Samstag, 21. November 2015

Die schweigende Mehrheit: "Propagandaschau"


Ich bin durch den Kollegen Stefan von den Fliegenden Brettern dankenswerterweise auf ein Blog aufmerksam geworden, das ich bislang gar nicht kannte - nämlich "Die Propagandaschau". Es ist wahrlich herz- bzw. hirnzerreißend, was ich da lesen durfte.

Der dortige Autor lässt sich im verlinkten Beitrag über - man höre und staune - die kommerzielle Schlagerparade "Grand Prix", die heute neu-deutsch "European Song Contest" heißt, und die inzwischen zum Glück revidierte Nominierung "für Deutschland" des unerträglichen Schmalzbarden Xavier Naidoo durch den maßgeblich beteiligten NDR aus. Dieser Fakt an sich ist für ein "politisches" Blog mit diesem Anspruch schon reine Satire - man kann diesen Text eigentlich nur noch genauso lustig finden wie den "ESC" selbst, der längst von der halbseidenen Lächerlichkeit der vergangenen Jahrzehnte in den heute überall anzutreffenden mafiösen Sumpf des grausigen Kapitalismus abgesunken ist.

Noch tiefer kann diese lächerliche Schlagerveranstaltung gar nicht sinken, möchte man meinen - bis man eben diesen Text gelesen hat, der das Niveau der dargebotenen musikalischen Lächerlichkeiten noch einmal dreist unterbietet. Das wäre noch immer keine Anmerkung wert - wenn es da nicht die bis dato 198 Kommentare gäbe, die ein äußerst erhellendes Licht auf die Figuren werfen, die sich in diesem Umfeld tummeln. Ich habe sie mir allesamt durchgelesen, und ich kann keine bessere Unterhaltung empfehlen: Ich hatte Tränen in den Augen und arge Bauchschmerzen, weil ich immer wieder so prustend lachen musste, dass mir die Luft wegblieb. Das ist lustiger als jede Eso-"Diskussion" und in intellektueller Hinsicht schmerzfreier als jede Schützenfestpeinlichkeit in Hintertupfingen. Selbst ein Herr Söder, der bekanntermaßen nur über einen leeren Schädel mit angeschlossenem, rudimentärem Nervenkostüm verfügt, darf in diesem Umfeld als grelle geistige Leuchte in der tiefsten Dunkelheit gelten.

Da glänzt ein Kommentator nach dem anderen mit offen zur Schau gestellter Hirnfäule, wie sie ausgeprägter nicht sein könnte - und fast alle ziehen sich den Aluhut so fest, so krampfhaft, so brutal auf die malträtierte Kopfhaut, dass kein einziger Gedanke von außen mehr Einlass findet in die leergefaulten Freiräume. Das Ausmaß der Dummheit und Unwissenheit ist hier nicht mehr mit Worten beschreibbar. Ich habe so etwas bislang ja für eine maßlose Übertreibung oder allenfalls ein sonderbares Fratzenbuch-Phänomen gehalten - hier habe ich aber gelernt, dass es diese "Szene" der Vollidioten, hohlbirnigen Spinner und Rechtsextremen tatsächlich gibt und dass sie sich wahrlich - ohne jede Ironie - für die Wortführer der Mehrheit halten. Man fasst das gar nicht.

Es geht hier, wie gesagt, um Schlager - also um industriell erzeugte, wertlose Konservenmusik, die nur den beiden vorrangigen Zwecken - nämlich dem Profit und der schnöden Ablenkung - dient. Gerade vor diesem Hintergrund fand ich diese 20 Minuten, die ich bei der "Propagandaschau" verbracht habe, erhellender und witziger als jede Kabarettveranstaltung.

Ein Highlight zum Schluss darf aber nicht fehlen: Da befindet ein Kommentator namens "nebenstrom", der sich besser "nebenderspur" genannt hätte, dass die Entscheidung des NDR, Naidoo zum "ESC" zu schicken, eine gezielte "Kampagne" gewesen sei - und fügt, direkt im Anschluss, hinzu: "In welche Richtung diese [Kampagne] laufen wird, werden wir noch sehen." - Diese Schmerzen sind unvergleichlich. Da war neben dem Aluhut wohl auch die Glaskugel im Einsatz: Ganz egal, wie die Dinge sich entwickeln - es war in jedem Fall eine "Kampagne". So geht Propaganda. Die BesucherInnen dieser Seite haben das Prinzip offensichtlich verinnerlicht und die leeren Köpfe damit unheilvoll aufgefüllt.

Viel Spaß bei der Lektüre!

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Die schweigende Mehrheit



(Zeichnung von Hans-Georg Rauch [1939-1993], in: "Die schweigende Mehrheit", Rowohlt 1974)

Donnerstag, 19. November 2015

Musik des Tages: Reverberations




(The Enid: "Reverberations", aus dem Album "The Seed And The Sower", 1988)

Anmerkung: Auch diese meisterhafte, meditative Musik von Robert John Godfrey entfaltet erst dann ihre wahre Größe, wenn man sie in brüllender Lautstärke über Kopfhörer bei gleichzeitiger Ausschaltung anderer Sinneswahrnehmungen (also in der Dunkelheit) genießt. In gewissen, stets wiederkehrenden Lebenslagen kann ich mich gar nicht satthören an diesen knapp 20 Minuten des in Musik übersetzten "Nachhalles": So oder so ähnlich könnte in gar nicht allzu ferner Zukunft der musikalische Nachruf auf unsere heutige, sich rapide auflösende Pseudozivilisation klingen.

Man könnte zu diesen Klängen freilich auch einfach exzessiv kiffen und den sich einstellenden Gedanken und Gefühlen freien Lauf lassen ... aber das habe ich jetzt nicht geschrieben.


Mittwoch, 18. November 2015

Jebsen und die "Weltverschwörung"


Ich habe es tatsächlich gewagt, mir den jüngsten Vokalerguss des Ken Jebsen zum Thema der Anschläge in Paris anzuhören - und wie befürchtet, wurden meine schlimmen Erwartungen nicht enttäuscht. Es ist in weiten Teilen unerträglich, diesem Gesabbel lauschen zu müssen - und das gewiss nicht nur wegen des Sprechers rhetorischer Unfähigkeit, die im wesentlichen aus Schnellfaselei besteht und die er immer wieder mit rein emotionalen, stets unbegründeten Appellen verbindet und - durch entsprechende "geschickte" Schnitte - mit anklagendem Blick frontal in die Kamera absondert. Das ist pure Demagogie aus dem Lehrbuch der Propaganda.

Sowohl inhaltlich, als auch sprachlich beginnt Jebsen - für seine Verhältnisse - langsam und "harmlos", steigert sich im Verlauf der 30 Minuten aber in die gewohnte Hast und Hetze. Er verbindet - scheinbar wahllos - tatsächliche, nachvollziehbare Kritik mit an Irrsinn grenzenden "Thesen", für die er nicht einen einzigen Beleg präsentiert, sondern die er lediglich durch stete Wiederholung zu zementieren versucht. Da ist beispielsweise von einer globalen "Agenda" die Rede, die derzeit "abgearbeitet" werde und die es zum Ziel habe, die Weltbevölkerung erheblich zu dezimieren - ein Gedanke, der für sich genommen schon so abstrus ist, dass mir dazu spontan lediglich "Dr." Axel Stoll oder der "KOPP-Verlag" einfällt.

Letztlich entwirft Jebsen hier das Bild einer "elitär gesteuerten Weltverschwörung", die fast niemand - natürlich mit Ausnahme der "Erleuchteten", also ihm selbst und einigen SektengenossInnen - durchschaue. Damit bewegt er sich exakt auf demselben Niveau wie die lächerliche Nazi-Propaganda, die vor 80 Jahren ebenfalls eine - damals noch ausdrücklich "jüdische" - Weltverschwörung ausgemacht und für ihre widerlichen Zwecke missbraucht hat. - Auch Jebsen schafft es in diesem Video problemlos, das Thema "Israel" wie beiläufig einzustreuen - ausgerechnet an der Stelle, an der er sich zornig über die bösen Diktaturen des Nahen Ostens wie beispielsweise Saudi Arabien auslässt: Da fällt das Wort "Israel" fast reflexartig in einem Nebensatz, so als seien die Staaten Saudi Arabien und Israel in irgendeiner sinnvollen Form miteinander vergleichbar und strebten letzlich dieselben Ziele an. Noch absurder geht es kaum.

Jebsen wiederholt immer wieder - und das auch völlig korrekt -, dass die Anschläge von Paris jetzt von der westlichen Politik gnadenlos instrumentalisiert werden, um den ersehnten Überwachungsstaat weiter voranzubringen und den Krieg im Nahen Osten weiter zu forcieren. Damit hat er recht. Allerdings instrumentalisiert er selber diese Erkenntnisse sodann zur Untermauerung seiner völlig grotesken, irrsinnigen Weltverschwörungsfantasie, die - hoffentlich! - kein klar denkender Mensch ernst nehmen kann. Es ist nur eine Randnotiz, dass Jebsen hier - in trauter, böser Tradition - pathetisch die "Wahrheit" beschwört. - Merke, lieber Ken: Der Kapitalismus, den Du in Deinem Pamphlet vorsichtshalber gar nicht erst erwähnst, benötigt überhaupt keine "Agenda" (erst recht keine "elitär gesteuerte"), um gewissenhaft dafür zu sorgen, dass die superreiche Minderheit stetig noch reicher und der Rest der Menschheit immer ärmer wird. Man nennt das üblicherweise Systemimmanenz. Wer hier eine "Verschwörung" vermutet, hat weder die Historie, noch die Wirkmechanismen des Kapitalismus verstanden - oder verfolgt wieder einmal ganz andere Ziele.

Dasselbe gilt freilich für die unstrittigen Bestrebungen der neoliberalen Bande, die Totalüberwachung auszubauen und ihre kriegsgeilen Gelüste auszuleben.

Ich kann es mir nicht erklären, dass zumindest teilweise auch gebildete, intelligente Menschen dieser offensichtlichen, inszenierten Demagogie auf den Leim gehen. Durch Personen wie Jebsen wird Aufklärung zur Vernebelung und Journalismus zur Propaganda, und die so dringend notwendige Kapitalismuskritik findet nicht mehr statt. Wenn dieser hochalberne Klamauk von manchen allen Ernstes als "seriöser Journalismus" angesehen wird, muss der nächste Bundeskanzler wohl Erich von Däniken heißen.

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(Titelseite des Nazi-Hetzblattes "Der Stürmer. Deutsches Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit", Sondernummer 1, Mai 1934)

Dienstag, 17. November 2015

Zitat des Tages: Meine Zeit


Gesang und Riesenstädte, Traumlawinen,
verblasste Länder, Pole ohne Ruhm,
die sündigen Weiber, Not und Heldentum,
Gespensterbrauen, Sturm auf Eisenschienen.

In Wolkenfetzen trommeln die Propeller.
Völker zerfließen. Bücher werden Hexen.
Die Seele schrumpft zu winzigen Komplexen.
Tot ist die Kunst. Die Stunden kreisen schneller.

O meine Zeit! So namenlos zerrissen,
so ohne Stern, so daseinsarm im Wissen
wie du, will keine, keine mir erscheinen.

Noch hob ihr Haupt so hoch niemals die Sphinx!
Du aber siehst am Wege rechts und links
Furchtlos vor Qual des Wahnsinns Abgrund weinen!

(Wilhelm Klemm [1881-1968], in: "Gesammelte Verse", hg. v. Imma Klemm und Jan Volker Röhnert, Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung 2012; erstmals in: Wilhelm Klemm: "Aufforderung. Gesammelte Verse", Verlag Die Aktion 1917)


Montag, 16. November 2015

Je suis l'être humain


Eigentlich hatte ich beschlossen, zu den Anschlägen in Paris keinen Blogbeitrag zu verfassen - insbesondere nicht innerhalb eines so kurzen Zeitraumes nach den Morden. Der Verlauf des Sonntags hat meine Meinung allerdings insofern verändert, dass ich zumindest eine kleine Anmerkung dazu loswerden möchte.

Es geht mir extrem auf die Nerven, dass heuer einmal mehr ein solches, von Politik und Medien inszeniertes und nebenbei schamlos instrumentaliertes Bohei um diese Anschläge veranstaltet wird. Am Sonntag war beispielsweise bei n-tv im Politik-Bereich nicht ein einziger Artikel abrufbar, der sich nicht mit diesem Thema beschäftigte. Als unfreiwilliger Zeuge der TV-Berichterstattung musste ich ebenfalls feststellen, dass hier - gemessen an der Art und dem Umfang der "Sondersendungen" - offenbar eine globale Invasion von bösartigen Außerirdischen stattgefunden hat, welche die Ausrottung der Menschheit zum Ziel hat.

Angesichts des katastrophalen Zustands dieser Welt, den man mit gutem Recht tatsächlich als bösartig klassifizieren kann, ist diese Form der medialen und politischen Aufmerksamkeit für ein Einzelereignis nur noch lächerlich und absurd zu nennen. Auf diesem verkommenen Planeten gab und gibt es ständig vergleichbare Untaten, die zumeist völlig Unbeteiligte betreffen - es liegt auf der Hand, dass hier mit mindestens zweierlei Maß gemessen wird. Einige pseudokritische KommentatorInnen auf anderen Webseiten haben die Behauptung aufgestellt, das läge vermutlich an der "räumlichen Nähe" zu Frankreich. Diese Kritik geht am Kern aber völlig vorbei, denn es ist nicht die "räumliche", sondern eine ganz andere "Nähe", die hier die tragende Rolle spielt: Das Tamtam wäre nicht weniger absurd ausgefallen, wenn es nicht Paris, sondern beispielsweise Chicago, Vancouver oder Sydney getroffen hätte - während vergleichbar viele Morde in der Ukraine, im Nahen Osten oder in Afrika hierzulande allenfalls in der Rubrik "Sonstiges" auf Seite 36 - wenn überhaupt - den Weg in die Medien finden.

Hier geht es klar erkennbar um den bösen Krieg des kapitalistischen Westens bzw. seiner "Elite" gegen den Rest der Welt - und wenn dieser Krieg wieder einmal auch irgendwo an der transatlantisch verbündeten "Heimatfront" seine selbstverständlich widerliche, blutige Fratze zeigt, schreit die Propaganda wild auf und die politischen Protagonisten bzw. Sockenpuppen ergehen sich gleich reihenweise in lächerlichsten Beileids- und Solidaritätsbekundungen sowie grotesken Instrumentalisierungen, die perfider gar nicht sein könnten.

Inzwischen kotzt mich das nur noch an - man verzeihe mir diese Wortwahl. Jedes einzelne der beispielsweise in Afrika inzwischen längst in die Millionen gehenden Hungeropfer des kapitalistischen Terrors oder der vielen tausend Drohnenopfer der hinterhältigen Mordangriffe der us-amerikanischen Terror-Miliz war nicht weniger wertvoll als die jetzt in Paris getöteten Menschen. Diese schamlose, interessengesteuerte Bigotterie quer durch die "westliche Welt" macht mich nachhaltig krank.

Ich bin ausdrücklich nicht nur World Trade Center, Charlie Hebdo oder Paris - denn ich bin Mensch, und damit u.v.a. auch Mittelmeer, Aleppo, Somalia und Kunduz.

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([Leider unvollständiges] Zitat aus: Albert Einstein [1879-1955]: "Für einen militanten Pazifismus", in: "Warum Krieg? Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud", Internationales Institut für geistige Zusammenarbeit, Paris 1932)