Freitag, 6. November 2015

Realitätsflucht (25): Amnesia - The Dark Descent


Das Spiel, um das es heute geht, war vor über drei Jahren schon einmal Thema hier im Blog und für mich persönlich der Anlass, mich überhaupt zum ersten Mal mit einem Computerspiel näher zu beschäftigen. Seitdem bin ich "infiziert" und habe eine ganze Reihe weiterer Spiele ausprobiert, von denen ich hier in sporadischen Abständen berichtet habe. Es geht um das "Horror-Adventure" Amnesia - The Dark Descent vom schwedischen Entwickler Frictional Games aus dem Jahr 2010.



Nach diesen drei Jahren habe ich das Spiel kürzlich ein zweites Mal gestartet und muss meine Wertung von damals (in den Kommentaren unter dem oben verlinkten Gastbeitrag) teilweise revidieren und vor allem erweitern. Ich hole dazu etwas aus und warne alle, die das Spiel noch nicht kennen, ausdrücklich vor Spoilern.

Die Handlung spielt im frühen 19. Jahrhundert. Der Protagonist, in dessen Rolle der Spieler in der Ego-Perspektive schlüpft, erwacht in einem verlassenen Trakt einer halb zerfallenen, mittelalterlichen Burg und kann sich lediglich an seinen Namen erinnern: Daniel heißt er. Sodann macht er sich verwirrt auf, einen Weg aus dieser Burg zu finden und entdeckt dabei immer wieder Hinweise, die das Rätsel seiner Anwesenheit sowie die zurückliegenden Ereignisse, die zu diesem merkwürdigen Zustand geführt haben, nach und nach erhellen. Von Anfang an ist die Atmosphäre bedrohlich und Daniel wird schnell klar, dass er sehr auf der Hut sein muss; mit jedem Schritt, den er weiter in das Innere der stetig finsterer werdenden Burg setzt, nimmt diese Bedrohung zu.

Nebenbei gibt es immer wieder kleinere und größere Rätsel zu lösen, um in den jeweils nächsten Bereich zu gelangen - es versteht sich von selbst, dass Daniel dabei immer wieder Leib und Leben riskieren muss, um in den Besitz der erforderlichen Informationen oder Gegenstände zu gelangen. Viele dieser Bedrohungen sind offenbar zufallsgeneriert bzw. können bei dem einen Spieler an jener Stelle, bei einem anderen anderswo auftreten, so dass auch beim zweiten Spielen kaum vorhersagbar ist, wann der Horror nun zuschlägt.

In diesem Spiel gibt es keine Kämpfe - Daniel besitzt nicht einmal eine Waffe. Seine einzigen Möglichkeiten, dem drohenden "Schatten", der ihm auf seinem Weg in die Finsternis der Burg und damit in seine eigene Vergangenheit folgt, zu entgehen, besteht darin, sich möglichst klug zu verhalten, sich im richtigen Moment am passenden Ort zu verstecken, gelegentlich Ablenkungsmanöver zu inszenieren oder - wenn sonst gar nichts mehr hilft - Türen zuzuschlagen und in wilder Panik davonzulaufen. Das gelingt nicht immer - und ich vermute, dass einige Stellen im Spiel bewusst so konzipiert sind, dass man sie beim ersten Versuch gar nicht bewältigen kann. Ich jedenfalls habe es auch beim zweiten Durchspielen nicht geschafft, jede Bedrohungssituation ohne vorzeitiges Ableben meines bedauernswerten Antihelden zu überstehen.

Der Titel "Abstieg in die Finsternis" ist hier durchaus wörtlich zu nehmen - nichts in diesem Spiel ist so präsent wie die zunehmende Dunkelheit, und zwar sowohl in der dargestellten physischen Umgebung und der Atmosphäre, als auch in der Geschichte, die vom reinen Grusel des Anfangs im weiteren Verlauf zu einer wahrhaft entsetzlichen faschistischen Folter- und Mordschlächterei wird.

Diese Finsternis wirkt in vielerlei Hinsicht fatal auf Daniel, denn sie führt nach einer gewissen Zeit zum Beispiel unweigerlich zu einem Nervenzusammenbruch, der ihn zeitweilig bewegungsunfähig macht - was tunlichst dann nicht vorkommen sollte, wenn gerade "etwas" in der Nähe ist. Deswegen gilt es, immer wieder eine der spärlich verteilten Lichtquellen aufzusuchen bzw. mithilfe der ebenso spärlich im Spiel auffindbaren "Zunderbüchsen" eine erloschene Kerze oder Fackel, von denen es Legionen gibt, zu entzünden und sich so "mental" zu regenerieren. Dabei sollte man aber mit Bedacht vorgehen, denn im späteren Verlauf der Geschichte gelangt man in derartig finstere Bereiche, die ohne eine entsprechende Anzahl von "Zunderbüchsen" kaum zu überstehen sind. Dasselbe gilt für die tragbare Laterne, für die man nur sehr selten einige Tropfen Öl findet und daher sehr genau abwägen sollte, wann man sie anzündet - zumal Daniel vom verfolgenden "Schatten" bei leuchtender Laterne auch sofort entdeckt und natürlich ins Jenseits befördert wird, sofern dieser gerade in der Nähe ist. Auch die Heiltränke, die hier "Laudanum" heißen, sind äußerst rar gesät - haben aber ohnehin nur eine nebensächliche Bedeutung bezüglich der "kleineren" Gefahren, die in der Burg lauern, denn wenn der "Schatten" erfolgreich zuschlägt, ist Daniels Leben unverzüglich nach dem ersten Hieb ausgehaucht.

Selbstverständlich gibt es in Amnesia keine Karte, anhand derer man sich orientieren könnte - in den zuweilen labyrinthartigen oder selten auch riesigen, dunklen Arealen bleibt dem Spieler nichts weiter übrig, als suchend und möglichst schleichend herumzuirren oder - falls denn jemand so spielen sollte - sich selbst eine Kartenskizze auf einem Stück Papier anzufertigen. Letzteres wird aber sehr schnell unterbunden, wenn man wieder einmal gezwungen ist, die Beine in die Hand zu nehmen, um wild zu flüchten - denn dann weiß man sehr schnell nicht mehr, wo man sich gerade befindet.

Den Entwicklern ist mit diesem Spiel ein wahres Juwel gelungen, das seinesgleichen in diesem Genre vergeblich sucht. Auch beim zweiten Durchspielen ist die Atmosphäre umwerfend bedrückend, führen die Schockeffekte zu Herzstillständen und wirkt die sich entblätternde Geschichte dermaßen widerwärtig, dass es nicht selten vorkam, dass ich das Spiel vor dem Betreten eines neuen Bereiches für mindestens 24 Stunden unterbrechen musste, weil mein Nervenkostüm zuvor zu arg gelitten hatte. Dabei handelt es sich hier keineswegs um ein "Action"-Spiel - die Zeit spielt nur an drei Stellen eine gewisse Rolle. Die gefühlte Hälfte der Spielzeit habe ich ohnehin bibbernd in irgendwelchen dunklen Schränken, Hinterzimmern oder finsteren Ecken gehockt, um mich vor dem drohenden Unheil zu verstecken.

Graphisch ist diese Geschichte trotz des kleinen Entwicklerstudios fantastisch umgesetzt, wobei seit dem Jahr 2010 auf diesem Gebiet natürlich viel passiert ist. Die Musik ist perfekt und könnte nicht besser zu diesem Spiel passen. Die gesprochenen Texte (Englisch mit optional angezeigter deutscher Übersetzung) sind grandios und professionell vertont. Auf meinem Win7/64-System gab es keinerlei Probleme oder Abstürze. Es gibt ein - meines Wissens kostenloses - Add-on namens "Justine" zu diesem Spiel, das ich aber weniger gelungen finde und deshalb hier ausklammere. Mein einziger Kritikpunkt: Mir ist das Spiel zu kurz! Wäre es nach mir gegangen, hätte die Geschichte samt Szenario zehnmal epischer ausfallen dürfen.

Fazit: Wer Amnesia nicht spielt, verpasst ein großartiges Highlight aus dem Genre des "Survival-Horrors" und gleichzeitig ein eindrucksvolles Beispiel für das überbordende künstlerische Potenzial, das jenseits der kapitalistischen Verwertungsunlogik in diesem Bereich schlummert.

Mittwoch, 4. November 2015

Song des Tages: In The Dark




(The Birthday Massacre: "In The Dark", aus dem Album "Pins And Needles", 2010)

All these broken pieces left unglued
Should never find their way
Into the hands of someone like you

I'm in the dark
I'm alone around you
I've never been here before
Nobody here to get me through
I'm in the dark

Every minute shared is never mine
Frozen in this fog and hiding
Every second in time

I'm in the dark
I'm alone around you
I've never been here before
Nobody here to get me through

I'm losing my faith in every way
It points to you
I'm in the dark
I'm alone around you
I'm in the dark

The more bleak the day
The less I behave as if
Everything black can wash away
Why can't I just trade a dream for a way
To peel back the shade behind the gray

I'm in the dark
I'm alone around you
I've never been here before
Nobody here to get me through

I'm in the dark


Dienstag, 3. November 2015

Zitat des Tages: Inserat


Das Meer hat seine Gestade verändert,
Übel riecht sein Mund,
Wild bellt es durch die Regenwindnacht.
Die Sterne hausen in undurchsichtigen Wolken,
Im Auto sinnt ein Bankier:
"Was bezahlt der Mond für sein Licht?
Was hat die Sonne davon?"
Ich aber möchte in allen Welten groß inserieren:
Komet gesucht,
der die Erde zertrümmert.

(Albert Ehrenstein [1886-1950], in "Werke, Band 4: Gedichte", Klaus Boer 2003; zuerst in "Simplicissimus", Heft 8 vom 21.05.1928)


Statt einer Anmerkung ein Auszug aus dem Vorwort des Herausgebers Hanni Mittelmann zu dem Ehrenstein-Band "»Kein Schrei weckt dies konservativ blökende Schlafvolk«. Aphorismen aus den Tagebüchern":

"Zwischen allen erreichbaren Stühlen sitzen, das tat Albert Ehrenstein sein ganzes Leben lang. Darin bestand seine Stärke als unbestechlicher Kritiker, der kein Blatt vor den Mund nahm, wo immer er Prätentionen, Unwahrheit und Unrecht witterte, in Politik, Staat und Gesellschaft, in Literatur, Kunst und Religion. Darin bestand aber auch das Verhängnis seines Lebens, das ihm das Schicksal des Außenseiters und den Tod im Exil beschied. Er stand immer über allen Parteien und kannte keine Loyalitäten. Er nahm nur Partei für die Schwachen, Ausgebeuteten, Unterdrückten und ungerecht Behandelten und kannte nur eine Loyalität, die zur Wahrheit und Menschlichkeit.

Die vorliegende Auswahl von schlagkräftigen, oft aphoristisch zugespitzten Gedanken, Werturteilen und Lebenserkenntnissen aus Ehrensteins Notizbüchern lässt ein lebensgeschichtliches Bild des streitbaren Dichters entstehen: als Schüler und Student, der das geistabtötende Erziehungs- und Bildungssystem der Schule und Universität kritisierte; als junger Dichter, der respektlose Opposition bezog gegen die herrschenden Literaturgötter und Literaturmoden seiner Zeit und den sie begleitenden Literaturbetrieb; als liberaler Denker, der klischeehaftes Denken und verfestigte Vorstellungsweisen aufs Korn nahm.

Schließlich entsteht hier auch das Bild des im ersten Weltkrieg politisch herangereiften Dichters, der sich allen Ideologien verweigerte und den 'Missbrauch der Macht', in wessen Namen er auch betrieben wurde, schonungslos beim Namen nannte, und der selbst in den Weltreligionen nichts als eine Machtfrage sah und damit ein Hindernis für die Liebe des Menschen zum Menschen.

Am Ende steht der einsame Emigrant vor einer Welt, die von der unbelehrbaren Dummheit der Menschen und ihrem unstillbaren Machtdurst in Scherben gelegt wurde. Wenn diese Welt Ehrenstein am Ende besiegt zu haben scheint, so bleibt letztlich doch das Bild eines engagierten Dichters bestehen, dessen illusionszertrümmernden Worten immer die Utopie eines menschenwürdigen Lebens und einer menschenfreundlichen Welt entsteigt."

Montag, 2. November 2015

Stundenlohn: 625 Euro plus Mehrwertsteuer


Im Wust der ständigen Berichte über die "Flüchtlingskrise", die tagesaktuellen Katastrophenmeldungen aus aller Welt und sonstigen mehr oder minder relevanten Nachrichten ist ein kleines Detail fast untergegangen, das als fast schon "klassisches" Beispiel für politische Korruption gelten darf. Es geht um die Rolle des Radikal-Kapitalisten Friedrich Merz (CDU) im Zusammenhang mit dem Bankenskandal um die WestLB. Beim WDR findet sich ein kleiner Artikel dazu, in dem es unter anderem heißt:

Merz war persönlich als Bevollmächtigter für den Verkauf der WestLB eingesetzt worden. Im Juni 2010, kurz nach der Landtagswahl und dem Regierungswechsel in NRW, sei sein Vertrag unterschrieben worden. Damals noch vom scheidenden CDU-Finanzminister Helmut Linssen. (...) Bekannt ist, dass Merz ein Honorar von rund 5.000 Euro pro Acht-Stunden-Tag ausgehandelt hat. Nach WDR-Informationen kommen zu diesem Tagessatz noch die Mehrwertsteuer und eine Überstundenvergütung hinzu. (...) Insgesamt sind nach WDR-Informationen in der rund einjährigen Tätigkeit gut 1,1 Millionen Euro an Merz und seine Kanzlei geflossen. (...) Dass er letztlich keinen Erfolg beim Verkauf der Landesbank hatte, sei nicht seine Schuld, beteuert er.

Trotz dieser Fakten entblödet sich der Autor nicht, Merz völlig ironiefrei mit Attributen wie "aufgeräumt", "voller Elan" und sogar "eloquent" zu bedenken beschleimen. Mehr Speichelleckerei ist angesichts der ungeheuerlichen Vorgänge kaum möglich. Dem CDU-Mann Merz, der noch niemals zuvor eine "Bank verkauft" hat, wurde also von seinen Parteifreunden kurz vor Übergabe der Amtsgeschäfte ein solcher absurder "Auftrag" zugeschustert - zu Konditionen, die mit dem Adjektiv "irrsinnig" nur unzureichend beschrieben sind: 1,1 Millionen Euro für ein Jahr "Arbeit" - wohlgemerkt unabhängig vom Erfolg. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass der Herr Rechtsanwalt Merz in diesem einen Jahr tatsächlich nichts anderes getan hat und jeden verdammten Werktag für mindestens acht Stunden eifrig darum bemüht war, einen Käufer für eine vor der Pleite stehende Bank mit Milliardenschulden zu finden. Und gleichzeitig ist er sicher der wahre Kaiser von China.

Da soll noch jemand behaupten, durch die Bankenkrise sei "Geld vernichtet" worden - auch der WDR-Autor spricht in diesem Zusammenhang, wie in den Massenmedien üblich, irreführend von einem "Milliardengrab". Die Kohle hat, wie immer in solchen Fällen, lediglich die Besitzer gewechselt - und ein kleiner Teil dieser Milliarden ist im Säckel des Friedrich Merz gelandet. Korruption gehört in Deutschland längst zum Alltagsgeschäft - und zwar nicht nur in der Politik, auch wenn sie dort bisweilen noch semi-öffentlich stattfindet bzw. etwas schneller auffliegen kann. Ernsthafte Konsequenzen hat das in den allermeisten Fällen jedoch nicht.

Auch beim WDR wird übrigens die Frage gar nicht gestellt, wer auf die absurde Idee gekommen ist, eine hoch verschuldete staatliche Bank verkaufen - also "privatisieren" - zu wollen. Dass dies schon bei "gesunden" Betrieben stets nur zum massiven Nachteil aller mit Ausnahme der "Investoren" ausgeht, ist inzwischen doch eine Binsenweisheit - auch wenn diese bei den Handlangern des Kapitals in der Politik selbstredend nie ankommt.

Die Verkommenheit dieses Landes, dieses Systems, seiner Medien und selbsternannten "Eliten" nimmt immer groteskere Formen an.


"Wie fleißig du warst, mein guter Junge! Kaum zwei Monate Abgeordneter und schon ein Automobil!"

(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 49 vom 02.03.1925)