Samstag, 7. März 2015

O holder Frühling ...


Es wird Frühling. Jenseits der in der Natur zu beobachtenden Hinweise gibt es jedes Jahr aufs Neue untrügliche Indizien für diesen Umstand, und auch diesmal hat mich die geballte Beweiskraft an einem Samstagmorgen, den ich mir zum erfrischenden, langen Ausschlafen auserkoren hatte, wüst getroffen.

Es ist kurz nach 8 Uhr morgens - ich liege zu diesem Zeitpunkt gerade seit knapp vier Stunden im Bett und fröne in totaler Entspannung dem seligen Tiefschlaf -, als ich brutal und unvermittelt aus meinen kuscheligen Träumen gerissen werde. Kaum steigt das Thermometer im März knapp über 5 Grad, hält es die hiesigen Dorfbewohner (und es handelt sich meist um Männer) nicht mehr in ihren Behausungen - sie werden von einem zwanghaften, quasi teuflischen Wahn erfüllt, die Keller, Garagen und Gartenschuppen zu stürmen und die seit Monaten brachliegenden Folterinstrumente endlich wieder hervorzukramen. Und dann bricht der fröhliche Frühlingsreigen los: Von rechts ertönt das satte Kreischen einer Kreissäge, das nur in den Pausen vom durchdringenden Summen eines Schleifgerätes von links untermalt wird, das mein Bett zum Vibrieren bringt, während hinten jemand wie von Sinnen Löcher in etwas zu bohren versucht, das nur aus Stahlbeton, Granit oder Diamant bestehen kann. Zwischendurch mäht jemand - tatsächlich im März und morgens um 8 Uhr! - den Rasen und benutzt dazu natürlich ein Gerät, das eher an die Geräuschkulisse eines Presslufthammers erinnert. Aus der Ferne dringt in den wenigen Pausen Gehämmer an mein Ohr - mich dünkt, jemand habe mein um Gnade flehendes Gebet, auf dem Dorfplatz unverzüglich eine Reihe von Galgen für Lärmterroristen zu errichten, aus meinem schläfrigen Hirn geklaut.

In solchen Momenten frage ich mich jedes Mal wieder, wieso ich eigentlich vor vielen Jahren aus der Großstadt in die grüne, stille Naturidylle des Dorfes geflüchtet bin. - O holder Frühling auf dem Land in Deutschland, dein Name ist Lärm.

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Frühlingsnacht

Übern Garten durch die Lüfte
Hört' ich Presslufthämmer zieh'n,
Das bedeutet Frühlingsdüfte,
Unten fängt's schon an zu blüh'n.

Flehen möcht' ich, möchte weinen,
Ist mir's doch, als könnt's nicht sein!
Alte Qualen wieder scheinen
Mit dem Sägenklang herein.

Doch der Mond, die Sterne sagen's,
Und in Träumen rauscht's der Hain,
Und die Nachtigallen schlagen's:
Lärm ist deiner, er ist dein!

(frei nach Joseph von Eichendorff, 1837)

Freitag, 6. März 2015

Musik des Tages: Sinfonie Nr. 4, Es-Dur: "Die Romantische"




  1. Bewegt, nicht zu schnell
  2. Andante, quasi Allegretto
  3. Scherzo: Bewegt - Trio: Nicht zu schnell, keinesfalls schleppend
  4. Finale: Bewegt, doch nicht zu schnell

(Anton Bruckner [1824-1896]: "Sinfonie Nr. 4" Es-Dur, "Die Romantische" aus den Jahren 1874-80; Orquesta Sinfónica de Galicia, Leitung: Stanislaw Skrowaczewski)

Anmerkung: Dieses Musikstück war seinerzeit einer der Gründe, die mich dazu bewogen haben, Musiker zu werden. Das Werk ist eine konzentrierte Anhäufung von Momenten reinster, erhabener Klarheit, freudvoller Schwerelosigkeit, drohenden Unheils und der schmerzhaftesten Traurigkeit und Dramatik, immer wieder durchbrochen von multiplen orgiastischen Ausbrüchen und den vielen feinen Grautönen zwischen Schwarz und Weiß. Auch heute noch überzieht meinen Körper eine empfindliche Gänsehaut, wenn ich es anhöre - obwohl ich längst fast jeden Ton auswendig kenne.

Das sind schon viel zu viele Worte - die Sprache der Musik sagt doch so viel mehr.

Mittwoch, 4. März 2015

Wenn Ikonen fallen: Friedrich Küppersbusch


Friedrich Küppersbusch, ehemaliges Enfant terrible des WDR, dessen journalistische Tätigkeit von 1987 bis 1997 nach heutigen marktkonformen Maßstäben nicht nur als linksradikal, sondern geradezu als ketzerisch und verfassungsfeindlich angesehen würde, war kürzlich Gast in Holger Kreymeiers durchaus kritikwürdigem Netzmagazin Fernsehkritik TV. Ich war sehr gespannt und habe mir das erwartungsfroh angesehen.

Was ich dort allerdings tatsächlich zu sehen und hören bekam, war ein gealtertes, abstoßendes Abziehbild eines aufgeblasenen Pseudolinken, der längst im kapitalistischen Irrsinn angekommen ist und dies wortreich und unlustig zu verschleiern versucht. Genausogut hätte da auch irgendein Hansel von der asozialen SPD oder den kriegslüsternen Grünen sitzen können, der ausufernd erklärt, wie toll doch damals die Zeit gewesen sei, in der man noch systemkritisch "sein konnte" - aber inzwischen sind sie ja alle "erwachsen" geworden, haben sich brav arrangiert und im kapitalistischen "Wettbewerb" ihren profitträchtigen Platz gefunden. Es ist zum formidablen Speien.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass Küppersbusch damals eine der Figuren gewesen ist, die mir geholfen haben, meine politische Weltsicht zu entwickeln und zu festigen. Wenn ich allerdings das traurige Zerrbild betrachte, das dieser Mann heute abgibt, habe ich unwillkürlich das Albtraumszenario vor Augen, in dem ein gewisser Herr Marx seine Bücher auf einer Schnäppchen-Messe meistbietend zum Verkauf anpreist. "Linke" Kapitalisten finde ich noch weitaus ekeliger als alle anderen, die wenigstens keinen Hehl aus ihrer schlimmen Menschenfeindlichkeit machen.

Es ist gut, dass Küppersbusch nach seinem Rauswurf beim WDR einen Weg gefunden hat, trotzdem materiell zu überleben - und es ist bezeichnend und gleichzeitig widerwärtig, dass er sein erzwungenes Hurendasein seitdem nicht auch als solches erkennt und benennt, sondern es stattdessen - wie in diesem perversen System allseits gefordert - in den buntesten oder eher schrillsten Farben schönredet und dabei sogar noch von "Kreativität" faselt. Der Mann ist heute verantwortlich für RTL-Formate wie "Raus aus den Schulden" oder den debilen ARD-Blubberquark "Menschen bei Maischberger" - wie kreativ muss man wohl sein, um einen solchen schmierigen Schmarrn in die Welt zu koten?

Wenn demnächst Klaus Bednarz Parteiwerbung für die AfD macht, hänge ich mich endgültig auf. Vielleicht kann Küppersbusch oder eine/r seiner kreativen KollegInnen ja eine tolle Doku-Soup daraus machen und noch etwas Geld damit verdienen.

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Der Stilllebenmaler


"Die Äpfel kann ich hinten anbeißen, man sieht ja ohnehin nur die vordere Seite."

(Zeichnung von Ladislaus Kmoch [1897-1971], in "Simplicissimus", Heft 29 vom 12.10.1921)

Zitat des Tages: Monolog der Menschen


Wir sind die Welt gewöhnt.
Wir haben die Welt lieb wie uns.
Würde Welt plötzlich anders,
wir weinten.

Im Nichts hausen die Fragen.
Im Nichts sind die Pupillen groß.
Wenn Nichts wäre,
o wir schliefen jetzt nicht,
und der kommende Traum
sänke zu Tode unter blöden Riesensteinen.

(Ernst Meister [1911-1979], in: "Ausstellung. Gedichte", Rimbaud 1985; erstmals 1932)

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Ohne Titel



(Zeichnung von Ernst Meister, vermutlich aus dem Jahr 1970. Gouache, Tusche und Deckweiß auf Papier, Westfälisches Landesmuseum Münster)

Montag, 2. März 2015

Religiöse Irre unter sich


Man glaubt es kaum: Häuptling Verfaulter Fuß hat im Eso-Blog "Jenseits der Realität" nun endlich herausgefunden, wo der wahre Feind seiner Glaubenslehre, die alle Menschen zu einem liebevollen Miteinander in seliger Dummheit führen könnte, zu finden ist. Potzblitz! Wer sich das zweiteilige pseudowissenschaftliche Geschwurbel selber durchlesen möchte, sei dringend vor akuter Hirnfäule gewarnt oder fasse es als vollendete Satire auf - für alle anderen verkünde ich das sensationelle Ergebnis des Rottenfuß'schen Verdauungsprozesses hier vorab: The Loser is ... *Trommelwirbel-mit-drohenden-Jericho-Posaunen* ... der "Satanismus - die versteckte Agenda des Neoliberalismus"!

Das steht da wirklich. Ich habe keine Lust dazu, auf irgendwelche Details aus diesem hanebüchenen Text, der sich, wie so oft, in epischer Länge durch die Belanglosigkeiten müht und dabei quasi nebenbei immer wieder in der schieren Textmasse allzu viele haarsträubende Absurditäten, haltlose Behauptungen und an Schwachsinn grenzende Schlussfolgerungen versteckt - das fängt beim äußerst amüsanten Definitionsversuch des Begriffs "Satanismus" an (Hauptquelle dafür ist, natürlich, ein Eso) und endet noch lange nicht bei der semi-klerikalen Feststellung, dass es sich dabei selbstverständlich nicht um eine Religion oder auch nur etwas "Glaubensähnliches" oder gar "Spirituelles" handele. Ich wüsste wirklich nicht, wo ich anfangen sollte, wenn ich diesen esoterischen Erguss des totalen Irrsinns tatsächlich ernsthaft kritisieren wollte. Es muss sich um Satire handeln.

Wenn ein religiöser Irrer, der sich im Besitz der einzig gültigen Wahrheit wähnt, einen religiösen Wahn wie den Kapitalismus zu ergründen versucht, ist es nur logisch, dass im Ergebnis ebenfalls ein religiöser Wahn zu finden ist - auch wenn der verkündende Guru diesem Ergebnis das Religiöse gleich wieder abspricht. Das "falsche Religiöse" ist eben nicht religiös in dieser aberwitzigen Denkweise: Das "TINA"-Prinzip ist das wesentlichste Merkmal aller religiösen Gruppierungen, ganz egal welcher Couleur.

Fazit: "Alles Fotzen außer Mutti."

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(Der Häuptling, wie ihn aufgeklärte, humorvolle Menschen gerne wahrnehmen.)


"Der Aberglaube gehört zum Wesen des Menschen und flüchtet sich, wenn man ihn ganz und gar zu verdrängen denkt, in die wunderlichsten Ecken und Winkel, von wo er auf einmal, wenn er einigermaßen sicher zu sein glaubt, wieder hervortritt."

(Johann Wolfgang von Goethe, aus: "Wilhelm Meisters Wanderjahre", 1829)

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P.S.: Ich habe diesmal erst gar nicht versucht, einen Kommentar bei den Esos zu hinterlassen - falls das jemand nachholen möchte, um den Häuptling auf diesen Kurzkommentar hinzuweisen, sei sich diese Person des höllischen Zornes der "Hochsensiblen" und der Nicht-Freischaltung dort drüben gewiss. :-)

P.P.S.: Ich weiß, ich weiß - ich sollte es lassen. Aber wenn der Wahnsinn so laut schreit, wie sollte ich da einfach weghören?