Samstag, 23. August 2014

Film des Tages: Harodim




Anmerkung: Dieser Spielfilm (2012) mit Travis Fimmel, Michael Desante und dem Altmeister Peter Fonda ist natürlich Fiktion, so wie alle Spielfilme - auch wenn sie historische Begebenheiten zum Thema haben - stets Fiktion und keine Dokumentationen sind. Eine kurze Inhaltsangabe von Blickpunkt:Film dazu (obwohl die gleich in mehreren Details falsch ist - aber das soll und kann jeder Zuschauer beim Ansehen selbst bemerken):

Lange Jahre hat der ehemalige Elitesoldat Lazarus privat und geheim nach jenem hochrangigen Al-Quaida-Führer gefahndet, der nun gefesselt in einem versteckten Bunker unter einem Wiener Bahnhof in seiner Gewalt ist. Für Lazarus ist die Zeit gekommen, Rache zu nehmen an dem Mann, der an den Anschlägen am 11. September beteiligt war und den Tod seines Vaters verschuldet hatte. Doch der überaus rechtschaffene Gefangene packt aus - und erzählt dem ungläubig Staunenden seine Version über Afghanistan, Al-Quaida, die CIA und ihre schmutzigen Machenschaften.

In diesem brillant inszenierten und von den drei Darstellern eindrücklich gespielten Kammerspiel werden viele der gängigen Verschwörungstheorien zu den Ereignissen am 11. September 2001 aufgegriffen, so dass der Film sich schon allein deshalb wohltuend von der üblichen Hollywood-Kost zu diesem Thema unterscheidet. Drehbuchautor und Regisseur Paul Finelli hat diesen Film allerdings in Österreich gedreht, weil er nach eigenen Angaben in Hollywood keine Financiers für den Streifen finden konnte.

Ich empfehle das Ansehen nachdrücklich - nicht etwa, weil ich jeder einzelnen Aussage zum 11. September, die hier getroffen wird, zustimme (zumal zum Ende hin der verschwörungstheoretische Teil ins fast Absurde driftet), sondern weil der Film - anders als viele Dokumentationen oder Pseudo-Dokumentationen - tatsächlich zum eigenen Denken (als Kontrast zum bloßen Rezipieren konträrer Meinungen) anregt und den Zuschauer eindringlich daran erinnert, wie wichtig in unserer Welt das kritische Nachdenken und nicht zuletzt auch der Zweifel sind. Ich will nicht zuviel vorwegnehmen, aber der lange Monolog, den Peter Fonda am Schluss des Films in seiner Rolle als Solomon Fell hält und der exemplarisch die brutale, faschistische Weltsicht eines Teils der globalen Finanz-"Elite", also der Superreichen, zum Inhalt hat, gehört zum Besten, was dieser Schauspieler in seinem langen Leben abgeliefert hat.

Einzig der entnervende, völlig deplatzierte und allzu dümmliche Abspann, der die gesamte bis dahin aufgebaute Atmosphäre des Films mit einem Schlag rückhaltlos zerstört, schmälert den Genuss doch arg. Man kann ein Shakespeare-Drama natürlich auch mit einem dummen Modern-Talking-Trällerliedchen enden lassen - aber was der Regisseur sich dabei wohl gedacht haben mag, bleibt - zumindest mir - ein Geheimnis.

Der Film ist hier in deutscher Synchronfassung zu sehen - Ihr solltet ihn Euch wirklich anschauen, und das möglichst bald, denn wer weiß schon, wie lange er bei youtube noch verfügbar ist. Es ist eher unwahrscheinlich, dass unser Propaganda-TV ihn in näherer Zukunft ausstrahlen wird.

Anmerkung: Falls jemand Probleme mit dem Abspielen des Videos haben sollte, bitte einfach auf das "youtube"-Logo, das sich unten rechts im Videofenster findet, klicken, dann kann man es direkt bei youtube anschauen:

Ich wusste nicht, dass dies noch nicht allgemein bekannt ist, sorry.




Donnerstag, 21. August 2014

"Es wird ernst": Das neue Kriegszeitalter der neoliberalen Bande der Habgierigen


Die deutsche Kriegslobby konzentriert sich bekannter Maßen in Bayern - daher ist es auch kein Wunder, dass in der Propagandashow "Tagesthemen" vom 20.08.14 (ab Minute 4:10) ausgerechnet der widerliche Schlips-Borg Siegmund Gottlieb von "Bayrischen Rundfunk" - gern euphemistisch als "Journalist" bezeichnet - in einem Kommentar den Aufbruch Großdeutschlands ins neue Kriegszeitalter bekannt gegeben hat. Ich dokumentiere den Wortlaut seines Pamphlets an dieser Stelle, damit er erhalten bleiben möge:

Endlich - der Tabubruch war fällig! Der jahrzehntelang gültige Grundsatz deutscher Sicherheits- und Außenpolitik ist das Papier nicht mehr wert, auf dem er geschrieben steht. "Keine Waffen in Spannungsgebiete", hieß es bis heute - das ist vorbei. Unser politisches Spitzenpersonal in Berlin hat sich nach langem Zögern für einen Sinneswandel entschieden. Nach Tagen unentschieden-unerträglicher Wortakrobatik hat die Regierung eine historische Entscheidung getroffen, die riskant ist, aber ohne Alternative.

Deutschland wird also Waffen an die Kurden liefern, weil diese zur Stunde den letzten Schutzwall gegen den Durchmarsch islamischer Terroreinheiten bieten, die in blutrünstiger Barbarei hemmungslos gegen Andersgläubige wüten.

Angesichts dieser extrem dramatischen Lage haben die Kanzlerin und der Außenminister endlich das "Prinzip Verantwortung" anstelle einer "Ohne uns"-Prinzipientreue gestellt, die sich angesichts dieses Völkermords ja zynisch als unmenschlich erwiesen hat.

Die Regierung hat sich mit dem heutigen Schritt zu einer neuen, noch ungewohnten Haltung durchgerungen. Deutschland ist dabei, seinem starken Gewicht in Europa entsprechend zu reagieren. Dieser Tag gibt unseren Verbündeten das Signal, dass wir bereit sind, auch militärisches Engagement und seine Risiken fair mit ihnen zu teilen.

Lange Zeit und immer wieder historisch begründet, haben wir ein fragwürdiges Recht auf "Wegsehen" für uns in Anspruch genommen. Das war bequem.

Ab jetzt wird es ernst.

An diesem Text ist alles falsch, was falsch sein kann. Waffenlieferungen in Kriegsgebiete bleiben nach gültigem Recht rechtswidrig, auch wenn Merkel und Gabriel das nun missachten. Zur Verantwortung ziehen wird diese Gestalten dennoch niemand in unserem tollen "Rechtsstaat". Für einen umfassenden "Völkermord" im Nordirak gibt es keinerlei Beweise - als "Beweis" muss in diesem Fall ein zweifelhaftes Video ausreichen, das den angeblichen Mord an einem US-Amerikaner zeigt. Doch selbst wenn dieses Video authentisch sein sollte, bewiese es doch lediglich die Niedertracht einer kleinen Gruppe von mordlustigen Verbrechern, aber keineswegs einen "Völkermord".

Währenddessen werden anderswo ganz offiziell und ohne Zweifel in staatlichem Auftrag die Frau und das Kind eines "Verdächtigen" ermordet, ohne dass es irgendeinen vergleichbaren Aufschrei dazu gäbe, und das ist nur ein einziges Beispiel von so vielen weltweit. Ein "Eingreifen" der "demokratischen Helden des Westens" - nach der perversen Unlogik der Kriegstreiber - wird natürlich absurd, wenn der Mord aus den eigenen Reihen erfolgt ist.

Es müsste inzwischen doch auch dem letzten Dorfdeppen klar geworden sein, dass es hier nicht um das Wohlergehen der bedrohten Menschen im Irak geht - wenn das zuträfe, wäre es die naheliegendste (und einzig legale) Möglichkeit, die UN mit einem entsprechenden Auftrag zu betreuen und die bedrohten Menschen auf diese Weise zu schützen - was ausdrücklich auch bedeutete, keinen aktiven Krieg gegen die Bedroher zu führen. Das war ursprünglich der Sinn und Zweck der UN-"Blauhelme". Gleichzeitig müsste es eine Welle der humanitären Hilfe und eine umfassende Bereitschaft geben, Flüchtlinge aus diesem Gebiet aufzunehmen. Darum geht es den Kriegstreibern in Deutschland und den USA aber nicht - die Menschen und deren Wohlergehen sind denen völlig schnurz.

Gerade die deutschen Schlips-Borg - das wird an dem Gottlieb-Pamphlet aus Bayern nur allzu deutlich - wittern hier die Chance, an den imperialistischen Kriegen der USA teilhaben zu können und davon zu profitieren. Die Religion der Habgier (--> Kapitalismus) tritt ein in eine neue Phase - und ich befürchte, es könnte die finale Phase sein.

Der einzige Ausspruch, dem ich aus dem widerlichen Kommentar des noch widerlichen Gottlieb zustimmen muss, ist dieser, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen:

Es wird ernst.

In der Tat. Die Decke der Zivilisation ist allzu dünn, und es bedarf nur weniger Aktionen, um sie zu entfernen. Die Bande arbeitet eifrig daran.

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Das alte Spiel


Der Boden muss immer mal wieder gedüngt werden, damit der Weizen der internationalen Rüstungsindustrie blüht!

(Zeichnung von Eduard Thöny [1866-1950], in "Simplicissimus", Heft 47 vom 21.02.1932)

Song des Tages: Hello (Dreaming of the Past)




(Blackfield: "Hello", aus dem Album "Blackfield", 2004)

Through a different kind of silence
I'm waiting, I'm wasting
Into the road of sadness
I'm walking without you

Hello, hello, hello, hello -
Is it gonna last?
Why don't you come and take me with you?
And so I know you had to go
I'm dreaming of the past
An echo of the years we passed through

Asleep in your arms I'm drifting
I'm falling in sorrow
Dead to the world you left me
In footsteps I follow


Dienstag, 19. August 2014

Gesprächsfetzen: In vino veritas


Mein Freund Jan (betrunken) und ich (betrunken) waren gegen drei Uhr nachts auf dem Heimweg von irgendeiner Party, begleitet von einem unbekannten Typen (betrunken), den wir unterwegs irgendwo aufgegabelt hatten. In der linken Hand jeweils eine Ein-Liter-Dose "Faxe"-Bier, das wir an der letzten Nachttanke auf dem langen Weg noch erworben hatten, in der rechten eine glimmende Kippe, so schwankten wir die finstere Straße durch die Vorstadt entlang in Richtung Schlafplatz. Dabei entspann sich der folgende Dialog:

Jan: Samma, würd'st du auch mit loszieh'n, wenn die jetzt widda mit dem Ballern anfangen - so richtich, mein' ich, nicht nur'n bisschen?
Charlie: Bissu bekloppt, du weiß' doch wie ich über den Scheiß denke!
Jan: Ja, abba mal angenommen, die schmeißen widda Bomben, und das nich' nur irgendwo in Hinterfotzien, sondern hier?
Charlie: Dann geh' ich kotzen! Ich kotz' doch sowieso den ganzen Tach über diese Arschlöcher ...
Jan: Toll, dann kotzen wir zusammen!
Unbekannter Typ: Hassu ma' 'ne Kippe? Ich glaub' ich muss ...

Und dann kotzte er, und zwar laut und nachhaltig, direkt in den natürlich von einem hohem Gitter abgesperrten Zugang zu einer Prunkvilla, an der wir gerade vorbeiwankten. Ein besserer Kommentar wäre mir weder in betrunkenem, noch in irgendeinem anderen Zustand eingefallen. Danke, unbekannter Typ!

Zitat des Tages: Die Küchenuhr


Sie sahen ihn schon von weitem auf sich zukommen, denn er fiel auf. Er hatte ein ganz altes Gesicht, aber wie er ging, daran sah man, dass er erst zwanzig war. Er setzte sich mit seinem alten Gesicht zu ihnen auf die Bank. Und dann zeigte er ihnen, was er in der Hand trug.

Das war unsere Küchenuhr, sagte er und sah sie alle der Reihe nach an, die auf der Bank in der Sonne saßen. Ja, ich habe sie noch gefunden. Sie ist übrig geblieben. Er hielt eine runde tellerweiße Küchenuhr vor sich hin und tupfte mit dem Finger die blau gemalten Zahlen ab.

Sie hat weiter keinen Wert, meinte er entschuldigend, das weiß ich auch. Und sie ist auch nicht besonders schön. Sie ist nur wie ein Teller, so mit weißem Lack. Aber die blauen Zahlen sehen doch ganz hübsch aus, finde ich. Die Zeiger sind natürlich nur aus Blech. Und nun geht sie auch nicht mehr. Nein. Innerlich ist sie kaputt, das steht fest. Aber sie sieht noch aus wie immer. Auch wenn sie jetzt nicht mehr geht.

Er machte mit der Fingerspitze einen vorsichtigen Kreis auf dem Rand der Telleruhr entlang. Und er sagte leise: Und sie ist übrig geblieben.

Die auf der Bank in der Sonne saßen, sahen ihn nicht an. Einer sah auf seine Schuhe und die Frau sah in ihren Kinderwagen. Dann sagte jemand:
Sie haben wohl alles verloren?
Ja, ja, sagte er freudig, denken Sie, aber auch alles! Nur sie hier, sie ist übrig. Und er hob die Uhr wieder hoch, als ob die anderen sie noch nicht kannten.
Aber sie geht doch nicht mehr, sagte die Frau.
Nein, nein, das nicht. Kaputt ist sie, das weiß ich wohl. Aber sonst ist sie doch noch ganz wie immer: weiß und blau. Und wieder zeigte er ihnen seine Uhr. Und was das Schönste ist, fuhr er aufgeregt fort, das habe ich Ihnen ja noch überhaupt nicht erzählt. Das Schönste kommt nämlich noch: Denken Sie mal, sie ist um halb drei stehen geblieben. Ausgerechnet um halb drei, denken Sie mal.

Dann wurde Ihr Haus sicher um halb drei getroffen, sagte der Mann und schob wichtig die Unterlippe vor. Das habe ich schon oft gehört. Wenn die Bombe runtergeht, bleiben die Uhren stehen. Das kommt von dem Druck.
Er sah seine Uhr an und schüttelte den Kopf. Nein, lieber Herr, nein, da irren Sie sich. Das hat mit den Bomben nichts zu tun. Sie müssen nicht immer von den Bomben reden. Nein. Um halb drei war etwas ganz anderes, das wissen Sie nur nicht. Das ist nämlich der Witz, dass sie gerade um halb drei stehen geblieben ist. Und nicht um viertel nach vier oder um sieben. Um halb drei kam ich nämlich immer nach Hause. Nachts, meine ich. Fast immer um halb drei. Das ist ja gerade der Witz.

Er sah die anderen an, aber sie hatten ihre Augen von ihm weggenommen. Er fand sie nicht. Da nickte er seiner Uhr zu: Dann hatte ich natürlich Hunger, nicht wahr? Und ich ging immer gleich in die Küche. Da war es dann fast immer halb drei. Und dann, dann kam nämlich meine Mutter. Ich konnte noch so leise die Tür aufmachen, sie hat mich immer gehört. Und wenn ich in der dunklen Küche etwas zu essen suchte, ging plötzlich das Licht an. Dann stand sie da in ihrer Wolljacke und mit einem roten Schal um. Und barfuß. Und dabei ist unsere Küche gekachelt. Und sie machte ihre Augen ganz klein, weil ihr das Licht so hell war. Denn sie hatte ja schon geschlafen. Es war ja Nacht. So spät wieder, sagte sie dann. Mehr sagte sie nie. Nur: So spät wieder. Und dann machte sie mir das Abendbrot warm und sah zu, wie ich aß. Dabei scheuerte sie immer die Füße aneinander, weil die Kacheln so kalt waren. Schuhe zog sie nachts nie an. Und sie saß so lange bei mir, bis ich satt war. Und dann hörte ich sie noch die Teller wegsetzen, wenn ich in meinem Zimmer schon das Licht ausgemacht hatte. Jede Nacht war es so. Und meistens immer um halb drei. Das war ganz selbstverständlich, fand ich, dass sie mir nachts um halb drei in der Küche das Essen machte. Ich fand das ganz selbstverständlich. Sie tat das ja immer. Und sie hat nie mehr gesagt als: So spät wieder. Aber das sagte sie jedes Mal. Und ich dachte, das könnte nie aufhören. Es war mir so selbstverständlich. Das alles war doch immer so gewesen.

Einen Atemzug lang war es still auf der Bank. Dann sagte er leise: Und jetzt? Er sah die anderen an. Aber er fand sie nicht. Da sagte er der Uhr leise ins weißblaue runde Gesicht: Jetzt, jetzt weiß ich, dass es das Paradies war. Das richtige Paradies. Auf der Bank war es ganz still. Dann fragte die Frau: Und Ihre Familie?
Er lächelte sie verlegen an: Ach, Sie meinen meine Eltern? Ja, die sind auch mit weg. Alles ist weg. Alles, stellen Sie sich vor. Alles weg.

Er lächelte verlegen von einem zum anderen. Aber sie sahen ihn nicht an. Da hob er wieder die Uhr hoch und lachte. Er lachte: Nur sie hier. Sie ist übrig. Und das Schönste ist ja, dass sie ausgerechnet um halb drei stehen geblieben ist. Ausgerechnet um halb drei.

Dann sagte er nichts mehr. Aber er hatte ein ganz altes Gesicht. Und der Mann, der neben ihm saß, sah auf seine Schuhe. Aber er sah seine Schuhe nicht. Er dachte immerzu an das Wort Paradies ...

(Wolfgang Borchert [1921-1947]: "Die Küchenuhr", aus dem Erzählband "An diesem Dienstag", Rowohlt 1947)

Montag, 18. August 2014

Kunst in Laienaugen: Versuch einer Bildinterpretation von George Grosz' "Der Überlebende"


Im vorletzten Posting habe ich ein Gemälde eines meiner Lieblingsmaler zur Illustration benutzt - nämlich das Ölgemälde "Der Überlebende" von George Grosz, das (je nach Quellenangabe) 1944 oder 1945 entstanden ist. Nach einigen irritierenden Rückmeldungen habe ich nun den Eindruck, das dieses Bild nicht von allen so verstanden wird, wie ich es auffasse - und möchte deshalb meine Gedanken dazu noch einmal gesondert mitteilen. Es handelt sich dabei um meine ganz persönliche, laienhafte Wahrnehmung - denn ich bin kein "Experte" in Sachen Malerei.



Zur Zeit der Entstehung dieses Bildes stand der Zweite Weltkrieg kurz vor seinem absehbaren Ende und der von den Nazis verfolgte deutsche Künstler Grosz befand sich längst im Exil in den USA.

Wir sehen hier im Hintergrund eine brennende, zerstörte, offensichtlich deformierte Welt, während im Vordergrund ein Schlammloch das Bild beherrscht. Die dominierende Hintergrundfarbe ist schwarz. In diesem Schlammloch sehen wir einen Menschen, der durch den Morast kriecht: Er hat schlohweiße Haare, obwohl es sich offensichtlich nicht um einen Greis handelt; er hat einen Gesichtsausdruck und einen Blick, den man bestenfalls als "irre" oder "psychopathisch" bezeichnen kann; er hat ein verrostetes oder blutverschmiertes, riesiges Messer zwischen den Zähnen; er klammert sich mit den Händen an eine offensichtliche Waffe, die vielleicht ein Flammenwerfer sein könnte - genau erkenne ich das nicht. Wer mag sich vorstellen, was dieser Mensch mitansehen und selbst tun musste, bis er in diese Lage kam?

Er trägt keine erkennbare Uniform, die irgendeiner der damaligen Kriegsparteien zuzuordnen wäre - es könnte sich also um einen deutschen, einen englischen, einen amerikanischen, einen russischen oder sonsteinen Soldaten handeln, ebenso könnte es aber auch ein Zivilist oder ein Flüchtling sein, der gar keiner Armee angehört(e). Das ist wichtig für das Verständnis dieses Bildes.

Wir haben nicht die geringste Ahnung, um was für einen Menschen es sich hier handelt: War er vor dem Krieg vielleicht ein Tischler, ein Lehrer, ein Kaufmann, ein Dieb, ein Vergewaltiger, vielleicht sogar ein Faschist? Das bleibt völlig offen und ist auch ohne Relevanz, denn hier sehen wir lediglich das, was ein Krieg aus einem Menschen zwangsläufig macht - ganz unabhängig davon, was er vorher gewesen sein und welche Ziele er verfolgt haben mag. Wer ein solches Grauen, wie es Kriege immer für die Beteiligten - seien es nun Soldaten oder Zivilisten - darstellen, durchleben muss, ist danach niemals derselbe Mensch, der er vorher gewesen ist. Grosz zeigt uns das hier exemplarisch und in einer, wie ich finde, äußerst nachdrücklichen und aufrüttelnden Form.

Möchte dieser irrsinnigen, äußerst bedauernswerten und kranken Gestalt, die da durch den Schlamm kriecht, jemand vielleicht seine Kinder zum Schutz anvertrauen? Nein? Wie um alles in der Welt kann ein halbwegs gesunder, nicht vom Krieg gezeichneter Mensch auf den grotesken Gedanken kommen, solche Menschen, die durch die Hölle gegangen sind bzw. dazu getrieben wurden bzw. gehen mussten, könnten hernach für "Freiheit", "Demokratie" oder gar - ich wage das kaum zu schreiben - "Humanismus" einstehen können? Ich habe fast den Eindruck, dass inzwischen viele Menschen in unserem vollkommen degenerierten "Kulturkreis" den infantilen, völlig absurden Kindergarten-Blödsinn aus Hollywood für bahre Münze nehmen, in dem ein fieser Bösewicht sich durch Menschenmassen schlachtet oder schlachten will und von einem wackeren Helden, der sich seinerseits durch "böse" Menschenmassen schlachtet, aufgehalten wird - und am Ende sind alle glücklich, das "Gute" hat gesiegt und alle - bis auf die "Bösen", denn die sind dann ja geköpft, gemordet, verbrannt, gevierteilt, gehäutet ... - sind glücklich.

George Grosz zeigt uns hier das Gegenteil, nämlich die böse und bis heute geleugnete Realität: Das da im Schlamm, dieses kriechende, irrsinnge Etwas mit dem Messer zwischen den Zähnen, das bleibt am Ende - neben Leichenbergen, verbrannter Erde, Hass und dem überbordenden Potenzial auf folgende Kriege in einer immerwährenden Endlosschleife - übrig, und zwar auf allen Seiten: Zerstörte, deformierte "Überlebende", die oftmals zu keinem "normalen" Leben mehr fähig sind.

Notiz am Rande: Grosz' Gemälde befindet sich seit vielen, vielen Jahren in "Privatbesitz", ist also der Öffentlichkeit nicht zugänglich, sondern vermodert in irgendeinem Keller eines natürlich anonymen Superreichen. Solche entartete Kunst soll der Pöbel schließlich nicht zu Gesicht bekommen, sonst käme er womöglich auf Gedanken und könnte lernen ...