Freitag, 14. August 2015

Musik des Tages: Orcus Humanum Est / Leiden




(Klaus Schulze & Lisa Gerrard: "Orcus Humanum Est / Leiden", aus dem Live-Album "Big In Europe, Vol. 2", 2014; aufgenommen 2009 in Amsterdam)



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Anmerkung: Punkt.

Donnerstag, 13. August 2015

Zitat des Tages: Keiner blickt dir hinter das Gesicht


Niemand weiß, wie arm du bist ...
Deine Nachbarn haben selbst zu klagen.
Und sie haben keine Zeit zu fragen,
wie denn dir zumute ist.
Außerdem, - würdst du es ihnen sagen?

Lächelnd legst du Leid und Last,
um sie nicht zu sehen, auf den Rücken.
Doch sie drücken, und du musst dich bücken,
bis du ausgelächelt hast.
Und das Beste wären ein Paar Krücken.

Manchmal schaut dich einer an,
bis du glaubst, dass er dich trösten werde.
Doch dann senkt er seinen Kopf zur Erde,
weil er dich nicht trösten kann.
Und läuft weiter mit der großen Herde.

Sei trotzdem kein Pessimist,
sondern lächle, wenn man mit dir spricht.
Keiner blickt dir hinter das Gesicht.
Keiner weiß, wie arm du bist ...
(Und zum Glück weißt du es selber nicht.)

(Erich Kästner [1899-1974]: "Keiner blickt dir hinter das Gesicht (Fassung für Beherzte)", in: "Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke", Atrium 1936)


Anmerkung: Dieses kleine Büchlein, das eine Auswahl von Kästners Gedichten enthält, wurde erstmals im furchtbaren Jahr 1936 in der Schweiz veröffentlicht, während der Autor sich weiterhin in Dunkeldeutschland aufhielt und sich mit den zunehmenden Schikanen und Verfolgungen der Nazibande herumzuschlagen hatte. Es verwundert nicht weiter, dass dieses Gedicht heute wieder brandaktuell ist und den Zustand der zerfallenden bzw. von interessierter Seite einmal mehr bewusst zur Zerstörung freigegebenen Gesellschaft heute ebenso trefflich beschreibt wie damals.

Eine besondere "Berühmtheit" erlangte das Büchlein durch Marcel Reich-Ranicki, der 1999 in seiner Autobiographie darüber berichtet. Die FAZ dazu: "Für den jungen Marcel Reich war die 1936 in Zürich erschienene Sammlung von Gedichten Kästners, auf die er bei einem Bekannten im Warschauer Getto stieß, ein glücklicher, gänzlich unerwarteter Fund. In seiner Autobiographie 'Mein Leben' hat Reich-Ranicki festgehalten, was der damals Zwanzigjährige nach der Lektüre der ersten Seiten empfand: 'Ich wollte dieses Buch unbedingt haben.' Aber es war im Getto nicht zu bekommen. Reich-Ranickis Wunsch ging dennoch in Erfüllung: Teofila Langnas, die junge Tochter eines Nachbarn, der sich aus Verzweiflung im Getto das Leben genommen hatte, schrieb 56 der insgesamt 119 Gedichte mit der Hand ab, versah die Seiten mit eigenen Zeichnungen und heftete sie sorgfältig zusammen." - Dieses Zeitdokument hat die finsteren Zeiten überdauert und wurde im Jahr 2000 erstmals publiziert.


Dienstag, 11. August 2015

Schöne neue Welt: Wohnzellen


Ihr habt sicher schon von den Mini-Wohnungen in Japan gehört. Gerade in Großstädten gilt dort auch für die so genannte Mittelschicht: "Wer in Tokio lebt, muss sich oft mit weniger als zehn Quadratmetern begnügen. Nur wer reich ist, hat's besser." Der Grund dafür ist relativ einleuchtend: Japan ist klein und extrem überbevölkert - da muss man in der Großstadt eben "zusammenrücken", wenn man das perverse Prinzip des ewigen Wachstums (eben auch der Bevölkerung) sowie die gottgegebenen Privilegien der wenigen Reichen nicht in Frage stellen will bzw. darf.

Merkwürdigerweise finden sich ähnliche Entwicklungen aber auch in Ländern, die trotz hoher Bevölkerungszahlen nun gewiss nicht unter einem Platzproblem leiden, wie das beispielsweise in China der Fall ist: "Zwei Quadratmeter Wohnraum braucht der Mensch / Um die Wohnungsprobleme in Peking zu verbessern, hat ein chinesischer Ingenieur Wohnkapseln nach japanischem Vorbild entwickelt". Eine tolle Innovation ist das: Während große Landstriche veröden, stopft man die Menschen halt in "Ballungsräumen" eng zusammen, damit sie sich noch profitabler ausbeuten (und austauschen) lassen. Diese alte kapitalistische "Logik" erfährt heute ganz neue, immer absurdere Auswüchse. Ein besonders widerliches Beispiel bleiben weiterhin die "Käfigmenschen" in Hongkong, über die ich vor fast drei Jahren schon einmal geschrieben habe.

Seitdem hat sich selbstverständlich weder in Japan, noch in China oder anderen Regionen etwas zum Guten verändert - der Kapitalismus kennt schließlich nur eine Richtung, und die führt stets weiter nach unten. Stattdessen erreichen diese Auswüchse immer offensichtlicher auch den "reichen, freien Westen": Nach dem Hartz-Terror der Zwangsverarmung mit seinen massenhaft erzwungenen Umzügen von Betroffenen in "angemessene" (sprich: kleinere, billigere, oftmals gettoisierte) Wohnungen liegt nun der nächste ekelige Anschlag auf dem Tisch. Bei n-tv las ich kürzlich:

Zur Bekämpfung der Wohnungsnot sollen in Ballungsräumen mehrere Tausend sogenannter Mikrowohnungen entstehen. Dazu werde die Bundesregierung 120 Millionen Euro in die Entwicklung solcher Kleinstunterkünfte investieren, sagte Bundesbauministerin Barbara Hendricks der "Bild". Die Unterkünfte seien vor allem für Studenten und Auszubildende gedacht.

Dort ist von sagenhaften 14 Quadratmetern Wohnraum pro "Wohnzelle" die Rede - damit liegt die SPD[!]-Ministerin immerhin knapp über dem japanischen Vorbild. Es ist offensichtlich, dass es hier selbstverständlich nicht vornehmlich um Wohnraum für Studierende und Azubis geht - dafür könnten schließlich, wie das in vergangenen Zeiten der Fall war, entsprechend viele Wohnheime gebaut bzw. eingerichtet werden, die auch nur diesen Gruppen vorbehalten sind. Die tatsächliche Absicht dieses "Wohnzellen"-Konzeptes dürfte angesichts der genannten Beispiele doch recht offensichtlich sein. Der "angemessene" Wohnraum für Kranke, Alte, Behinderte, Arbeitslose, Flüchtlinge, Ausgebeutete etc. dürfte zukünftig noch weitaus bescheidener ausfallen als heute schon.

Selbstverständlich darf in einem solchen propagandistischen Bericht auch der zuständige Lobbyverband der Wohnungsmafia nicht fehlen, der mutmaßlich (also wie gewohnt) nicht ganz unbeteiligt an diesem Vorhaben sein dürfte:

Nach den Vorstellungen des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) soll es von Bund und Ländern finanziert werden [und] drei Milliarden Euro umfassen. / (...) Die Baukosten in Deutschland seien inzwischen so hoch, dass ohne öffentliche Förderung gebaute Mietwohnungen sich für den Bauherrn erst ab einem Quadratmeterpreis von elf bis zwölf Euro rechneten.

Drei Milliarden Euro. Aus der Staatskasse. Als "Förderung" für private Bauunternehmen. Weil sich das sonst "nicht rechnet". Für "Wohnzellen". --- Sie verarschen uns mit direkter, lauter Ansage; sie schreien uns die Verarschung, Verarmung und Niedertracht sogar mitten ins Gesicht, und kaum jemand merkt's.

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Wie werde ich im Jahr 2000 leben?



(Zeichnung des damals 12jährigen Vincenzo Busacca; Beitrag zur gleichnamigen Ausschreibung der Neuen Zürcher Zeitung und dort als erster Preis veröffentlicht am 19. Juli 1979)