wir an der schleichenden Vergiftung zugrunde gehen, der wir im Spätkapitalismus unausweichlich ausgesetzt sind. (...)

Welche Bedeutung der Verbraucherschutz für die derzeitige Bundesregierung hat, lässt sich etwa am Wahlkampfprogramm der CDU von 2005 ablesen, in dem die gänzliche Abschaffung der staatlichen Lebensmittelkontrollen gefordert wurde, um so die "Verantwortlichkeiten nicht zu verwischen" und die "Eigenmotivation" in der Branche aufrechtzuerhalten. (...)

Selbstverständlich sind landesweite oder internationale Lebensmittelskandale nicht neu; sie sind so alt wie die Lebensmittelindustrie, die seit den fünfziger Jahren die Landwirtschaft industrialisiert und entlang der Verwertungszwänge des Agrarkapitals transformiert hat. In der gegenwärtigen Systemkrise spitzen sich diese systemisch bedingten Defizite und Instabilitäten der kapitalistischen Agrarwirtschaft aber weiter zu, während die Sicherungssysteme erodieren.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Tomasz Konicz arbeitet in diesem exzellenten Artikel nachvollziehbar die systemisch bedingte (Un-)Logik des Kapitalismus' heraus, die zwangsweise in immer minderwertigeren, zunehmend auch ungenießbaren und gesundheitsgefährdenden - um nicht zu sagen: giftigen - Nahrungsmitteln enden muss. Anhand dieses Textes kann wirklich jeder verstehen, wieso Lebensmittelskandale keine Skandale, sondern systembedingte Selbstverständlichkeiten sind, die weder überraschen dürfen, noch im Rahmen dieses Systems tatsächlich und nachhaltig aus der Welt geschafft werden können.

Es ist so simpel wie uralt: Wer sich einigermaßen gesund und bewusst ernähren will, darf nicht im Kapitalismus leben - denn die dort angebotenen Produkte bieten im Rahmen des Systems immer nur das Minderwertigste an, das sich zu einem möglichst hohen Preis gerade noch verkaufen lässt. Dass dieses System - bei zudem kaum mehr stattfindenden staatlichen Kontrollen und lächerlichen Strafen im "Entdeckungsfalle" - nur allzu anfällig ist für kriminelle Machenschaften, wodurch Abfälle und Gifte in die Nahrung gemischt werden, kann nun nicht einmal mehr Vollidioten überraschen.

Auch der gesamte Bio-Wahn, der das Land durchzieht, ist denselben kapitalistischen Kriterien unterworfen. Auch bei "Bio" gilt im Kapitalismus: Setze als Anbieter so wenig Geld wie nur irgend möglich ein und kassiere so viel wie möglich. Dass dieses absurde Prinzip niemals zu einer guten, ausgewogenen, gesunden, ökologisch sinnvollen oder gar nachhaltigen Ernährung - vom Tierschutz will ich in diesem Zusammenhang besser gar nicht erst reden - einen Beitrag leisten kann, sollte doch auch dem letzten marktgläubigen Vollhorst noch einleuchten. Das marktwirtschaftliche Label "Bio" ist nichts weiter als das im Kapitalismus übliche "Premium"-Label, das (zum Teil erheblich) teurer ist als der Rest, im Grunde aber denselben Müll zum Inhalt hat wie das "Angebot" für das gemeine Volk. Dass dieses finanziell begründete Mehrklassensystem ohnehin aufs Schärfste zu verurteilen ist - das ist nun wirklich nicht auf Nahrungsmittel begrenzt -, steht auf einem anderen Blatt.

Wenn wir uns gesund und vernünftig ernähren wollen, müssen wir dieses groteske Wirtschaftssystem vollkommen auf den Kopf stellen - oder zu Selbstversorgern werden. Letzteres ist angesichts der vom Kapitalismus verursachten globalen Naturschädigungen aber so gut wie aussichtslos, denn der Dreck bleibt in der Nahrungskette und in der Umwelt, auch wenn wir selber zu Ziegenhirten, Fischern oder Gemüsebauern werden.

Auch aus dem Fiasko des Nahrungsmitteldrecks, der uns von diesen schmierigen Konzernen dargeboten wird, folgt also nur eines: Wir brauchen eine Revolution. - Im illustren Kontrast dazu dokumentiere ich hier mal einen Dialog, den ich anlässlich eines leider notwendigen Besuches in einem Supermarkt vor einigen Tagen mitbekommen habe:

---

Person 1: Die Hühnerbrust ist ja heute im Angebot, da nehme ich mal ein paar mehr mit und friere die ein.
Person 2: Die gibt es doch auch eingefroren, wieso nehmen Sie denn die nicht, die ist doch billiger?
Person 1: Das ist doch viel frischer, wenn ich die selber einfriere! Und das ist auch viel gesünder, wissen Sie ...
Person 2: Ja, da haben Sie natürlich recht.

(Ich stand daneben, glotzte wie eine explodierende Supernova und dachte: "Herr, auch wenn es dich nicht gibt, warum erlöst du mich nicht aus diesem endlosen, sinnfreien Elend?", dann kaufte ich drei Flaschen Billig-Korn und versank im hirnlosen Nirwana - also in der Alltagswelt dieses Landes.)

---

Die hohen Preise


"Lasst die Fliege nicht aus dem Zimmer, Kinner! Se hat Kunsthonig an die Beene!"

(Zeichnung von Rudolf Grieß [1863-1949], in "Simplicissimus", Heft 27 vom 01.10.1920)

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Du hast in weiten Teilen Recht, allerdings bin ich nicht der Meinung, dass der Biokram in dem Ausmaß Müll beinhaltet wie das Zeug aus dem Tiefkühler vom Discounter. Biotomaten schmecken besser, Biogurken auch und den besungenen handgemörsterten Biopasten merkt man an, dass sie gesund sind. Das ist von der Qualität her schon besser.

Was mich allerdings stört, ist die Bigotterie derjenigen, die sich davon ernähren und die sich für Apologeten einer besseren Welt halten, aber kein Problem damit haben, dass sich die Unterschicht, deren Existenz sie in ihrer abgeschlossenen Filterbubble gar nicht mehr wahrnehmen, diese exklusiven Lebensmittel gar nicht leisten kann, sondern pürierte alte Gäule in Lasagnen für 1,49 fressen muss.

Hier vor dem Bioladen, in dem ortsansässigen Bündnis 90-Filzfurien ihre Pastinakencremes einkaufen, saß eine Zeit lang ein Penner, der in diesen Standort offenbar große Hoffnung gesetzt hat. Er bekam da nix, außer von mir, der gar nicht in dem Bioladen war. Ich habe das mal vom angrenzenden Café aus eine Weile beobachtet. Er bekam nix. Keinen Cent. Die Mütter haben angesichts der Konfrontation mit so etwas wie Armut nur etwas schneller ihre Kinder weitergezogen.
Nach ein paar Wochen war er wieder weg und sitzt jetzt wahrscheinlich in Hohenschönhausen vor dem Rewe in Plattenbaunähe, da kommt mehr rüber als bei den selbsternannten Weltverbesserern und ihrer elitären Religion.

Charlie hat gesagt…

Hallo µnÐ3rÐ09,

der Biowahn ist ja nur ein (relativ kleiner) Teilaspekt des Themas, den ich allerdings anders empfinde und einordne als Du. Ich habe noch nie festgestellt, dass beispielsweise eine "Bio"-Tomate besser schmeckt als eine herkömmliche. Aber das ist ohnehin völlig subjektiv, da soll und muss jeder selbst entscheiden.

Was allerdings die Produktion betrifft, muss man da auch deutlich differenzieren. Ich habe vor einiger Zeit eine Reportage zu dem Thema gesehen, die der Frage nachging, inwiefern sich der massenhafte Anbau von "Bio-Gemüse", beispielsweise für all die Supermarkt- und Discounter-Ketten, vom konventionellen Anbau unterscheidet. Das Ergebis war (wie zu befürchten war) niederschmetternd:

Bei Tomaten beispielsweise bestand der Unterschied zwischem "konventionellem" und "Bio"-Anbau einzig darin, dass in den riesigen, sterilen Gewächshäusern die Tomatenpflanzen, deren Früchte als "Bio"-Produkte vermarktet werden, jeweils in einem kleinen Metallbottich mit "echter Erde" wuchsen, während bei konventionellem Anbau dafür ein Substrat verwendet wurde. Der Rest war identisch.

Nicht einmal mittels ausgiebigen Untersuchungen im Labor konnte zwischen den Tomaten irgendein qualitativer Unterschied festgestellt werden.

Bei so genanntem "Bio-Fleisch" aus dem Supermarkt sieht das ganz ähnlich aus - die Anforderungen, die von der Agrarindustrie zu erfüllen sind, wenn sie das Label "Bio" verwenden will, sind (bewusst und gewollt) so dermaßen absurd und niedrig, dass man das tatsächlich nur als Abzocke werten kann.

Anders sieht es möglicherweise bei dem einen oder anderen kleineren regionalen Ökohof aus - deren Produkte sind aber zumeist nicht in den örtlichen Supermärkten zu finden.

Bei den in vielen "Bio"-Läden angebotenen industriell gefertigten Produkten sollte man aber sowieso immer sehr, sehr skeptisch sein: Zum Einen wird fast nie kontrolliert, ob die Minimalanforderungen für solche Produkte von den Herstellern tatsächlich eingehalten werden, zum Anderen ist es sowieso eine drängende Frage bei industriell gefertigten Produkten, ob sie überhaupt eine Bezeichnung wie "Bio" verdienen. Auch hier werden Zutaten nicht selten um den halben Globus gekarrt, um den einen Arbeitsschritt dort, den nächsten 2000 km weiter von noch lächerlicher entlohnten Arbeitssklaven und die Verpackung schließlich wieder woanders durchführen zu lassen.

Der ganze Biowahn ist - von einigen rühmlichen regionalen Ausnahmen vielleicht abgesehen - nichts weiter als eine weitere Werbe-Schimäre, die den Menschen für nahezu denselben Müll mehr Geld aus der Tasche ziehen soll. Und wie Du so schön beschreibst, funktioniert das ja in gewissen Kreisen auch schon ganz hervorragend. Deren Bigotterie, die mich genauso wie Dich extrem ankotzt, ist wieder ein anderes Thema, das es aber gewiss auch wert ist, näher beleuchtet zu werden.

Das dokumentierte Gespräch aus dem Supermarkt bezog sich übrigens nicht auf "Bio"-Fleisch, sondern auf die herkömmliche, abgepackte Billig-Hühnerbrust aus dem Kühlregal für 1,was-weiß-ich Euro pro 600 Gramm.

Liebe Grüße!

Anabelle hat gesagt…

Gerade eben dazu gelesen:

"Im Biopesto der Schweizer Firma Ppura wies die Stiftung Warentest den potenziell krebserregenden Schadstoff Anthrachinon nach. Demnach war die analysierte Menge 80-mal so hoch wie der zulässige Höchstgehalt."

http://www.n-tv.de/ratgeber/Fertigpesto-meist-enttaeuschend-article11060521.html

Charlie hat gesagt…

@ Anabelle: Ein hübsches Beispiel - aber Du weißt doch: Auch das ist nur einer dieser "bedauerlichen Einzelfälle"; im "Regelfall" kommt so etwas selbstverständlich nicht vor. *hust*

Liebe Grüße!