Donnerstag, 30. Juli 2015

Rassismus: Semantik-Nachhilfe für den "Spiegelfechter"


Ein Gastbeitrag von Altautonomer

Jörg Wellbrock goes Lapuente. Er meint, mit populistischer Kritik am rassistischen Pöbel und seiner militanten Fraktion antifaschistischen Eindruck bei seinen Lesern machen zu können. Dabei übersieht er, dass seine eigenen Begrifflichkeiten genauso in die Kategorie der verharmlosenden Sprache gehören.

Wellbrock verharmlost in diesem Text die rechten Brandstifter und Schläger wie ein "Rechtsstaatpatriot" und verortet sie lediglich in der strafrechtlichen Kategorie der "Verbrecher" und "Kriminellen". Die nationalistische, völkische und volksverhetzende Komponente der Motive stellt er dabei gar nicht heraus. Es wäre in einem derartigen Text eine gute Gelegenheit gewesen, den gesellschaftlich-rassistischen Konsens hinter derartigen Gewalttaten explizit herauszuarbeiten.

Unbedarfte LeserInnen könnten angesichts dieses Textes nämlich den Eindruck gewinnen, dass diese militanten Rechten tatsächlich für eine Mehrheit agierten und dass das, was numerisch als Minderheit in Erscheinung tritt, in gesellschaftlichem Sinne eine Mehrheit hinter sich habe - so etwas wie eine "kulturelle Hegemonie", was die Straße, den öffentlichen Raum, den Diskurs, die Zuspitzungen und die klammheimliche Freude anbelangt. Und das alles auch noch mit der Gewissheit, beim Erwischtwerden ja doch bloß mit einer resozialisierenden Bewährungsstrafe davonzukommen, weil ja auch nach 1945 die Großväter schon für ihre Massenmorde mit einem Verwarnungsgeld hart bestraft wurden.

Im ersten Absatz erwähnt Wellbrock in einem begrifflichen Eintopf unter anderem den euphemistischen Begriff für Rassisten: "Ausländerfeinde", der zur Vermeidung des Substantivs "Rassist" besonders gern von der politischen Elite benutzt wird. Damit soll ausgedrückt werden, dass es gegenüber den fremden Ethnien doch nur an mehr "Freundlichkeit" fehle. Diese "Feindlichkeit" (Unfreundlichkeit) gegenüber (inländischen) Ausländern bedürfe demnach doch nur einer Überleitung in eine "Willkommenskultur". Der Begriff "Ausländerfeindlichkeit" suggeriert verharmlosend so etwas wie "schlechtes Benehmen".

Im vorletzten Absatz bestätigt Wellbrock seinen semantischen Fauxpas noch einmal mit dem Satz: "Und ein menschenverachtender Ausländerfeind wird nicht sympathischer, wenn man ihm einen neuen Namen gibt." - Ich ergänze: Und ein Rassist wird nicht durch problemflankierende Sprachregelungsanästhesie verdelt, indem man ihn zum "Ausländer-" oder "Fremdenfeind" befördert.

Die Akteure der rassistisch motivierten Gewaltexzesse in Dresden und anderswo sind dieselben Gesinnungstypen, die auch in den letzten Jahren über 170 Morde an "undeutschen" Deutschen und "Nichtdeutschen" begangen und all diejenigen deutschen Staatsbürger drangsaliert haben, die nicht in ihr irrsinniges Menschenbild von der "arischen" Herrenrasse passten, wie beispielsweise auch Behinderte, Punks, Obdachlose usw. Meines Wissens hat der NSU auch keine Ausländer ermordet.

Deshalb gebe ich Herrn Wellbrock seinen Schluss-Satz mit der Bitte, ihn noch einmal gründlich zu durchdenken, zurück: "Wir sollten uns Sorgen machen, ja. Um eine verschleiernde Sprache, die die Dinge nicht mehr beim Namen nennt."

Im Kommentarbereich beim Spiegelfechter finden sich dann auch die in den Mainstreammedien üblichen Hasskommentare bis hin zur "Viktimisierung" der zündelnden Schreiberlinge und Brandstifter. Angesichts der üblichen Beleidigungen wie "Spinner", "Linksfaschist" und "Gutmensch" bleiben die antifaschistischen Argumente nicht nur in der Minderzahl, sondern werden auch von der Seite der "Gutmenschen" so gut wie gar nicht erwähnt. In einigen Kommentaren sind es sogar wieder einmal die Flüchtlinge selbst, die allein durch ihre Anwesenheit die "berechtigten Ängste" erzeugen und damit den Täterstatus erhalten. Ein gewisser "Andreas" bringt das - sprachlich verpackt mit der Standardbemerkung "ich bin kein Nazi" - auf den BLÖD-"Zeitungs"-Niveauhöhepunkt: "Am späten Abend ziehen abgerissene Gestalten in Gangs [???] durch die Straßen und sammeln sich nachts, oft lautstark diskutierend, an einer Bushaltestelle." Ein anderer bezeichnet die Ärmsten zwar nicht als "Gangs", meint aber, dass "die Horden von Wirtschaftsflüchtlingen" von ihm als "Steuerzahler durchgefüttert" werden müssten. Die Krönung des Ganzen ist dann dieser Satz desselben Typen, den ich nur als Satire verstanden wissen will: "Bei uns in Hinter-Tupferheimstetten war es genauso: Am Anfang saßen sie nur an der Bushaltestelle und unterhielten sich laut. Da reichte es noch, das Fenster zu schließen. Später hörte man regelmäßig die Schreie von Frauen die vergewaltigt wurden."

Der Stammkommentator GrooveX bringt es letztlich auf den Punkt: "der müll hier wird langsam unerträglich. seit wann kann der spiegelfechter sich leisten, zur ausweichstelle für pi-anhänger zu dienen?" - Mit vermeintlicher Dokumentationspflicht hat dies nichts zu tun. In den 90er Jahren landeten Leserbriefe mit rassistischen Inhalten bei den Printmedien wie selbstverständlich im Papierkorb.



(Antisemitische, zum Erbrechen lächerliche Nazi-Hetzschrift eines gewissen Wilhelm Matthießen aus dem Jahr 1938, ganz im Stile des heutigen "KOPP-Verlages" und ähnlicher Bekloppter)

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Anmerkung des Kapitäns: Als ich den oben verlinkten Beitrag des Spiegelfechters und insbesondere die Kommentare dazu gelesen hatte, habe ich endlich beschlossen, mein Restgehirn zu trocknen, zu zerbröseln und nach und nach in schönen, dicken Tüten zu rauchen. Es ist aus meiner Sicht gar nicht zu fassen, mit welcher Unverfrorenheit und offensichtlichen Dummheit nicht nur die üblichen Rassisten, von denen man ja nichts anderes erwartet, sondern auch die vermeintlichen Verfechter des Humanismus' dort an dieses Thema herangehen. In Sachen Dämlichkeit tun sich beide Seiten (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) hier nicht viel - dieser Beitrag Wellbrocks inklusive der Kommentare ist ein beredtes Beispiel für die vollendete Verblödung der Menschheit.

Ich danke dem Altautonomen sehr, dass er sich die Mühe gemacht hat, sich in diesem stinkenden Sumpf umzusehen und etwas dazu zu schreiben. Ich selber hätte hier wohl nur bösartige Beschimpfungen und sabbernde Halbsätze der Fassungslosigkeit zustande gebracht.

Song des Tages: Victims Of Contingency




(Epica: "Victims Of Contingency", aus dem Album "The Quantum Enigma", 2014)

Your words are meaningless, as pain fills the void
Hollow words won't hurt no longer
You will regret every life you've destroyed
Blaming the whole world will never make you stronger

Be prepared for the righteous self

If you blame all your failures on someone else
Without any remorse
Without your remorse
If you don't face the weakness of your own self
You will take the same course
You'll take the same course

Your deeds are reasonless, you adore yourself
Empty deeds impress no longer
You will regret everyone you've envied
Blaming it on life will never make you stronger

Be prepared for the confrontation

If you blame all your failures on someone else
Without any remorse
Without your remorse
If you don't face the weakness of your own self
You will take the same course
You'll take the same course

If you blame all your failures on someone else
You avoid every chance
You've lost your last chance
To learn from yourself

If you blame all your failures on someone else
Without any remorse
Without your remorse
If you don't face the weakness of your own self
You will take the same course
You'll take the same course

We can't blame all our failures on someone else
For our own protection
So much to protect
We can't learn from decisions in our own lives
Without self-reflection
We will never flee from contingency

We will never flee from contingency



Anmerkung: Das superreiche Gaunergesindel versteht solche Texte einfach nicht ... davon konnten schon Erich Kästner ("Ansprache an Millionäre", 1932) und Joachim Ringelnatz ("Rachegelüst", 1927) ein frustriertes Liedchen singen. Die perverse Zeitschleife des Irrsinns dreht nunmehr unbehelligt ihre nächste Runde.

Dienstag, 28. Juli 2015

Marktkonforme Menschenfeindlichkeit: "Wir verarmen sie alle!"


Der Kollege vom Blog "Dudentity" hat kürzlich einen entwaffnenden Text ins Netz gestellt, den ich hier sehr gern unterstützen möchte. Er beschreibt dort in klaren Worten, wie er in das menschenverachtende Hartz-Terror-System gerutscht ist, das von "Sozialdemokraten" und "Grünen" in wunderbarer Eintracht mit den üblichen Menschenfeinden von der CDU/CSU und FDP ersonnen und in die Tat umgesetzt worden ist.

Die politischen "Architekten" bzw. Exekutoren dieses staatlichen Zwangsverarmungsterrors sind heute größtenteils Millionäre und befassen sich längst nicht mehr mit den Belangen der verarmten Bevölkerung, sondern leben in fürstlichen Villen, beziehen horrende, meist leistungslose Vergütungen und genießen das süße Luxusleben, das die "Elite" ihren kleinen SteigbügelhalterInnen und devoten DienerInnen in der Regel angedeihen lässt.

Am Rande sei noch darauf hingewiesen, dass dieses neoliberale, asoziale Konzept zuerst in den USA erprobt und erst danach von Widerlingen wie Roland Koch (natürlich CDU) nach Europa importiert und später von Arschlöchern wie Schröder und Fischer umgesetzt wurde. Selbstverständlich ist auch Herr Koch - trotz seiner vielfältigen Pleiten nach seiner politischen Karriere - heute Millionär. Ich möchte lieber gar nicht wissen, welche königlichen Bezüge allein diese schmierige Figur aus der Staatskasse für seine vergangenen Minister- und Ministerpräsidentenposten monatlich erhält - natürlich zuzüglich seiner momentanen Einkünfte in der freien Wirtschaft kapitalistischen Mafia. Über den ergaunerten Reichtum der Schröders und Fischers, die an diesem ekelhaften Coup beteiligt waren, rede ich lieber erst gar nicht.

Für das individuelle Opfer des staatlichen Hartz-Terrors spielt das aber ohnehin keine Rolle, denn dieses ist - wie in Deutschland seit vielen, vielen Jahrzehnten üblich - nicht nur mit korrupten, widerwärtigen PoltikerInnen, sondern auch mit willigen, widerstandslos ablaufenden Zahnrädern in der Bürokratie konfrontiert. Da wird das angebliche "Existenzminimum", das freilich keines ist, von den staatlichen Schergen wollüstig gekürzt, dass die Schwarte kracht; und wie im kaptalistischen System üblich (um nicht zu schreiben: "zwingend erforderlich") wird auch hier behördlicherseits regelmäßig und bewusst gelogen, betrogen und gefälscht. In dieser Hinsicht unterscheiden sich korrupte PolitikerInnen und die auf ihren Job angewiesenen BehördenmitarbeiterInnen (die heute dank des neoliberalen Terrors nur noch selten "Beamte" und damit nicht mehr unkündbar sind) nicht.

Und sie machen immer weiter: Zwangsarbeit, Reiseverbot, Gettoisierung, Verhinderung der freien Berufswahl, Zwangsverarmung bis aufs letzte Hemd und so vieles mehr haben sie bereits umgesetzt - der nächste logische Schritt wäre nun die Vernichtung. Aus kapitalistischer Sicht ist es bloß doof, dass das Grundgesetz und gewisse historische Elemente sie daran noch hindern - aber da dieses dumme Gesetz all das Vorgenannte sowie die Abweisung von Asylsuchenden, Kriegshandlungen und so vieles mehr ebenfalls verbietet, während die korrupte Bande es mit juristischer Legitimation dennoch fleißig tut, ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Vernichtungsfrage "grundgesetzlich" bzw. im Sinne des Kapitals - also marktkonform und juristisch abgesegnet - geklärt ist.

Die austauschbaren Herren und Damen Koch, Schröder, Fischer, Gabriel, Merkel und wie sie auch alle heißen mögen, köpfen derweil eine Champagnerpulle nach der anderen und lassen es sich gut gehen, während die nach eigener Wahrnehmung nicht austauschbare "Elite" der Superreichen wie immer unsichtbar bleibt. Und der Kranke, Alte, Behinderte, Arbeitslose, Flüchtling ... guckt wie immer dumm in die Röhre - und hofft inständig, dass dies doch noch nicht die braune Glut des Krematoriums sei.

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Pfändung für den Verleih



(Gemälde von David Wilkie [1785-1841] aus dem Jahr 1815, Öl auf Leinwand, National Gallery of Scotland)

Montag, 27. Juli 2015

Zitat des Tages: Herbstgefühl


Der große, abendrote Sonnenball
rutscht in den Sumpf, des Stromes schwarze Eiter,
den Nebel leckt. Schon fließt die Schwäre breiter,
und trübe Wasser schwimmen in das Tal.

Ins finstre Laub der Eichen sinken Vögel,
Aasvögel mit den Scharlachflügeldecken,
die ihre Fänge durch die Kronen strecken,
und Schreien, Geierpfiff, fällt von der Höhe.

Ach, alle Wolken brocken Dämmerung!
Man kann den Schrei des kranken Sees hören
unter der Vögel Schlag und gelbem Sprung

wie Schuss, wie Hussa in den schwarzen Föhren
ist alle Farbe! Von dem Fiebertrunk
glänzen die Augen, die dem Tod gehören.

(Paul Boldt [1885-1921], in: "Die Aktion", Nr. 34 vom 21.08.1912)

Anmerkung: In einem Nachruf auf den so früh verstorbenen Dichter, der schon zu Leb- und Leidenszeiten verstummte und im Vergessen versank, hieß es 2014 [sic!]: "Heute lebt niemand mehr, der Paul Boldt beschreiben könnte. Kein Bildnis hat sich erhalten, kaum Handschriftliches. / Das Überlieferte ist überschaubar, schnell gelesen: 85 Gedichte, zwei Prosa-Miniaturen, sechs Postkarten aus dem Jahre 1913. Das Wenige aber ist von elementarer Kraft, explosiv. / Vor hundert Jahren erschien der einzige Lyrikband des am Silvestertag 1885 geborenen Paul Boldt. 'Junge Pferde! Junge Pferde!' wurde von Kurt Wolff als elfter Band in der Reihe 'Der jüngste Tag' herausgegeben und machte den Verfasser schlagartig bekannt." - Das Sonett ist ein beredtes Beispiel für das "Lebensgefühl" in einer untergehenden Zeit der kapitalistischen Habgier, die als "Krisenlösung" bekanntlich einzig den bis dahin furchtbarsten Weltkrieg zur Folge hatte.

Heute treffen Boldts bittere Worte erneut das Herz der ausgeplünderten Menschheit auf der doch so "reichen" Insel des "zivilisierten Westens" [lol!]. Die ersten Stellvertreterkriege sind längst im Gange, und der nächste Weltkrieg steht unweigerlich vor der Tür, wenn dem widerwärtigen Treiben der kapitalistischen Bande nicht endlich, endlich Einhalt geboten wird.

Heute gibt es keine Zeitschrift wie "Die Aktion" und keine Verlage wie den Kurt-Wolff-Verlag mehr, die derartige "zeitgeistliche" Texte publizieren und damit viele Menschen erreichen könnten - wir sind stattdessen umfassend eingelullt von der allgegenwärtigen Propaganda und kontinuierlichen Ablenkung und "Unterhaltung" der kapitalistischen Medienindustrie. Die Lage ist somit noch viel aussichtsloser als sie es 1912 gewesen ist. Es bedarf wahrlich keiner großen intellektuellen Kompetenz, sich die drohenden Folgen in der heutigen Blütezeit der Massenvernichtungswaffen und totalen Überwachung auch nur rudimentär auszumalen.

Boldt schrieb an anderer Stelle (in dem Gedicht "Der Dichter", 1914):

Sein Mund geht lüstern auf. Er lächelt wild.
Hinter die Zähne bergend seinen Schrei.

Es ist kein großes Mysterium, dass es dennoch weiterhin erschreckend ruhig bleibt im perversen Lande Kapitalistan.