Freitag, 19. Dezember 2014

Song des Tages: One Small Step




(Ayreon: "One Small Step", aus dem Album "Universal Migrator, part I: The Dream Sequencer", 2000)

"It is the 20th century. I am a little boy peacefully asleep. My father comes to wake me so that I can witness an historic event in the finite story of mankind."
(Edward Reekers, Lana Lane)


On an early summer morning, July '69,
As I dream of the planets,
I hear a voice softly whisper: "Son, it is time
It's happening soon!"

It's a quarter to four now and he carries me down
To our place by the telly.
I see lights on in houses all over town
For the man on the Moon.

One small step for man
But a giant leap for mankind!
The mighty Apollo prevailed -
The Eagle has landed!


I go back to my warm bed, back to my dreams,
But not the one of the planets.
I decided this morning: I don't want to be
The man on the Moon.

One small step for man
But a giant leap for mankind!
The mighty Apollo prevailed -
The Eagle has landed!


As I lie here in this cold tank, living a dream,
I'm the last on the planets.
I decided this morning: I don't want to be
The man on Mars.

One small step for man
But a giant leap for mankind!
The mighty Apollo prevailed -
The Eagle has landed!




Anmerkung: Es ist schon erschreckend zu bemerken, wie der altbekannte "giant leap for mankind" von der selbsternannten "Elite" in nicht einmal fünfzig Jahren zu einem albernen Popanz deformiert wurde, der uns heute einen bis auf die Knochen verkommenen Globus beschert, auf dem es den dort lebenden Menschen unterm Strich noch weitaus schlechter ergeht als damals. Das war wohl nichts mit dem "großen Sprung" - wie sollte es auch anders sein, wenn allerorten der Kapitalismus wütet, rafft und zerstört.

Das dystopische Mammutwerk "Universal Migrator" von Ayreon möchte ich aber nicht nur in diesem Zusammenhang jedem wärmstens ans Herz legen - es ist der Soundtrack für das 21. untergehende Jahrhundert: ein akustisches Mahnmal für das Ende jeder Aufklärung. Offensichtlich ist es ein immer wiederkehrendes, unvermeidbares Thema der Menschheitsgeschichte, dass ein hoffnungsvoller Aufbruch ins Neue stets in der faschistischen Katastrophe endet. Auch heute sind wir ja nicht mehr weit von diesem furchtbaren Sumpf entfernt - diesmal allerdings ganz ohne einen zuvor erfolgten hoffnungsvollen Aufbruch (auch wenn gewisse Kreise den Zusammenbruch des sozialistischen Fehlversuches als solchen missbrauchen mögen). Die "Elite" lernt dazu - der dumpfe Rest der Menschheit offensichtlich nicht.

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Die Folterpraktiken der US-Terrormiliz: Murat Kurnaz im Interview


Ich habe lange überlegt, ob ich dieses Interview mit dem ehemaligen Insassen der US-Folterlager Kandahar und Guantánamo, Murat Kurnaz, hier verlinken soll. Beim ersten Ansehen war ich völlig entsetzt wegen der unsäglichen, an trashiges Krawall-TV erinnernden Inszenierung - vor allem aber wegen des unerträglichen, pseudo-ironischen Stils des völlig inkompetenten "Interviewers" Tilo Jung. Wäre ich an Kurnaz' Stelle gewesen, hätte ich diesem zynischen, provozierenden Arschloch gleich an mehreren Stellen schlichtweg in die Fresse gehauen und wäre gegangen - und das trotz meiner pazifistischen Gesinnung.

Doch sei's drum - ich finde, dass die Aussagen und Informationen, die Kurnaz hier endlich einmal in längerer Form kundtun kann, so wichtig sind, dass ich über diese erheblichen Makel der Produktion hinwegsehen muss. Wer sich das Interview dennoch nicht ansehen kann oder möchte, findet hier eine schriftliche Transkription.

Man höre dem Mann genau zu und ignoriere den interviewenden Kasper. Alles weitere sollte das eigene Gehirn zu leisten imstande sein. Ich muss das nicht weiter kommentieren.


Dienstag, 16. Dezember 2014

Tod in Duisburg: Die Polizei, dein Freund und Helfer


Kürzlich las ich auf den Seiten des WDR einen Bericht über den Tod eines Menschen, der sich in "Polizeigewahrsam" befand:

Wer ist Schuld am Tod eines 44-Jährigen, der im August betrunken in einer Polizeizelle in Geldern ausnüchtern sollte und starb? Die Staatsanwaltschaft Kleve sagt: Niemand. Es gibt kein Strafverfahren. Und das, obwohl es Fehlverhalten bei der Betreuung gegeben hat.

Der Bericht sollte aufmerksam gelesen werden - es ergeben sich, jedenfalls für mich, gleich mehrere Fragen und Merkwürdigkeiten daraus. Zunächst fällt auf, dass hier von einer "Betreuung" des Betroffenen durch Polizisten gesprochen wird, als handele es sich um eine Art Wellness-Klinik. Diese Begriffswahl ist hanebüchen, vom WDR aber gewiss bewusst eingesetzt worden, denn schließlich leben wir nach kuhjournalistischem Glaubensdogma in einem "freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat", in dem etwas anderes nicht vorkommt. Wir sind hier schließlich nicht in Russland. - Richtig ist aber vielmehr, dass es für Personen in "Polizeigewahrsam" allerhöchstens so etwas wie eine Beaufsichtigung gibt, die im vorliegenden Falle allerdings auch nicht wirklich stattgefunden hat - der Begriff "Wegschließen" trifft das Szenario wohl am ehesten. Darüber hinaus kommen selbstverständlich auch in Deutschland Übergriffe von Polizisten wie Willkür, Schikane oder gar Brutalität vor - wer im Netz nach solchen Begebenheiten auch nur oberflächlich sucht, wird (selbst in den Kuh-Medien) schnell fündig.

Spannend ist sodann die Argumentation der zuständigen Staatsanwaltschaft, weshalb kein Strafverfahren gegen die beteiligten Polizisten eingeleitet wurde:

Laut Gerichtsmedizin hätte der Mann möglicherweise gerettet werden können, wenn man ihn spätestens alle 4 Minuten überwacht hätte. Das ist aber beim Polizeigewahrsam nicht vorgesehen. Die Beamten sollen in den ersten zwei Stunden alle 15 Minuten kontrollieren, danach dann ein Mal pro Stunde.

Ich fasse das mal verkürzt zusammen: Da wird ein offenbar stark alkoholisierter Mensch von den Staatsschergen aufgegriffen und in eine Zelle gesperrt, anstatt ihn ins Krankenhaus zu bringen oder zumindest zuvor ärztlich untersuchen zu lassen - mit dem absurden Argument, er sei "ansprechbar" gewesen. Die von Gerichtsmedizinern im Nachhinein festgestellte kontinuierliche Vier-Minuten-Frist, innerhalb derer das Leben des Mannes noch zu retten gewesen wäre, gerät so zur kafkaesken Farce: Selbst wenn dieser völlig absurde Rhythmus in der Polizeizelle eingehalten worden wäre - wie hätte so schnell ärztliche Hilfe geleistet werden sollen? Ein Arzt war ja gerade nicht vor Ort, obwohl das von Anfang an gesetzlich angezeigt gewesen wäre.

Dass auch die "regelmäßigen Kontrollen" des Weggesperrten im weiteren Verlauf nicht gesetzeskonform vonstatten gegangen sind, ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft aber unerheblich, denn:

Auch wenn alle Kontrollen regelmäßig und korrekt ausgeführt worden wären, hätten die Beamten nur den Tod des Mannes früher feststellen, ihn aber nicht verhindern können.

Das ist doch sehr beruhigend. Wir lernen: Wenn irgendwelche Staatsschergen ohne den Hauch einer medizinischen Kompetenz befinden, dass jemand zwar betrunken, aber "ansprechbar" sei, können sie ihn ohne jede ärztliche Konsultation beherzt in eine Zelle sperren und hernach sogar ihre "Aufsichtspflicht" verletzen - strafrechtliche Konsequenzen hat ein solches Verhalten selbst dann nicht, wenn die Person verreckt. Wenn das mal nicht ein leuchtendes Beispiel für den "freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat" neoliberaler Prägung ist, weiß ich's auch nicht.


Montag, 15. Dezember 2014

Zitat des Tages: Nocturne


Die Türglocke schrillt! Durchtrennt
die Nacht. Kein Licht, doch die Tapete
grünt, der Regen weiß den Weg
in unser Seegras. Uhrenparadoxon:
die totgeschlagne Zeit
tickt schmerzhaft in der Schläfe.

Schrillt! Leg, einen Bann,
auf die Schwelle dein Hemd.
Holzauge, trüb vom grauen Star.
In Chacabuco, sagst du,
legen sie Elektroden an. Zum Glück
ist hier alles menschlicher.

Die Glocke! Wir nehmen
die Zahnbürsten aus dem Glas,
gehen die Gartentür öffnen

und lassen das Gras herein.

(Harald Gerlach [1940-2001], in: "Mauerstücke. Gedichte", Aufbau 1979)


Anmerkung: Dieses wichtige Gedicht beschreibt sehr eindrucksvoll die eigentlich pompöse und für jedermann wahrnehmbare Ankunft des schnöden Vergessens der faschistischen Schrecken der Vergangenheit. Unüberhör- und unübersehbar macht sich diese verschlagene Gestalt des "grünenden Grases", das bekanntlich zum Zwecke des Vergessens über die Dinge wächst, allerorten breit - allerdings bleibt jede Gegenwehr aus und das "Gras" wird von allzu vielen Menschen offenbar in derselben devot-unbeteiligten Haltung hingenommen wie zu anderen Zeiten, als staatliche Häscher - gerne zu nachtschlafener Zeit - die Türglocke schrillen ließen und die Betroffenen gerade mal ihre Zahnbürste einpacken durften, bevor die böse Reise ins finstere Ungewisse begann.

Diese Anklage des Vergessens oder Vergessen-Wollens finde ich sehr bemerkenswert - gerade auch vor dem Hintergrund der Zeit und dem Ort (erschienen ist das Gedicht schon 1979 in der DDR). Gewiss ist in diesen Zeilen auch eine gehörige Portion Systemkritik an der totalitären Pervertierung des Sozialismus enthalten - der Autor hat in der frühen DDR so manch böses Erwachen durchleben müssen. Dennoch blieb er diesem Staat - trotz aller Kritik - treu, obwohl er 1979 und danach jederzeit hätte auswandern können. 1997, dann längst im "goldenen Westen" angekommen, formulierte er in seinem Roman "Windstimmen" das denkwürdige Resümee: "Wir leben bloß in dem Moment, in dem wir begreifen, dass es das Leben nicht geben wird, auf das wir gewartet haben."

Was es aber geben wird - und da war sich Gerlach offensichtlich schon 1979 länderübergreifend sicher -, ist das dumpfe Vergessen und die damit zwingend verbundene Wiederholung des menschenfeindlichen Terrors. Wir müssen das heute noch viel bedrohlicher empfinden und verängstigter bestätigen - angesichts der faschistoiden neoliberalen Politik für die "Elite", der totalen Überwachung der BürgerInnen und damit einhergehenden staatlichen Repression, der stetig steigenden Kriegsgeilheit, der zunehmenden Verarmung immer größerer Teile der Bevölkerungen, der daraus bekanntermaßen resultierenden zunehmenden Ausländer- und generellen Minderheitenfeindlichkeit und nicht zuletzt der bereits existenten Geheimpolizeien, Lager und Foltermaßnahmen im "Namen der Freiheit und Demokratie", von denen gewiss erst ein Bruchteil wirklich bekannt ist.

Wenn Gras über die vergangenen Menschenfeindlichkeiten wächst, werden die neuen nur umso üppiger darauf blühen. Wir leben in einer äußerst grünenden, wahrlich schlimmen Zeit, die den verwesenden Geruch ihres braunen Untergangs meilenweit vor sich her trägt.

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Wer von uns wacht hier [bei den grünenden Trümmern von Auschwitz] und warnt uns, wenn die neuen Henker kommen? Haben sie wirklich ein anderes Gesicht als wir? Irgendwo gibt es noch Kapos, die Glück hatten, Prominente, für die sich wieder Verwendung fand, Denunzianten, die unerkannt blieben; gibt es noch all jene, die nie daran glauben wollten - oder nur von Zeit zu Zeit.

Und es gibt uns, die wir beim Anblick dieser Trümmer aufrichtig glauben, der Rassenwahn sei für immer darunter begraben, uns, die wir dieses Bild entschwinden sehen und tun, als schöpften wir neue Hoffnung, als glaubten wir wirklich, dass all das nur EINER Zeit und nur EINEM Land angehört, uns, die wir vorbeisehen an den Dingen neben uns und nicht hören, dass der Schrei nicht verstummt.

(Jean Cayrol [1911-2005]: Schlusskommentar in der Dokumentation "Nacht und Nebel" [1955], übersetzt von Paul Celan [1920-1970])