Mittwoch, 26. August 2015

Realitätsflucht (24): Edna bricht aus


Heute führt mich meine Realitätsflucht schnurstracks ins Irrenhaus. Es geht um das "Point & Click"-Adventure "Edna bricht aus", das vom Entwickler Daedalic im Jahr 2008 herausgebracht wurde.

Zum Inhalt des Spiels sei nur soviel verraten: Man steuert die Figur der jungen Edna, die zu Beginn mit einem - in Computerspielen so oft üblichen - "gelöschten Gedächtnis" in einer engen, natürlich verschlossenen Gummizelle erwacht, und muss fortan dafür sorgen, dass die Ärmste der abstrusen Geschichte, die sie dorthin gebracht hat, auf die Spur kommt, um das schreckliche Gefängnis wieder verlassen und den/die wirklich Schuldigen finden zu können.

Unterstützt wird Edna dabei von ihrem zynischen Stoffhasen Harvey, der selbstverständlich ein Eigenleben führt, mit Edna ausführlich kommuniziert und sie sogar gelegentlich auf eine mentale Zeitreise in die Vergangenheit schickt, wo das Mädchen bestimmte Schlüsselerlebnisse "nacherleben" kann, um dem finsteren Geheimnis ihrer Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Viel mehr will ich hier nicht verraten.

Diese kurze Beschreibung mag an ein infantiles Spiel für GrundschülerInnen erinnern. Es hat aus guten Gründen aber lediglich die Einstufung "FSK 12" erhalten - die ich allerdings ebenfalls für völlig unsinnig halte, da Kinder die vielen ironischen, sarkastischen und teilweise äußerst schwarzhumorigen Botschaften und Szenarien, die es hier in schierer Hülle und Fülle gibt, schlichtweg noch nicht verstehen können. Es handelt sich also in erster Linie um ein Spiel für "Erwachsene". Dies lässt auch der Titel schon vermuten, denn es ist keineswegs ein Zufall, dass der Name "Edna" genauso klingt wie der berüchtigte, italienische Vulkan. An diesem kleinen Beispiel wird schon deutlich, dass die Handlung dieses Spiels auf vielen versetzten Ebenen wirkt und entsprechend mehrdeutig zu verstehen ist - und das wird insbesondere an den vielen, vielen bissigen und absurden Dialogen deutlich, die - wie es sich für eine gute Geschichte ziemt - den eigentlichen Kern des Ganzen ausmachen.

Eingerahmt wird diese Geschichte von einigen teils knackigen, oft sehr witzigen Rätseln, die man auf dem Weg durch das Labyrinth der Anstalt und danach zu lösen hat. Man trifft auf wunderliche, groteske, witzige und auch tragische Charaktere, hat eine Menge Aufgaben zu erledigen und findet sich beim Spielen immer wieder vor Lachen prustend unter dem Tisch wieder - auch wenn das Gelächter gelegentlich böse im Halse stecken bleibt.

Grafisch ist das Spiel recht anspruchslos - es beruht aber immerhin auf handgezeichneten Vorlagen, die dann digitalisiert und animiert wurden. Besonders zu empfehlen ist der Kommentar des Urhebers und Hauptentwicklers Jan Müller-Michaelis (verantwortlich für Handlung, Dialoge und Grafik), der in den heute vertriebenen Versionen des Spiels zu jedem Raum, den Edna betritt, abgerufen werden kann. So erfährt man witzige Details und absurde Anekdoten zur Entstehungsgeschichte des Spiels.

Ich habe es auf einem Win7/64-System völlig problemlos und ohne Abstürze gespielt.

Das kafkaeske Werk hat 2011 mit "Harveys neue Augen" einen äußerst würdigen, nicht minder schwarzhumorigen Nachfolger erhalten, über den ich sicher später noch etwas schreiben werde. Zum Abschluss sollen aber Edna und Harvey zu Wort kommen - wobei diese wenigen Dialogschnipsel keinesfalls die epische Breite und Tiefe, die dieser Aspekt in dem wundervollen Spiel innehat, dokumentieren:

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Edna: "Brauchst du einen Helm, Harvey?"
Harvey: "Nein, danke. Wenn man nur Watte im Kopf hat, verliert man sein Gefahrenbewusstsein."
Edna: "Ja. Dieselben Tabletten habe ich auch bekommen."

(Nach "Benutze Ketchup mit Poloschläger"):
Edna: "Das Blut meiner Feinde klebt an diesem Poloschläger!"
Harvey: "Hmm. Das Blut deiner Feinde schmeckt nach künstlichen Geschmacksverstärkern."
Edna: "Psst."

(Nach "Benutze Stinkdrink mit Schloss"):
Edna: "Verflucht! In 'Monkey Island' hat das doch geklappt! Na toll. Dafür stinkt es hier jetzt bestialisch."

(Nach "Rede mit Waschbecken"):
Edna: "Vorhin saß ich noch in einer Zelle und redete mit der Wand, doch nach stundenlanger Kombinationsarbeit stehe ich endlich auf der Herrentoilette und rede mit einem Waschbecken." *seufz*
Waschbecken: "Du denkst, DU hast Probleme? Mann, ich BIN das Waschbecken!"

(Nach "Benutze Kleiderbügel Nr. 3 mit Schaufel"):
Stimme: "Herzlichen Glückwunsch. Sie haben die unwahrscheinlichste Kombination gefunden. Sie hätten einen Preis verdient. Leider machen wir nur Adventure-Spiele und keine Ego-Shooter. Dabei weiß doch jeder, dass man mit Adventures kein Geld machen kann. Darum können wir uns leider auch keine Preise leisten. Sorry."
Edna: "Hast du etwas gehört, Harvey?"
Harvey: "Wenn du mich nicht fragst, kann ich dich auch nicht belügen. Also sprechen wir nicht mehr davon, okay?"

(Anarchistische Kernaussage an jeder passenden und unpassenden Stelle im Spiel):
Harvey: "RANDALE!!!"


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