Samstag, 31. Dezember 2016

Abschlusskonzert des Jahres: Katatonia - Last Fair Day Gone Night




  1. Dispossession
  2. Chrome
  3. We Must Bury You
  4. Teargas
  5. I Transpire
  6. Tonight's Music
  7. Clean Today
  8. The Future Of Speech
  9. Passing Bird
  10. Sweet Nurse
  11. Don't Tell A Soul
  12. Brave
  13. Nephilim
  14. My Twin
  15. I Break
  16. Right Into The Bliss
  17. The Promise Of Deceit
  18. Wait Outside
  19. The Longest Year
  20. July
  21. New Night
  22. Dissolving Bonds
  23. Forsaker



(Katatonia: "Last Fair Day Gone Night", live in London 2014)

Anmerkung: Mir fällt keine passendere Untergangsmusik für dieses grausige Jahr ein, die noch trauriger und hoffnungsloser sein könnte. Wenn unsere untergehende Zeit einen Namen verlangt, dann lautet er (doppelt unterstrichen) Katatonia.

Ich bedanke mich bei allen Lesern und Leserinnen dieses kleinen Blogs für Kommentare, Mails, persönlichen Zuspruch und andere Menschlichkeiten, die heute nur noch selten vorkommen. Den Weg in den Abgrund wird das freilich nicht aufhalten - immerhin können wir aber stolz grinsend behaupten, es vorher gewusst zu haben, wenn der Vorhang fällt.


Freitag, 30. Dezember 2016

Zitat des Tages: Interview mit mir selbst


Ich bin vor nicht zu langer Zeit geboren
In einer kleinen, klatschbeflissenen Stadt,
Die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren
Und eine große Irrenanstalt hat.

Mein meistgesprochenes Wort als Kind war "nein".
Ich war kein einwandfreies Mutterglück.
Und denke ich an jene Zeit zurück:
Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein.

Im letzten Weltkrieg kam ich in die achte
Gemeindeschule zu Herrn Rektor May.
- Ich war schon zwölf, als ich noch immer dachte,
Dass, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.

Zwei Oberlehrer fanden mich begabt,
Weshalb sie mich - zwecks Bildung - bald entfernten;
Doch was wir auf der hohen Schule lernten,
Ein Wort wie "Abbau" haben wir nicht gehabt.

Beim Abgang sprach der Lehrer von den Nöten
Der Jugend und vom ethischen Niveau -
Es hieß, wir sollten jetzt ins Leben treten.
Ich aber leider trat nur ins Büro.

Acht Stunden bin ich dienstlich angestellt
Und tue eine schlechtbezahlte Pflicht.
Am Abend schreib ich manchmal ein Gedicht.
(Mein Vater meint, das habe noch gefehlt.)

Bei schönem Wetter reise ich ein Stück
Per Bleistift auf der bunten Länderkarte.
- An stillen Regentagen aber warte
Ich manchmal auf das sogenannte Glück ...

(Mascha Kaléko [1907-1975], in: "Das lyrische Stenogrammheft. Kleines Lesebuch für Große", Rowohlt 1956; Erstausgabe in zwei Bänden: 1933 / 1935)




Donnerstag, 29. Dezember 2016

Weihnachtliche Mitmenschlichkeit (3): Terror in Chicago


Während die Propagandamedien hierzulande immer noch in breiter Ausführlichkeit über den bösen, islamistischen Terroranschlag in Berlin berichten und dabei das "Terror-Bingo" (Fefe) bis zur letzten Gesichtspalme ausreizen, geht im Rest der Welt das Leben einfach weiter. Auch in den USA sind zur highligen Weihnachtszeit wieder einmal eine Menge Menschen ermordet worden - in Chicago waren es mindestens zwölf:

Chicago erlebt blutige Weihnachten / Alles andere als friedlich vergehen die Weihnachtstage in Chicago. Während es die Menschen zu ihren Familien zieht, machen sich zahlreiche Bandenmitglieder auf, um alte Rechnungen zu begleichen. Bei mehreren Schießereien sterben 12 Menschen.

Das ist - laut Propagandapresse - nun aber kein Terror, sondern "normale" Kriminalität, weshalb es auch keine nennenswerte Berichterstattung oder gar Sondersendungen im Verblödungs-TV dazu gab. Man muss in Kapitalistan nämlich deutlich unterscheiden zwischen systemimmanentem Handeln (Mord aus Habgier) und fremdgesteuerten Anschlägen (Mord aus anderen, also noch niederträchtigeren Gründen). Der erstgenannte Punkt ist "normal" im Kapitalismus - schließlich geht es hier ja um Eigennutzmehrung um jeden Preis, im Zweifel bzw. in der Regel auch auf illegalem Wege. Wenn dabei Menschen sterben, ist das schlimm und wird geahndet (sofern "Kriminelle", also nicht zur "Elite" zählende Menschen dafür verantwortlich sind) - oder aber als "Kollateralschaden" abgelegt und nicht weiter verfolgt (wenn Großkonzerne oder ihre politischen Stiefellecker betroffen sind).

Die zweite Variante wird umso schärfer bis ins Absurde und darüber hinaus aufgeblasen - da rennen Journalisten und Politiker wie aufgeschreckte, panische Hühner durcheinander und gackern wild, was das Zeug hält - ohne Rücksicht darauf, wie lächerlich sie sich verhalten. Das macht aber nichts, denn die meisten BürgerInnen scheinen dies ebenfalls nicht zu bemerken - sonst wären diese politischen Hühnerzombies ja längst abgewählt. Sie gackern viel lieber mit im dissonanten Chor der Hirnverweigerer: "Oh, der böse Muselmann bedroht unsere Freiheit - legt uns doch bitte endlich allesamt in Ketten, damit der Terror keine Chance mehr hat!" - So jedenfalls posaunt es die Hühnerpresse gackernd ins vollkommen irre gewordene Land.

Derweil legen die nüchternen, exemplarischen Zahlen aus Chicago eine ganz andere Realität nahe:

Die drittgrößte Stadt der USA hat in diesem Jahr eine beispiellose Gewalteskalation erlebt. Seit Jahresbeginn sind nach Zählung von Lokalmedien mehr als 750 Menschen in Chicago erschossen worden. Dies sind mehr als die Opferzahlen der beiden größten US-Städte Los Angeles und New York zusammengerechnet.

Beim Barte des Propheten, wie kann das denn nur sein im Paradies des "American Exceptionalism", fragt sich verwundert der denkende Mensch. Die Antwort ist indes so einfach wie weitestgehend unbekannt bzw. verdrängt: Das ist Kapitalismus. Das ist Habgier. Das ist Machtgier. Deshalb werden 750 ermordete Menschen nicht als Terroropfer gezählt und nicht weiter beachtet, während zwölf ermordete Menschen die Propagandapresse und korrupte Politbande eines ganzen Landes zum rotglühenden Schäumen bringen.

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Goliath



(Gemälde von Hans Hofmann [1880-1966] aus dem Jahr 1960, Öl auf Leinwand, Berkeley Art Museum, Los Angeles, USA)

Mittwoch, 28. Dezember 2016

Realitätsflucht (35): The Stanley Parable


Der heutige Bericht über meine jüngste Realitätsflucht stellt mich vor einige Probleme, da ich über ein Spiel schreiben möchte, ohne es zu beschreiben - denn bereits eine schnöde Inhaltsangabe wäre schon ein unverzeihlicher Spoiler, der jenen LeserInnen, die das Spiel noch nicht kennen, es aber gerne ausprobieren möchten, sehr sauer aufstieße. Es handelt sich um das Indie-Adventure "The Stanley Parable" (2013) vom amerikanischen Entwickler Galactic Cafe, das auf eine "Mod" zur "Source Engine" von Valve aus dem Jahr 2011 zurückgeht.



"The Stanley Parable" ist eigentlich gar kein Computerspiel im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr eine interaktive, philosophische, sehr surreale Reise in die Untiefen der kapitalistischen Arbeits- bzw. Sklavenwelt und das damit verbundene Surrogat eines Lebens. Zu Beginn klärt der allgegenwärtige Erzähler den Spieler auf, dass er sogleich die Geschichte Stanleys, eines Angestellten einer nicht näher benannten Firma, erleben wird, indem er in dessen Rolle schlüpft. Schon dies ist aber nur die halbe Wahrheit, wie sich relativ schnell herausstellt.

Es ist nahezu unmöglich, dieses Werk spoilerfrei zu beschreiben, weshalb ich hier darauf verzichte und stattdessen den Trailer, der auch nur den groben Rahmen des Inhalts illustriert, sprechen lasse:



Das Spiel hat zwar einen Anfang, aber kein wirkliches Ende - inzwischen sind, wenn ich mich nicht irre, 18 mögliche Ausgänge bekannt - letztlich landet man aber sowieso immer wieder am Startpunkt, um eventuelle weitere Facetten neu zu entdecken. Immer wieder verändert sich durch den so erzwungenen Neustart die Umgebung, durch die Stanley irrt - wer also meint, diese oder jene Region sei bereits erkundet und könne damit vernachlässigt werden, verpasst den größten Teil des Spieles und damit auch die intellektuelle Herausforderung.

Es gibt hier keine Kämpfe oder typischen Rätsel - das Spiel eignet sich somit auch für Menschen, die sich mit diesem Medium noch nie auseinandergesetzt haben: Zur Steuerung muss man lediglich die Maus bewegen und zur Vorwärtsbewegung der Spielfigur die "W"-Taste drücken. Weitere Fähigkeiten sind nicht vonnöten.

Die Grafik ist auch heute noch durchaus ansehnlich; die Musik ist minimalistisch und durchaus passend; die Sprachausgabe beschränkt sich auf den fast ständig präsenten Erzähler, der den Spieler gekonnt und professionell durch die Geschichte führt - oder ihn davon abzuhalten versucht, je nach Sichtweise. Die Texte werden in gut verständlichem Englisch vorgetragen - optional kann man aber deutsche Untertitel einblenden lassen, wovon ich jedoch abrate. Auf meinem Win7/64-System läuft das Spiel problemlos und ohne jeden Absturz. Leider ist es an den Steam-Kraken gebunden, was sich aber mit ein wenig Geschick auch umgehen ließe. Das ist allerdings illegal und daher ausdrücklich nicht empfohlen.

Ganz besonders sei dieses Meisterwerk allen Menschen ans Herz gelegt, die sich im alltäglichen Irrsinn ihres Büroalltages in einem solchen "Borgwürfel" (Kiezneurotiker-Sprech für "Firma") befinden und die dennoch gelegentlich ein kritisches Bewusstsein bezüglich ihres Tuns pflegen. Die vielen kleinen Details im Spiel werden das Herz jedes Borgwürfelinsassen höher schlagen lassen - von hirnfreien Powerpoint-Präsentationen in dusseligen Meetings über nicht minder bescheuerte Flipcharts und firmeninterne Bekanntmachungen, die darüber aufklären, wie man es vermeiden kann gefeuert zu werden oder wie man dem Boss am besten Zucker in den widerwärtigen, verklebten Arsch bläst, ist bis zu den obligatorischen Kaffeetassen ("I hate Mondays" oder "I like work, I just hate my boss") alles dabei.

Dieser mehr oder weniger subtile Humor ist allerdings ebenfalls nur eine Facette dieses illustren, außergewöhnlichen Spieles; und er wird in manchen Szenarien auch gerne ins Absurde überhöht, wenn der arme Stanley beispielsweise aufgrund einer "falschen" Entscheidung samt der kompletten Firma mithilfe von Nuklearwaffen in die Luft gesprengt wird. Der überaus ernste und existenzielle Hintergrund der Geschichte, die am PC schon - je nach Spielweise - nach drei, vier oder fünf Stunden vorbei ist, hat mich noch sehr lange beschäftigt und tut das auch weiterhin. - Das ist großartige, wegweisende Computerkunst, die den Vergleich mit Kafka keineswegs scheuen muss.


Dienstag, 27. Dezember 2016

Weihnachtliche Mitmenschlichkeit (2): Propaganda und Verrohung


Eigentlich hatte ich vor, an dieser Stelle ein paar Worte zu dem Mordanschlag auf den schlafenden Obdachlosen in Berlin zu schreiben - allerdings ist mir der Altautonome in seinem letzten Kommentar schon zuvorgekommen, so dass ich mich nun lieber auf ein kleines Detail beschränken möchte.

Selbstverständlich sind solche unschönen Nachrichten aus dem paradiesischen Reich des kapitalistischen Wohlstandes, in dem es allen Menschen so unsäglich gut geht, wenig hilfreich für das verkündete Märchen. Daher werden solche Fälle in den Propagandamedien zwar gerne gemeldet (sie bringen schließlich "Klicks" und damit Profit), werden aber ebenso regelmäßig als bedauerliche, nicht repräsentative Einzelfälle dargestellt. Im vorliegenden Fall hat die n-tv-Redaktion das auf eine besonders perfide, gleichermaßen aber beliebte Art und Weise getan, die kaum jemandem auffallen dürfte, der den Artikel unbedarft liest.

In der - hübsch fett gedruckten - Zwischenüberschrift im Text heißt es lapidar: "Keine Zunahme von Angriffen auf Obdachlose", und schon kann der geneigte, womöglich humanistisch denkende Leser wieder erleichtert aufatmen. Sucht man im Text allerdings nach belastbaren Belegen für diese Behauptung, findet man lediglich eine statistische, unbelegte Zahl, die sich einzig auf Bahnhöfe bezieht, sowie dies:

Angriffe auf Berliner Obdachlose hätten nicht zugenommen, sagte Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission, die in der Hauptstadt vielen Menschen auf der Straße hilft. "Was passiert ist, tut mir sehr leid. Aber aus meiner Sicht häuft sich das nicht."

Wir lernen also: Angriffe auf Obdachlose gibt es offenbar einzig auf Bahnhöfen, nirgends sonst; außerdem ist die Videoüberwachung äußerst erfolgreich; und nicht zuletzt versichert der Leiter der Bahnhofsmission ganz ohne irgendwelche Statistiken oder andere Zahlen, dass "aus seiner Sicht" alles gut sei. Das ist zusammengenommen so aussagekräftig wie der Spruch "In der Nacht ist alles Grüne auch rot, blau oder schwarz." Der Informationswert dieses Artikels tendiert gegen null - der Propagandagehalt dagegen dürfte ganz im Sinne der korrupten Bande sein: Ein wenig Sensationsgeifer, eine unmittelbare, doppelte Relativierung und selbstverständlich ein Verweis auf das Erfolgsmodell der staatlichen Totalüberwachung lassen keine reaktionären Wünsche mehr offen. - Es überrascht nicht, dass weder n-tv, noch andere Massenmedien diesen Vorfall zum Anlass nehmen, über das furchtbare, wahrhaft existenzielle Thema der zunehmenden Obdachlosigkeit sowie die zunehmende Verrohung der Gesellschaft ausführlich und hintergründig zu berichten - gerade zu Weihnachten ziemt es sich nicht, an der heuchlerischen, zynischen Fassade des kapitalistischen Verelendungssystems zu kratzen.

Eben jene Verrohung, die sich in plumpestem Rassismus äußert, lässt sich übrigens - sofern der Kotzeimer bereit steht und die Nerven stahlhart genug sind - bei Zeit Online nachlesen. Die Kommentare zu einem dortigen Bericht über "plötzlich verschärfte Regeln für Obdachlose in Hamburg" bieten einen wenig erquicklichen Einblick in die dumpfe Denkwelt einer angeblich gebildeten Mittelschicht. Die brutale Menschenfeindlichkeit und die bodenlose, geradezu schmerzhafte Dummheit, die sich dort offenbaren, machen mir regelrecht Angst. Da wundert es den Bibbernden schon nicht mehr, dass zur heiligen Weihnachtszeit aus der SPD auch gleich Rufe nach neuen Konzentrationslagern für Flüchtlinge laut werden:

Nach dem Berliner Anschlag geht die SPD in der Flüchtlingspolitik auf die Union zu. Anstelle von Transitzonen schlägt Innenexperte Lischka "spezielle" Einrichtungen vor.

Der Weg zur "Sonderbehandlung" ist offenbar nur noch ein sehr kurzer.

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Wort zur Zeit

Schon mal'n sie wieder Sprüche an die Zäune
und bohren kleine Löcher ins Gesetz
und ritzen ihre krummen Hakenkreuze
in alle nur erreichbaren Klosetts.

Sie grüßen sich mit neu erfund'nen Zeichen
und helfen sich mit kriegserworb'nem Geld,
und alle Tage bringen ihre Weiber
ein frischgebackenes Gerücht zur Welt.

Sie schenken ihren Kindern Bleisoldaten
und falten heimlich Helme aus Papier
und tragen aus Prinzip nur Reiterhosen,
damit man merkt, sie waren Offizier.

Sie reißen nachts Plakate von den Säulen
und kratzen neue Straßennamen ab
und nennen unsre altgeword'ne Jugend,
die sie auf dem Gewissen haben, "schlapp".

Sie spotten über Kunst, die sie nicht fassen,
und lügen über Männer, die sich müh'n,
den nur von ihnen so verfahr'nen Karren
so langsam wieder aus dem Dreck zu zieh'n.

Sie führen sicherlich schon schwarze Listen
und denken an ein gut vergrab'nes Beil,
und da sie wieder Morgenlüfte wittern,
so sag'n sie (aus Versehen) manchmal "Heil".

Ihr haltet sie, wie einst, für große Kinder,
für harmlos irr - für geistig ausgebombt ...
Ihr solltet wirklich nicht so schnell vergessen
und dies Gewürm zertreten und zerpressen,
damit es nicht noch einmal soweit kommt!

(Heinz Hartwig, in: "Der Simpl", Nr. 13 vom November 1946)

Montag, 26. Dezember 2016

Weihnachtliche Mitmenschlichkeit (1): Die Rassisten aus Dresden


In Dresden gibt es einen neuen Verein, der sich - gerade zu Weihnachten - vorbildlich um Obdachlose kümmert und ihnen aus der Obdachlosigkeit heraushilft ein leckeres Mittagessen spendiert. Das müssen wahre Menschenfreunde sein, die sich gerade in dieser nicht nur saisonal bedingten eiskalten Zeit um die Schwächsten der Gesellschaft kümmern, für die der korrupte, kapitalistische Staat sich längst nicht mehr zuständig fühlt. Über die warmherzigen Humanisten aus Ostdeutschland berichtete vorgestern die Zeit:

In Dresden kümmert sich ein Verein um Obdachlose – aber nur deutsche. Auch andere Sozialvereine kooperieren mit den Flüchtlingsfeinden, nur einer hält dagegen. / (...) Man muss nicht lange suchen, um die Motivation dieses Vereins [Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen e.V., gegründet am 21. Juli 2016, vom Finanzamt als mildtätig anerkannt] zu entschlüsseln. Er rekrutiert sich aus der islamfeindlichen Pegida-Bewegung, die hier in Dresden ihre Wurzeln hat. [Vereinschef Ingolf Knajder] lief nicht nur bei den Montagsaufzügen mit, er stand neben Pegida-Mitgründer Lutz Bachmann auf der Bühne, trat als Ordner in Erscheinung, er ist fest mit dem rechten Milieu verwachsen. In seiner Wortwahl gegen "Gutmenschen" und Rassismusgegner ist er menschenfeindlich, auf der Straße wird er handfest. Andersdenkende beschimpft er als "elende Kommunisten Votze", die Linken-Vorsitzende Katja Kipping beleidigte er als "rote verlogene Stasi-Hexe", der erkrankten Oberbürgermeisterin Helma Orosz schrieb er: "Möge Sie der Krebs endlich holen".

Da geht einem doch das Herz auf vor lauter weihnachtlicher Mildtätigkeit und man möchte dem Herrn Knajder und seinen SpießgesellInnen ebenfalls genüsslich in die Weichteile treten, bevor man sie dekorativ an den Weihnachtsbaum neben einen posaunenden Engel oder einen kotenden Elefanten hängt. --- Doch halt: diesem durchaus verständlichen Impuls sollte man mit ebensolchem Ekel begegnen wie den Pegioten und ihrem rassistischen Irrsinn selbst. Ich muss mich zwar arg beherrschen, wenn ich einen solchen Bericht lese, der geradewegs aus dem Jahr 1933 stammen könnte; allerdings vermag ich dies auch zu tun - ein Umstand, der mich hoffentlich deutlich von den widerlichen Pegioten unterscheidet. Wenn irgendetwas auf diesem verkommenen Planeten alternativlos ist, dann ist es nach meiner Überzeugung der Pazifismus.

Wie soll man solchen Gestalten, die ganz offen rassistisch agieren, also begegnen? Diese Frage stelle ich mir schon so lange, ohne eine wirklich befriedigende Antwort darauf gefunden zu haben. Es ist deutlich erkennbar, dass der Rassismus sich wieder einmal wie ein Krebsgeschwür - nicht bloß in Deutschland - ausbreitet und festsetzt, und es ist dringend nötig, hier endlich ein Konzept zu finden, wie diesem Wahnsinn Einhalt geboten werden kann, ohne dieselben dumpfen und letztlich kontraproduktiven Gewaltstrategien der hirnlosen Menschenfeinde zu bemühen. Gespräche, Diskussionen oder Fakten helfen hier ebensowenig wie Ignorieren oder Aussitzen. Bleibt am Ende doch nur die Wahl zwischen Gewalt, Resignation und Emigration?

In der ostdeutschen Bastion der Rechtsradikalen scheint der Rassismus jedenfalls auf breite Zustimmung zu stoßen, wenn man der Zeit folgt:

Die Beschränkung der Hilfe auf deutsche Bedürftige hat in Dresden eine gewaltige Hilfsbereitschaft freigesetzt: Am Telefon erzählt Knajder von sieben Mercedes Sprinter-Transportern voll mit Kleiderspenden, die vor dem Weihnachtsessen zusammenkamen.

Mir fällt dazu - nach einem weihnachtlichen Kotzgelage, das sich wahrlich gewaschen hat - nur noch dieses schauderhafte Brett vorm Kopf ein:

Hoffnungsloser Fall



(Zeichnung von Helmut Beyer [1908-1962], in: "Der Simpl", Nr. 7 vom Juli 1946)

Freitag, 23. Dezember 2016

Besinnliches Weihnachtsliedchen des Tages: Nemesis




(Arch Enemy: "Nemesis", aus dem Album "Doomsday Machine", 2005)

We walk this earth
With fire in our hands
Eye for an eye
We are Nemesis

We are with you
Countless vicious souls
Fight! - Fighting for freedom
United we stand, we stand!

We are legion - voice of anarchy
This is revolution - creating new disorder
We are enemy - opponents of the system
Crushing hypocrisy - slaying the philistine

One for all, all for one
We are strong, we are one
One for all, all for one
We are one - Nemesis!

A malicious fever burns
In our hearts, in our veins
Your blood, my blood
All blood runs the same - the same!

One for all, all for one
We are strong, we are one
One for all, all for one
We are one - Nemesis!


Mittwoch, 21. Dezember 2016

Dazu möchte ich nichts schreiben


Nein, ich möchte zu dem Unfall / Amoklauf / Anschlag in der ostdeutschen Provinz nichts schreiben. Nachdem ich einige Berichte dazu gelesen habe, steht fest, dass niemand etwas Genaueres weiß und die Terrorhysterie trotzdem auf Hochtouren läuft, bis sie rot glüht. Inzwischen geht "man" sogar davon aus, dass der "IS" dahinter steckt - wenn man allerdings etwas genauer nachforscht, beruht diese "Meldung" lediglich auf irgendeiner ominösen Veröffentlichung im Internet, in der genau dies von irgendwem behauptet wird. Das muss reichen, damit der deutsche Qualitätsjournalismus, dem "Fake News" kurz zuvor noch ein so dringliches Anliegen waren, das übernimmt und munter verbreitet. Wenn es im Netz steht, muss es ja wohl stimmen ... zumindest in diesem nützlichen Fall.

Wie immer ließen auch die politischen Betroffenheitsmaskeraden nicht lange auf sich warten, die in ihrer Widerwärtigkeit kaum zu überbieten sind - diesen halbseidenen Sprechpuppen möchte ich ihr dämliches Geseiere gleich wieder zurück in den korrupten Schlund stopfen, bis sie daran endlich ersticken. - Nein, ich möchte dazu nichts schreiben.

Selbstverständlich dürfen auch die erwartbaren Ekelpakete nicht fehlen, die sofort aus dem Dickicht springen und "Verschärfung", "Asylmissbrauch", "Flüchtlingsstopp" und "mehr Überwachung" skandieren. Es können sich nur noch gehirnlose Menschen darüber wundern, dass die üble AfD in diesem braunen Reigen, wie gewohnt, rechts von der CSU überholt wird. Wenn überall im Land Staatsschergen mit Maschinenpistolen herumstehen, weil ein Bekloppter oder Kranker einen LKW geklaut und Menschen überfahren hat, fühle ich mich so ungemein sicher, dass mir die Worte fehlen. Ich möchte nichts dazu schreiben.

Ich möchte ebenfalls nichts dazu schreiben, dass die Sachlage natürlich eine völlig andere ist, wenn beispielsweise ein Deutscher in Afghanistan ein blutiges Massaker anrichtet - ein solcher soldatischer Held wird hierzulande gerne mal vom Oberst zum General befördert, während die korrupte Bande ganz und gar nicht "betroffen" ist und selbstredend auch keine Konsequenzen fordert.

Die medial und politisch verbreitete Hysterie geht mir so dermaßen auf den Sack, dass ich ums Verrecken nichts dazu schreiben möchte.

Der beste Kommentar dazu stammt wieder einmal aus der Redaktion der Titanic, die unter dem Titel "Darauf einen Glühwein" schlicht meint:


(Bild: Titanic)

Mehr gibt es dazu derzeit nicht zu sagen.

Montag, 19. Dezember 2016

Untergangszeit in der Qualitätspresse: Dagegen ist Aleppo Disneyland


Manchmal bin ich nicht so ganz sicher, ob unsere hochverehrten, durch Zwangsgebühren finanzierten Qualitätsmedien nicht doch einem heimlichen Satireauftrag folgen; aber solange ich noch nicht bemerkt habe, dass irgendwelche Journalistenclowns mit einer Karnevalströte in der bemalten Fratze hinterm nächsten Busch hervorspringen und "Ätsch, wir haben dich verarscht!" brüllen, nehme ich den Quatsch der hochbezahlten Damen und Herren noch immer für bare Münze.

Beim WDR bin ich wieder einmal fündig geworden und habe einen Bericht gelesen, der mich einmal mehr daran zweifeln lässt, ob ich mich nicht doch in einer gescripteten Comedyshow von RTL befinde. Dort war unter der flehentlichen Überschrift "Anwohner verzweifelt über Raser in Wohngebieten" zu lesen:

Das Landschaftsschutzgebiet direkt vor der Tür, ruhige Lage. Ideal für die Kinder, hatte sich Familie [XXX] gedacht, als sie vor sechs Jahren in eine Spielstraße in Herdecke zog. Im Wohngebiet ist Schrittgeschwindigkeit vorgeschrieben. Eine Messung der Stadt Herdecke im Sommer 2015 aber ergab, dass die Autos hier durchschnittlich 25 km/h fahren. Seitdem sei nichts passiert, so Familie [XXX]. / Morgens und am Nachmittag sei es besonders schlimm, erzählen die [XXXs]. Die sechs und acht Jahre alten Söhne bringen die Eltern jeden Tag zur wenige Gehminuten entfernten Grundschule. Die Jungs auf der Spielstraße spielen lassen - das passiert nur ganz selten und nur unter elterlicher Aufsicht.

Sapperlot! Das muss doch Satire sein, oder? Kann es wirklich sein, dass die Lokalredaktion des WDR hier allen Ernstes darüber berichtet, dass irgendwelche noch gutsituierten Mittelschichtseltern sich bitterlich darüber beklagen, dass unverantwortliche Kriminelle ihre Fahrzeuge mit "im Schnitt 25 km/h" durch "ihre" Wohnstraße steuern, anstatt brav Schrittgeschwindigkeit zu fahren? Sind jetzt nicht mehr nur Lokalredakteure, sondern gleich ganze Bevölkerungsschichten völlig verrückt geworden? Wen schert es da noch, dass die allermeisten Kinder in dieser Gruselrepublik nicht in einer "Spielstraße" aufwachsen dürfen, wenn die vermeintlich Privilegierten sich schon nicht mehr trauen, ihre sechs und acht Jahre alten (!!!) Kinder dem grausigen Horror einer im rasenden Tempo von 25 km/h marodierenden Mörderbande auszusetzen? Eine schlimmere, todbringendere Straße für Kinder als diese kann es in Deutschland wohl gar nicht geben, wenn man dem WDR folgt:


Die Todesstraße in Alepp..., äh, Herdecke

Und die Anwohner (wohlgemerkt: laut dem WDR offenbar nur die Männer - weshalb auch immer) sind verzweifelt! VERZWEIFELT! Dagegen ist Aleppo wohl Disneyland. Was sind das für Menschen, die ihren Kindern nicht mehr beibringen können oder wollen, sich auf der Straße aufmerksam zu verhalten? Und was sind das für RedakteurInnen oder PraktikantInnen, die über einen solchen infantilen Unfug allen Ernstes - und nicht erst am 1. April - berichten? Könnte es ein noch deutlicheres Indiz dafür geben, dass das kapitalistische Klassensystem unweigerlich und ohne jede Ausweichmöglichkeit in den völligen Irrsinn führt?

Ich hätte große Lust, in meiner alten Karre mit mindestens 30 km/h (subversiv, wie ich bin) durch diese Straße zu rasen, dabei wild zu rauchen, genüsslich ein Mettbrötchen zu essen und laut Iron Maiden zu hören. Man wird ja sehr, sehr, SEHR bescheiden, was den Protest betrifft, wenn der Wahnsinn zur Normalität geworden ist.

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P.S.: Dem für diesen kafkaesken Bericht verantwortlichen WDR-Menschen sei geraten, sich noch ein kleinwenig intensiver mit Sprachwissenschaft und Schreibkunst zu befassen - es mutet doch ein wenig seltsam an, wenn sich der Text so liest, als würden die Eltern von den Kindern zur Schule gebracht. - Solche Feinheiten interessieren heute aber wohl niemanden mehr.

Samstag, 17. Dezember 2016

Schnipsel: Gute und schlechte Nachrichten, ganz am Rande (der Satire)


Die gute Nachricht (1): Sowohl Lapuente, als auch Berger schicken ihre Blogs ins Nirwana. Kleinbloggersdorf atmet erleichtert auf.

Die schlechte Nachricht (1): Beide machen, gemeinsam mit Wellbrock, in einem neuen Blog weiter. Kleinbloggersdorf stöhnt und ächzt.

Die gute Nachricht (2): Es wird dadurch etwas weniger "sozialdemokratische", kapitalismusfreundliche Verbrämungen und (hoffentlich) endlich auch regelmäßig kritische Kommentare für die dünnen bzw. dünnflüssigen Gehirnfürze Lapuentes geben. Kleinbloggersdorf reibt sich freudig die Tippgriffel.

Die schlechte Nachricht (2): Das Eso-Blog "Jenseits der Realität" ist noch immer nicht in einem Schwefelblitz vom Teufel in die Zombiehölle geweckt worden. Kleinbloggersdorf zieht verzweifelt einen Exorzisten zu Rate, der jedoch an der Kommentarzensur der Esos scheitert. Platta schreibt seitenlange Mails zur Erklärung, während er Faulfuß oral befriedigt.

Die gute Nachricht (3): Andy Bonetti lebt und säuft noch. Kleinbloggersdorf spendiert ein Fass Pralinskis Mädchentraube von 1984 (einem äußerst erquicklichen Jahrgang).

Die schlechte Nachricht (3): Charlie lebt auch noch. Kleinbloggersdorf flieht geschlossen und voller Entsetzen zum Mond. Epikur, Dennis82 und das greise Pantoffeltier begehen auf der Flucht kollektiv Selbstmord. Der Kiezneurotiker kommentiert: "Im Borgwürfel trinkt man Kaffee und diskutiert die Bundesliga. Bundes. Liga. Who the fuck is Charlie?"

(to be continued ...)

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(Kleinbloggersdorf in der guten, alten Zeit vor dem großen Exodus - selbstverständlich ohne die vegane Kampffront der Esos, die am Katzentisch Gras, Löwenzahn und leckere Lichtnahrung serviert bekam.)

Musik des Tages: Schelomo




(Ernest Bloch [1880-1959]: "Schelomo. Hebräische Rhapsodie für Cello und Orchester" aus den Jahren 1915/16; Cello: Jan Vogler, Frankfurt Radio Symphony Orchestra, Leitung: Eliahu Inbal, 2016)

Freitag, 16. Dezember 2016

Rechtsstaat BRD: Im Zweifel gegen die Unschuldigen


Gerade eben habe ich mich erst über das menschenfeindliche Rechtsverständnis der US-amerikanischen Justiz ausgelassen - und schon kotet auch das deutsche Verfassungsgericht einen Beschluss in die Welt, der den Parteifunktionären aus Orwells "1984" ein süffisantes Grinsen ins Gesicht zaubert. Das oberste deutsche Gericht stellt fest:

Bei Demonstrationen mit Ausschreitungen darf die Polizei im Zweifel auch unschuldige Protestierer mit einkesseln.

Es lässt sich leicht ausmalen, wie dieser hanebüchene Freibrief vor Ort von den Staatsschergen umgesetzt wird:

Bullenchef: Hömma, Horst, schickma 'n paar Kollegen in Zivil zu dem Mob da drüben. Die solln sich 'ne Serviette vor die Fressleiste binden und 'n paar Wattebäusche zu uns rüber schmeißen, dann können wir dat ganze linke Pack einkesseln und den ganzen Tag hier festsetzen.
Wachtmeister Horst: Klaro, Chef, machen wir ja immer so. Wir dürfen unsere schönen neuen Schlagstöcke aber doch trotzdem noch einsetzen, oder? Wir haben doch so lange an den doofen Strohpuppen geübt ...
Bullenchef: Ach, da werden sich bestimmt Anlässe finden lassen, keene Sorge.

Wer eine solche "Einkesselung" durch vermummte, oft gewaltbereite und auf Eskalation gebürstete "Einsatzkräfte" noch nie erlebt hat, dem sei gesagt, dass das zutiefst entwürdigend und oft beängstigend ist und in der Regel auch deutlich länger als die im Bericht genannten fünf Stunden dauert. Wer in dieser Zeit aufs Klo muss, hat Pech - Toiletten gibt es in einem Polizei-"Kessel" nicht. Wer hungrig oder durstig wird, ist ebenso auf verlorenem Posten.

Ein paar staatlich gesteuerte Provokateure reichen aus, um eine ganze Menschenmenge - nun auf vollkommen "legale" Weise - daran zu hindern, von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch zu machen und sie obendrein zu schikanieren. Es ist schon eine tolle Sache, in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat leben zu dürfen, dessen höchstes Gericht kein Problem mit dem offensichtlich verfassungswidrigen Hartz-Terror hat, dafür aber den militärisch auftretenden Staatsschergen, die sich selbst zumindest vor Jahrzehnten noch als "Freund und Helfer" (*glucks*) bezeichneten, ausdrücklich gestattet, die überwiegende Mehrheit der Unschuldigen zu drangsalieren. Das ist konsequent. Das Prinzip des "Agent Provocateur" ist auch den Richtern selbstverständlich bekannt.

Mein Gehirn gibt zu dieser Farce nichts weiter her. Die Mehrheit der Deutschen dürfte in ihrer gewohnten Niedertracht und Dummheit ohnehin nichts Verwerfliches an diesem Beschluss finden. Ich habe mir zur gleichlautenden Meldung bei Zeit Online einige der gehirnquälenden Kommentare durchgelesen und danach beschlossen, dass es kaum etwas wohltuenderes für diesen durchgefickten Planeten gäbe als ein rückstandsloses Verschwinden der deutschen Dumpfbevölkerung.

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Mai

Der Revoluzzer fühlt sich stark.
Der Reichen Vorschrift ist ihm Quark.
Er feiert stolz den ersten Mai.
(Doch fragt er erst die Polizei.)

(Erich Mühsam [1878-1934], aus: "Kalender 1913", in: "Brennende Erde. Verse eines Kämpfers", Kurt Wolff 1920)


Donnerstag, 15. Dezember 2016

Zitat des Tages: Ich liebe die Sonne


Ich liebe die Sonne
Und von den Menschen zwei, drei,
Gott reißt mich am Haar,
Ich lebe entzwei.
Der Strahl küsst meine Hand,
Ich darf ihn nicht fragen
Und er will mir nichts sagen -
Wer kennt sein Land?!
Ich kenne den Ausgang,
Den Feuerwald seiner Geburt,
Aber noch darf ich nicht nahen
Der fließenden Flamme,
Fern ist mein Weg der einmündenden Furt.
Bergen kann sich die Otter in Grotten,
Ein jeder Feigling kann sich vergotten -
Ich falle zur Tiefe, von Grat zu Grat,
Die Gebirge entweichen, ich sinke ins Meer,
Aber mich fasst kein Abgrund,
Ich tode endlos im Schacht.

(Albert Ehrenstein [1886-1950], in: "Briefe an Gott. Gedichte in Prosa", 1922)



Anmerkung: Im Nachwort zur Neuausgabe dieses Bandes im Suhrkamp-Verlag schreibt der Herausgeber Jörg Drews: "Den 'Dichter der bittersten Gedichte deutscher Sprache' hat ihn Kurt Pinthus genannt, und das trifft nicht nur die Thematik, sondern auch die Sprache in ihrer selbstzerstörerischen Schärfe und Unruhe, die es nie zu gemeinsamem, lyrischem Wohllaut kommen lassen. - 'Ich weiss, dass ich eine Nachtigall bin, die ihr Elend singt', sagte Ehrenstein von sich selbst."

Mittwoch, 14. Dezember 2016

Rechtsstaat USA: "Und es sind die finstern Zeiten"


Über das staatsterroristische Konzept der "Pre-Crime" habe ich mich schon öfter ausgelassen, zuletzt im Oktober dieses Jahres. Nun haben unsere amerikanischen Freunde jenseits des Atlantiks wieder einmal ein bewegendes Beispiel für diesen Irrsinn abgeliefert: Ein religiös verwirrter, offenbar psychisch kranker 22Jähriger soll einen Anschlag auf das Kapitol in Washington geplant haben und ist dafür von einem Bundesgericht zu einer Haftstrafe von 30 Jahren und zusätzlicher lebenslanger Bewährung nach der Verbüßung dieser Haftzeit verurteilt worden.

Mir bleibt angesichts einer solchen, geradezu kafkaesken Meldung die Spucke weg - nur mühsam kann ich einige Sätze herausstammeln. Niemand weiß, ob der Jüngling seine angeblichen Pläne auch tatsächlich in die Tat umgesetzt hätte; und selbst wenn er diesen kriminellen Weg gegangen wäre, hätte das Unterfangen angesichts der extremen Bewachung des Kapitols vermutlich schon an den äußeren Wachposten scheitern müssen. Selbst wenn der Mann tatsächlich ernsthafte Anschlagspläne verfolgt haben sollte - woran laut den verfügbaren Berichten erheblicher Zweifel besteht -, ist ein solches Urteil eine perverse, groteske Farce, die man vielleicht einer fiesen Diktatur zurechnen könnte, aber gewiss nicht einem "freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat".

Es ist offensichtlich, dass es sich hier um ein politisches Urteil handelt, mit dem einmal mehr ein "Exempel statuiert" werden soll - selbst in den USA wird ansonsten kein Mensch aufgrund irgendwelcher Anschlagspläne, die sich beispielsweise gegen Schwarze oder Homosexuelle richteten, derartig drakonisch verfolgt und verurteilt. Es ist gruselig genug, dass inzwischen - nicht nur in den USA - irgendwelche Pläne bereits ausreichen, um einen Menschen zu kriminalisieren und fast lebenslang in den Knast zu stecken, und zwar unabhängig davon, wie realistisch jene Planungen auch gewesen sein mögen.

Es gab mal eine Zeit, in der musste - zumindest theoretisch - eine Straftat noch begangen und nachgewiesen werden bzw. unmittelbar vereitelt worden sein, um einen Menschen strafrechtlich zu belangen. Heute reicht es schon aus, wenn ich hier beispielsweise schriebe, dass ich sehr gerne mal ins Kanzleramt schliche, um dem furchtbaren Merkelmonster ein Kilo Juckpulver in den Kragen zu schütten, um ins christlich-liberal-grün-sozialdemokratische Umerziehungslager verschleppt zu werden. Das hatten wir doch alles schon (mindestens) einmal ...

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Und es sind die finstern Zeiten

Und es sind die finstern Zeiten
in der andern Stadt.
Doch es bleibt beim leichten Schreiten
und die Stirn ist glatt.
Harte Menschheit, unbewegt,
lang erfrornem Fischvolk gleich!
Doch das Herz bleibt schnell geregt
und das Lächeln weich.

(Text: Bertolt Brecht [1898-1956]; Musik: Hanns Eisler [1898-1962]; Interpret: Udo Lindenberg, aus dem Album "Hermine", 1988)


Montag, 12. Dezember 2016

Wagenknecht: Das Trauerspiel der Linkspartei


Vor einer Woche hat Sahra Wagenknecht, die "Ikone" der Linken verhinderten Sozialdemokraten nicht nur in Kleinbloggersdorf, einen Gastbeitrag bei n-tv veröffentlicht. Dort lässt sie sich unter dem Titel "Die Einschläge kommen näher: Warum die Rechte profitiert" vornehmlich darüber aus, dass über ihren zurückliegenden Redebeitrag zur "Lage der Nation" im Bundestag von den Massenmedien in weiten Teilen falsch bzw. verzerrend berichtet wurde. In diesem Punkt stimme ich der Dame ausdrücklich zu und es ist durchaus fair, dass n-tv ihr diese Möglichkeit der Gegendarstellung bzw. Korrektur eingeräumt hat.

Ich habe mir nun einmal die Mühe gemacht, jenseits der Medien- und Koalitionskritik in diesem Text nach den Positionen zu suchen, die Frau Wagenknecht dem kapitalistischen Katastrophenkurs entgegenstellt. Die Ausbeute ist leider äußerst überschaubar, denn sie beschränkt sich im wesentlichen darauf, dass die neoliberale Bande den Sozialstaat zerstört hat, während die Linkspartei ihn erhalten und wieder stärken will - konkret wird hier lediglich der Begriff "Arbeitnehmerrechte" genannt. Mehr "Alternativen" gibt dieser Text nicht her: Wenn also die "Arbeitnehmerrechte" wieder gestärkt würden, befände sich die Politik laut Wagenknecht auf einem guten, "alternativen" sozialpolitischen Kurs.

Dieser Text beschreibt - freilich absichtslos - das ganze hirnverwesende Dilemma der Linkspartei, die sich sowohl im korrupten politischen System, als auch im Kapitalismus längst eingerichtet hat und sich nicht einmal mehr gedanklich mit den so dringend - dringend! - notwendigen systemischen Alternativen beschäftigt. Mir ist schon klar, dass ein solcher Gastartikel in der Mainstreampresse nicht geeignet ist, um umfassende Gegenentwürfe zu skizzieren - dass der Frau aber neben den "Arbeitnehmerrechten" allen Ernstes nicht ein ganz kleines bisschen mehr - womöglich gar ein Fitzelchen Systemkritik - eingefallen ist, stellt ein flammendes Fanal dar, das den Vergleich mit ähnlichen dümmlichen Gehirnfürzen von CDU, CSU, SPD und den Grünen wahrlich nicht zu scheuen braucht.

Natürlich hat Wagenknecht recht, wenn sie die europaweiten Erfolge der Rechtsradikalen wesentlich auf die kapitalistische, menschenfeindliche Politik der vergangenen Jahrzehnte zurückführt - umso erschütternder ist es ja, dass sie selbst keinerlei systemischen Alternativen anzubieten hat, sondern lediglich, wie gewohnt, an den sozialen "Stellschrauben" herumdoktern möchte. Die Frau ist intelligent genug um zu wissen, dass der Kapitalismus zyklisch verläuft und dass die Verlagerung der sozialen Verwerfungen in ferne Länder, die vor 50 Jahren hierzulande noch die lächerliche Illusion des "steigenden Wohlstands für alle" geschaffen hat, heute nicht mehr funktionieren kann.

Ich empfehle, dem oben verlinkten Redebeitrag Wagenknechts aufmerksam zu folgen - wer darin irgendeine wie auch immer geartete Systemkritik entdeckt, gewinnt eine Waschmaschine und ein One-Way-Ticket ("erster Klasse") zum Mond, um sie abzuholen. Ich bin nicht sicher, ob diese Frau tatsächlich nicht bemerkt, dass sie und ihre Partei längst ein Teil der verfaulenden Farce sind, über die sie zu Beginn spricht, oder ob es sich auch hier schon um abwägendes Kalkül aus Partei- und Eigennutzinteresse handelt, wie es in der verkommenen neoliberalen Einheitspartei bekanntermaßen üblich ist.

Letztlich verhindern solche pseudolinke Parteien, die im parlamentarischen, korrupten Sumpf angekommen sind, die eigentlich anstehende Entwicklung neuer, sozialistischer Strukturen. Wer diesen Gedanken ein wenig weiter verfolgt, wird schnell auch bemerken, dass damit gerade heute, in der Endphase des kapitalistischen Systems, angesichts der menschlichen Dummheit fast zwangsläufig auch eine Stärkung der dumpfen Rechten einhergehen muss. Hätte sich die Linke zur Weimarer Zeit geschlossen zu einem antikapitalistischen Bündnis zusammengefunden, wäre der Naziterror womöglich ausgeblieben. Die SPD und andere Gruppierungen haben das damals erfolgreich verhindert, auch wenn Guido Knopp & Co. immer wieder gerne das Gegenteil behaupten und stattdessen der KPD den Schwarzen Peter zuschieben wollen. - Bekanntlich ist es anders gekommen. Gnade uns das Spaghettimonster, dass die Geschichte sich bitte nicht wiederholen möge.

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Ohne Titel



(Zeichnung von Jiří Georg Dokoupil [*1954] aus dem Jahr 1985, Tinte auf Papier, Groninger Museum, Niederlande)

Samstag, 10. Dezember 2016

Musik des Tages: Seven Days of Falling




(e.s.t. [Esbjörn Svensson Trio]: "Seven Days of Falling", live in Hamburg 2007, Original aus dem gleichnamigen Album, 2003)



Anmerkung: Vielen Dank an H. für den Tipp! - Ich habe anlässlich dieser Darbietung der schwedischen Musiker womöglich zum ersten Mal bewusst erlebt, wie ein gezupfter, "lässiger" Kontrabass zwischendurch zum - mit Streichbogen und Verzerrer (!) gespielten - Melodieinstrument mutiert. Das Stück ist grandios. Es ist ein Jammer, dass der Pianist Svensson, der im Video durch seine vehemente Mimik (was keineswegs abwertend gemeint ist) zuweilen ein wenig an eine Karikatur Til Schweigers erinnert, bereits 2008 bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Ich werde mich mit der Musik dieser Band noch eingehender beschäftigen, soviel steht fest.

(Wenn ich selbst am Piano sitze, sehe ich vermutlich zuweilen wie eine Karikatur Klaus Kinskis nach seinem Tod aus ...)

Donnerstag, 8. Dezember 2016

Zitat des Tages: Psalm


Dass aus dem Samen des Menschen
Kein Mensch
Und aus dem Samen des Ölbaums
Kein Ölbaum
Werde,
Es ist zu messen
Mit der Elle des Todes.

Die da wohnen
Unter der Erde
In einer Kugel aus Zement,
Ihre Stärke gleicht
Dem Halm
Im peitschenden Schnee.

Die Öde wird Geschichte.
Termiten schreiben sie
Mit ihren Zangen
In den Sand.

Und nicht erforscht wird werden
Ein Geschlecht,
Eifrig bemüht,
Sich zu vernichten.

(Peter Huchel [1903-1981]: "Psalm", in: "Chausseen, Chausseen. Gedichte", Fischer 1963)


Mittwoch, 7. Dezember 2016

Big Brother: Unser schöner Überwachungsstaat soll gläserner werden


Bei Zeit Online war kürzlich ein Bericht zu lesen, der auf die jüngste Gesetzesänderung in Sachen weltweiter Überwachung und Staatsschnüffelei unserer amerikanischen Freunde hinwies. Dort heißt es:

[Die seit dem 1. Dezember 2016 gültige Neuregelung] besagt, dass jeder Amtsrichter in den USA dem FBI und anderen Bundesbehörden mit einem einzigen Durchsuchungsbeschluss erlauben kann, beliebig viele Computer in beliebigen Jurisdiktionen zu durchsuchen. Sprich: zu hacken. [Hervorhebungen nicht von mir.]

Die Information, dass (nicht nur) amerikanische Geheimdienste so etwas (und viel mehr) natürlich schon lange tun, ist allerspätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen bekannt - allerdings wird im Zeit-Artikel darauf selbstredend nicht hingewiesen. Snowden gehört schließlich zu den "Bösen", so dass es dem Autor offenbar nicht erwähnenswert erscheint, auf die bislang auch in den USA illegale und dennoch gängige Praxis der "Dienste" aufmerksam zu machen, die nun nachträglich durch ein "freiheitlich-demokratisches" Gesetz legitimiert wird.

Natürlich wird auch hier die absurde Steinzeitkeule der "Kinderpornografie" angeführt - letztlich geht es in diesem staatlichen Überwachungswahnsinn aber lediglich darum, die dem Internetnutzer noch zur Verfügung stehenden Abwehrmöglichkeiten wie VPN, TOR oder anderweitige Verschlüsselung ganz einfach zu umgehen, indem staatliche Schadsoftware in großem Stil eingesetzt wird. Wer eine solche Malware auf seinem Rechner, Dumpf-Phone, Tablet etc. hat, ist für die "Dienste" ein offenes Buch - ganz egal, welche Anonymisierungs- und Verschlüsselungsversuche da seitens des Nutzers auch erfolgen mögen.

Außerdem ist es weiterhin möglich - was in den vereinzelten pseudo-empörten Berichten der Propagandapresse längst nicht mehr erwähnt wird -, dass mittels dieser Staatstrojaner das jeweilige Endgerät nicht nur lückenlos überwacht, sondern natürlich auch beliebig manipuliert werden kann, ohne dass dies nachweisbar ist. So lassen sich beispielsweise beliebige Dateien darauf speichern oder Aktionen ausführen, von denen der Nutzer überhaupt keine Kenntnis hat - der manipulativen Willkür der "Dienste" im scheindemokratischen, nun in den USA auch gesetzlich legitimierten Mäntelchen sind hier also Tür und Tor so weit geöffnet wie niemals zuvor.

Und wer glaubt, dass "Geheimdienste" aus anderen Ländern, in denen es so "fortschrittliche" Totalüberwachungsgesetze (noch) nicht gibt, sich von der illegalen Praxis fernhielten, sollte das verstaubte Märchenbuch über den Datenschutz, die Persönlichkeitsrechte und die informationelle Selbstbestimmung endlich aus der Hand legen und sich der bösen, kapitalistischen Realität stellen. Die korrupte Bande will die gläserne Bevölkerung, auch wenn sie dieses ersehnte Ziel so deutlich niemals öffentlich formuliert: Es ist längst in greifbarer bzw. ergriffener Nähe; und kein Popanz ist dämlich genug, um es zu vollenden.

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Die Verantwortlichen



(Lithographie von George Grosz [1893-1959] aus dem Jahr 1920, in: "Ecce Homo", Malik 1923; Verbleib des Originals unbekannt)

Dienstag, 6. Dezember 2016

Plattes von Platta (3): Ausflug in den Analsex


In sehr unregelmäßigen Abständen werde ich ab jetzt auch die gelegentlichen Ausbruchsversuche des Plattfußindianers Holdger P. in die Welt der feinen Künste unter dem Titel "Kastanien, oh ihr lieblichen Analkugeln (mit und ohne Stachelmantel)" begleiten. Echte LyrikerInnen kommen hier ja schließlich ebenfalls zu Wort. - Heute:

Stricher in Geldnot

Fünf Stricherjungen bücken sich
wie heiße Ruten der gekauften Wollust
auf dem Bahnhofsklo.

Ausblendend das grunzende Stöhnen der
fettleibigen Kundschaft, hört man sie leise rufen:

"Komm spritz, komm spritz, komm spritz bitte nur ins Gummi ...!"


Montag, 5. Dezember 2016

Kapitalismus: Unser segensreiches Paradies


Vor einigen Tagen war bei Zeit Online ein Beitrag zu lesen, der sich mit dem Buch "Neben uns die Sintflut" von Stephan Lessenich beschäftigt. Ich muss vorwegschicken, dass ich dieses Buch nicht gelesen habe und deshalb dazu nichts weiter sagen kann - hier geht es allein um den Text des Zeit-Autors Mathias Greffrath. Der beginnt seinen Bericht mit den Worten:

"Höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, bessere Wohnungen, eine umfassende Sozialversicherung und so weiter – es ist keineswegs sicher, dass wir uns diese Dinge leisten können, wenn wir die Vorteile preisgeben, die wir aus der kolonialen Ausbeutung ziehen." So lautet schon 1945 der hellsichtige Befund von George Orwell. Er hat noch einige Gültigkeit, wenn man "Kolonialismus" durch den "globalisierten Kapitalismus" ersetzt. Der systemische Zusammenhang, in dem die einen gewinnen und die anderen verlieren, ruft immer wieder die Ungleichheitsforscher auf den Plan: nun den Soziologen Stephan Lessenich mit seinem Buch "Neben uns die Sintflut".

Das klingt, abgesehen vom Euphemismus des "globalisierten Kapitalismus", erst einmal vielversprechend, doch die kapitalismusfreundliche Zeitung geriete in arge Bedrängnis, wenn der Autor nicht bereits im nächsten Absatz mit dem üblichen Verwässern und Vernebeln begänne, indem er die logischen, zwingenden Folgen des Katastrophensystems kurzerhand zu "Nebenwirkungen" degradiert. Und so reiht sich auch in der Folge eine haarsträubende Dummheit an die nächste: Er referiert widerspruchslos, dass laut Lessenich beispielsweise die "Entwicklungshilfe" der westlichen Staaten aufgrund "korrupter Eliten" (wohlgemerkt: in den "Entwicklungsländern", nicht etwa in Deutschland oder den USA) nicht funktioniere, und versteigt sich gar zu der These, dass der "globalisierte Kapitalismus" unter anderem auch dazu geführt habe, dass sich "in den neu in den Weltmarkt eintretenden Ländern eine neue Mittelklasse [gebildet] und auch die Lage der Ärmsten [ein wenig] verbessert" habe.

So kann nur ein bornierter Schnösel argumentieren, der seine Schäfchen längst im Trockenen hat (oder zu haben glaubt) und fleißig-devot darum bemüht ist, das Katastrophensystem auf Teufel-komm-raus zu retten. In diesem Zusammenhang darf natürlich auch der hanebüchene Unsinn von der "überalterten Wohlstandsgesellschaft" nicht fehlen - ganz so als gebe es hierzulande keine zig Millionen Arme, Erwerbslose und Billigstlöhner, die händeringend nach Erwerbsarbeit bzw. einer etwas höheren Bezahlung suchten. Überhaupt findet sich im gesamten Text kein einziger Hinweis auf die Nutznießer dieses teuflischen Systems, nämlich die selbsternannte, superreiche "Elite" - als vermeintlich Schuldiger tritt wieder einmal das imaginäre Kollektiv aller westlichen BürgerInnen auf, das in seiner Gesamtheit "über die Verhältnisse anderer" lebe. Dieser lächerliche Trick ist so alt wie das Konzept der verdummenden Propaganda selbst, doch offensichtlich funktioniert er immer noch tadellos.

Selbstverständlich hat Greffrath auch die passenden Lösungen für dieses Dilemma zur Hand. Es sind freilich dieselben, seit Dekaden wieder und immer wieder vorgebeteten Floskeln und Mantras von der "politischen Regulierung": Man müsse ja nur hier und da einige Stellschrauben betätigen, und schon sei der Kapitalsmus - quasi über Nacht - das Paradies für alle Menschen:

Was helfen könnte, wird schon lange gedacht: eine Revision der Welthandelsordnung, eine behutsame Regionalisierung der globalen Produktion, eine Steuer auf Finanztransaktionen, eine globale Klimapolitik. Und weiter: ein technologischer Sprung ins solare Zeitalter im Süden, Konsumverzicht im Norden und wirksame globale politische Institutionen. Gesetze, Verträge und Erwartungsrevisionen. Politik.

Ich weiß einmal mehr nicht, ob der Mann diesen ausgemachten Blödsinn tatsächlich glaubt, den er da verzapft hat, oder ob er sich zuhause beim Sektschlürfen nicht doch dumm und dämlich bis zum Einnässen lacht, dass er so etwas allen Ernstes in einer als "seriös" bezeichneten Wochenzeitung - der "vierten Gewalt" [*glucks*] - veröffentlichen darf, ohne unter lautem Gelächter den Eselshut aufgesetzt und einen derben Tritt in den feisten Hintern zu bekommen.

Alternativen zum Kapitalismus finden selbst als Gedankenexperiment in diesem dauerhaften Albtraum längst nicht mehr statt - und in den (freigeschalteten) Kommentaren zu diesem unsäglichen Text findet sich nicht ein einziger Mensch, der das zu bemerken scheint oder auch nur am Rande andeutet. Wir befinden uns in der kapitalistischen Hölle und sämtliche Ausgänge sind nicht nur zugemauert, sondern zusätzlich mit Selbstschussanlagen und Minenfeldern versehen - auf dass auch ja niemand auf die ernsthafte, völlig abwegige Idee komme, das segensreiche Paradies verlassen zu wollen.

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[Kapitalistischer] Terror



(Zeichnung von Rudolf Schlichter [1890-1955], in: "Der Simpl", Nr. 1 vom 28.03.1946)

Samstag, 3. Dezember 2016

Song des Tages: When the World Explodes




(In Flames feat. Emilia Feldt: "When the World Explodes", aus der DVD "Sounds from the Heart of Gothenburg", 2016; Original aus dem Album "Siren Charms", 2014)

I'm right here,
When the world explodes,
Try to remember these words,
When the world explodes!

In the darkest of nights,
You are my endless fire inside,
Across the waters and back to shore,
There's space in time, you guide me.

Afraid there's not much time,
Life's a matter of moments,
Face the truth that I cannot run,
I've always known.

So if I never get to say this to you,
You should still know, dry your eyes,
Find a stream that leads toward the water of the divine,
Come lay with me.

Face the truth that I cannot run,
I've always known.

So if I never get to say this to you,
You should still know, dry your eyes,
Find a stream that leads toward the water of the divine,
Come lay with me.



Anmerkung: Auch eine professionelle Opernsängerin hat zuweilen ein Faible für Metal - und ein Gespür für die untergehende Zeit.

Donnerstag, 1. Dezember 2016

Buchempfehlung: Die Flamme erlischt


Es ist wieder einmal an der Zeit, die Flucht in die literarische Welt anzutreten. Der amerikanische Autor George R.R. Martin, der heute einer Mehrheit vermutlich aufgrund der Verfilmung seines Fantasy-Epos' "Das Lied von Eis und Feuer" (TV-Titel: "Game of Thrones") bekannt ist, hat eine ganze Reihe von bemerkenswerten Science-Fiction-Romanen geschrieben, aus der ich heute einen herausgreifen möchte, der mich persönlich seit Jahrzehnten begeistert.

Ich zitiere aus dem Klappentext der deutschen Erstausgabe:

Worlorn, ein irrender Planet am Rande der Galaxis, über den sich bald die ewige Dunkelheit senken wird. Aber noch regt sich vereinzelt Leben in den bizarren, gigantischen Städten, die einst zum Ruhme der vierzehn Zivilisationen des Randes erbaut und dann aufgegeben wurden.

Eines Tages tauchen Männer von Hoch Kavalaan auf Worlorn auf. Sie führen ein fremdes Mädchen mit sich: Gwen Delvano, die ihren Körper keinem der Krieger verweigern darf. Weit entfernt von Worlorn besitzt Dirk t'Larien ein "Flüsterjuwel", in dem die Empfindungen seiner ersten großen Liebe gespeichert sind. So erreicht ihn der verzweifelte Hilferuf - jener Frau von Worlorn. Er begibt sich auf die Reise dorthin und ein Drama beginnt.

Eine Frau, die sich nicht entscheiden kann - ein Mann, der seine verlorene Liebe sucht - kavalaanische Krieger in ihrem furchtbaren Hass - erbarmungslose Ritualvorschriften und tödliche Duelle ... Dirk t'Larien muss flüchten: vor den gnadenlosen Jägern und vor seinen unerfüllten Träumen.

Wie so oft wird diese Kurzbeschreibung dem Buch in keiner Weise gerecht - auch wenn es sich hier tatsächlich "nur" um einen fantasievollen, äußerst melancholischen und fast schon lyrischen Roman im SF-Gewand handelt. Martin beherrscht wie kaum ein anderer die Kunst, scheinbar triviale Begebenheiten in eine überaus fesselnde Geschichte samt geradezu umwerfender Kulisse einzubinden. Die epische - um nicht zu sagen: "galaktische" - und freilich vergebliche Suche des Protagonisten nach seinen verlorenen Träumen spielt kunstvoll mit den literarischen Traditionen der Romantik (beispielsweise Eichendorff oder Novalis) und führt sie in perfekter Komposition mit der "neuen Sachlichkeit" der siebziger Jahre sowie der Science Fiction zusammen.

Ich habe das (in der Erstausgabe sehr klein und eng bedruckte) dreihundert Seiten starke Buch seinerzeit in einer einzigen Nacht durchgelesen und war danach noch tagelang gefangen in der einzigartigen, sehr melancholischen Atmosphäre dieser Geschichte - was gewiss nicht allein damit zu tun hatte, dass ich die ersten schmerzvollen Erfahrungen mit der "ersten Liebe" zu jener Zeit nur allzu gut kannte. Ich habe den Roman seitdem mehrfach wieder gelesen und noch immer genau dieselbe sehnsüchtig-bittere Faszination verspürt, die das geschilderte Szenario auf diesem langsam und unaufhaltsam ins ewige Dunkel des Alls driftenden Planeten in fast magischer Weise erzeugt. - Der Prolog beginnt mit den Worten:

Ein Einzelgänger war diese Welt, ein Wanderer ohne Ziel, von der Schöpfung ausgesetzt und im Stich gelassen. / Unzählige Jahrhunderte schon dauerte ihr Sturz, ein einsames, sinnloses Fallen durch den kalten, leeren Raum zwischen den Sonnen. Generationen von Sternen hatten sich in erhabenem Dahingleiten an ihrem trostlosen Himmel gezeigt. Nicht einem von ihnen gehörte sie an. Diese Welt war ganz und gar auf sich allein gestellt. In gewisser Weise war sie noch nicht einmal ein Teil der Galaxis; auf ihrem Sturzflug durchschnitt sie die galaktische Ebene wie ein Nagel, der durch einen runden, hölzernen Tisch getrieben wird. Sie gehörte nirgendwohin. / Und das Nirgendwo war zum Greifen nah.

Es mag jedem selbst überlassen bleiben, diese Passage - wie auch den gesamten Roman - als rein erzählende und beschreibende Geschichte zu begreifen oder sie metaphorisch zu deuten.



(George Raymond Richard Martin [*1948]: "Dying of the Light", 1977; dt. "Die Flamme erlischt", Knaur 1978)

Mittwoch, 30. November 2016

Der Arbeitsfetisch und der Untertan


Angesichts des bald anbrechenden "Luther-Jahres" ist es nur recht und billig, die Thesen des Herrn Reformators einer etwas näheren Betrachtung zu unterziehen. Der Kollege Flatter hat vor knapp vierzehn Tagen mit einem kurzen Text und einigen weiterführenden Links ein hübsches Fundament geschaffen, das ich zur Lektüre sehr empfehle, auch wenn ich nicht allen Schlussfolgerungen zustimmen kann.

Nun war sogar in der ansonsten streng kapitalistisch, "arbeitsfetischistisch" ausgerichteten Zeit ein kritischer Text von Patrick Spät zu diesem Thema zu lesen, der zudem sinnigerweise im Ressort "Karriere" erschienen ist. Vielleicht haben einige Praktikanten der dortigen Online-Redaktion doch so etwas wie einen schrägen Humor. Der Autor haut jedenfalls einige treffende Schienbeintritte heraus, die so gar nicht zum kapitalistischen Horrormärchen "Sozial ist, was Arbeit schafft" des Schlips-Borg-Kollektives passen. Er beginnt gleich mit den Worten:

"Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen", predigte Martin Luther. Der Reformator wird als Freiheitskämpfer und Humanist gefeiert, doch abgesehen von seinem glühenden Antisemitismus war er auch ein glühender Arbeitsfanatiker. Ja, die Reformation befeuerte geradezu die moderne Lohnarbeit und den Kapitalismus. Denn "Müßiggang ist Sünde wider Gottes Gebot, der hier Arbeit befohlen hat", so Luther.

Das Stück ist leidlich informativ und für die Zeit geradezu revolutionär. Tatsächliche Religionskritik sucht man allerdings auch hier vergebens - darum geht es bei diesem Thema jedoch nicht in erster Linie. Die im letzten Absatz auftauchende, hirnzerkochende Passage: "Die Kirche und der Kapitalismus haben Jesus verraten. Der Protestantismus hat den Kapitalismus beflügelt und dabei die sozialrevolutionären Lehren Jesu entweder pervertiert oder schlichtweg verleugnet" kann man getrost ignorieren und nach der Lektüre trotzdem über mehr Informationen verfügen als zuvor.

Es wäre dringend an der Zeit, über die bösen Geißeln der Lohnarbeit, des pervertierten Privateigentums (insbesondere den Land- und Produktionsmittelbesitz sowie den absurden Superreichtum) und des widerwärtigen Untertanengeistes der breiten Masse endlich wieder kritisch zu reden - aber leider ist diese "freiheitlich-demokratische" Gesellschaft weiter von diesem Ziel entfernt als jemals zuvor. Dies illustrieren nicht zuletzt viele der Kommentare unter jenem Text, die man sich besser schenken sollte, wenn man nicht gerade Lust auf schlechte Laune oder schlimmeres hat.

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Spießers Stoßgebet

Ab heute bin ich Demokrat,
Schenk deine Gnade mir!
Gib einen König unserm Staat
Und ein hochprozentig Bier!

O Herr, ich will zufrieden sein,
Hab ich nur Hof und Haus!
Lass keinen mehr nach Bayern rein
Und wirf sie alle raus!

Ich will stets brav sein und human,
Hab Butter ich und Speck -
Was andere am Volk getan,
Das schert mich einen Dreck!

O Herr und Gott, beschütze mich
Vor Hagel, Sturm und Brand
Und entnazifiziere mich
Fürs neue Vaterland!

Dann werde treu ich dienen dir,
Wie ich's für Hitler tat -
Im Königreich, beim bayrisch' Bier,
Als echter Demokrat!

(Th. Miegler: "Spießers Stoßgebet", in: "Der Simpl", Nr. 4 vom Mai 1946)

Montag, 28. November 2016

Für Frieden und Kapitalismus! Yeah!


Mein Lieblingssatiriker Stefan Gärtner hat mal wieder seine intellektuellen Muskeln spielen lassen und sich über einen Text einer gewissen Carolin Emcke aus der Süddeutschen ausgelassen, der an Dummheit und Bräsigkeit kaum mehr zu überbieten ist. Ich verlinke den Schmonzes aus Bayern nicht, da die Süddeutsche BenutzerInnen von Reklame-Blockern inzwischen konsequent aussperrt und sich somit selbst ins digitale Abseits begibt. Wer keine Lust hat, sich blinkende Desinformationen zu irgendwelchen Damenbinden, Klopapieren oder Dumpf-Phones anzusehen, während er sich auf der verzweifelten Suche nach den Resten des Journalismus' befindet, ist auf den Qualitätsseiten aus Bayern nicht mehr willkommen. So soll es sein!

Der Gärtner liest den Quatsch wohl nicht online, so dass er ihn auch nicht verlinken muss. Er schreibt - und ich feiere ihn einmal mehr für seine böse, süffisante Note:

Es ist ein schöner Beruf, den die Carolin Emcke da hat: In der Welt herumfahren, Bücher lesen und dann die richtigen Fragen nicht und die falschen Fragen so gymnasial stellen, dass der liberalen Kundschaft, die die Antworten auf gar keinen Fall wissen will (und von dramatischen Transformationen auch immer zuletzt betroffen ist), der Samstagsspaziergang nicht vergeht. Dass für derlei windelweiches Gemurkse kostbares Altpapier verbraucht wird: das muss – für Frieden und Kapitalismus! – die Freundschaft aushalten.

Es lohnt sich sehr, den Text in Gänze zu lesen - alldieweil der Autor ausgiebig aus dem reklamezensierten Text zitiert, so dass man gar nicht nach Bayern klicken muss, um sich die Haare zu raufen. Er hat gar nicht viel dazu geschrieben - seine kurzen Anmerkungen zwischen den Zitaten reichen aber völlig aus, um die Propagandapredigt der Kapitalismusfreundin Emcke in genau die lächerliche Kindergartenecke zu rücken, in die sie gehört.

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Der flammende Leitartikel



(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 47 vom 16.02.1925)

Samstag, 26. November 2016

Musik des Tages: Sinfonie Nr. 11 - "Der Winter"




  1. Der erste Schnee (Allegro)
  2. Allegretto
  3. Am Kamin (Larghetto)
  4. Karneval (Allegro)

(Joseph Joachim Raff [1822-1882]: "Sinfonie Nr. 11" in a-moll, "Der Winter", Op. 214 aus dem Jahr 1876; Bamberg Symphonic Orchestra, Leitung: Hans Stadlmair)

Anmerkung: Die Kunst- und Musikgeschichte ist prall gefüllt mit den Vergessenen ihrer Zeit. Joachim Raff ist einer von ihnen - es gibt keinen musikwissenschaftlichen Grund, weshalb sein Werk in der Versenkung verschwunden ist, während zumindest manche Werke seiner Zeitgenossen Liszt oder Brahms auch heute noch wohlbekannt sind. Dieses Los teilt der Komponist mit einer ganzen Heerschar von Leidensgefährten, deren Namen und Werke heute niemand mehr kennt, obwohl sie den populären Stars der sinfonischen Musik durchaus das Wasser reichen können.

Es ist mir ein Rätsel, weshalb von wenigen Ausnahmen abgesehen stets nur dieselben Werke der bekannten Komponisten gespielt werden - wenn doch allein die Epoche der Romantik schon so viele vergessene Meisterwerke zu bieten hat. Es lohnt sich, bei youtube den Suchbegriff "Unsung Masterworks" einzugeben, um einen ersten Eindruck der vergessenen Vielfalt dieser Epoche zu erhalten - doch auch dort findet sich lediglich ein kleiner Ausschnitt, auch wenn die schiere Fülle der unbekannten Komponisten, die dort auftauchen, etwas anderes suggeriert.

Wenn ich eine Formulierung wie die folgende lese, wie sie im Wikipedia-Eintrag zu Joachim Raff zu finden ist: "Sicher war nicht alles, was Raff schrieb, von gleichem Rang. Seine besten Kompositionen zeichnen sich aber durch eine reiche künstlerische Anlage und Ausdruckskraft aus", dann muss ich erst lachen und mich danach echauffieren, denn dasselbe trifft auf jeden mir bekannten "Superstar" der ernsthaften Musik zu. Es wäre eine leichte Übung, völlig belanglose Stücke von Brahms, Liszt oder Wagner zu sammeln und sie entsprechend konträr ausgewählten Werken Raffs und anderer Komponistenzombies gegenüberzustellen. Auf diesem Niveau bewegt sich die heutige Konzertlandschaft, die immer und immer wieder dieselben sinfonischen Werke aufführt - in der irrigen Annahme, das sei vom Publikum so gewünscht. Ernsthafte Musik verkommt so zur "Pop"-Musik.

Die überbordende Fülle der menschlichen Kultur wird hier einmal mehr rabiat beschnitten - und es gehört nicht viel Fantasie dazu, die kapitalistischen Gründe dafür auszumachen: "Den Raff kennt keiner - wir spielen doch lieber Brahms, dann kommen mehr zahlende ZuhörerInnen!" - Und so lernen wir: Es bedarf gar keiner digitalen Vergessenskultur - der Kapitalismus reicht völlig aus, um das Vergessen zur pervertierten Vollendung zu treiben.

Freitag, 25. November 2016

Prioritäten setzen: Ein noch schlechteres Leben für die Mehrheit


Wir wissen ja alle, dass im armen Deutschland, dem es dennoch "gut" gehe, eine auskömmliche Rente für alle sowie ein tatsächlich "angemessenes" Existenzminimum für Kranke, Behinderte, Erwerbslose und Flüchtlinge keinesfalls finanzierbar ist - so wird es den Menschen hierzulande seit Jahr und Tag von irgendwelchen politischen und medialen Schlips-Borg in trauter Eintracht vorgebetet. Man muss eben Prioritäten setzen, wenn man als Vasall für eine superreiche, pervertierte Minderheit Politik macht und Propaganda verbreitet. So war kürzlich bei n-tv zu lesen:

Die Koalition rüstet im Wahljahr bei der inneren Sicherheit auf. Der Bundestags-Haushaltsausschuss bewilligte weitere 4300 Stellen bei den Sicherheitsbehörden bis 2020. Als Antwort auf terroristische Bedrohungen werden außerdem die Geheimdienste gestärkt. / (...) Der Hauptgewinner im regierungsinternen Tauziehen um die Steuermilliarden ist Innenminister Thomas de Maizière. Ihm stehen 2017 insgesamt 8,98 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind rund 53 Prozent mehr [sic!] als zur Beginn der Wahlperiode 2014.

Vom "Verteidigungshaushalt" der Stahlhelm-Uschi, der eigentlich korrekt "Kriegskasse" heißen müsste, ist in diesem Zusammenhang noch gar nicht die Rede. Wichtig allein ist nur, dass es eben kein Geld für Menschen in diesem Land mehr geben soll, die dem Ausbeutungsterror der "Unternehmen" aus irgendwelchen Gründen nicht oder nicht mehr voll umfänglich zur Verfügung stehen. Polizei, Militär, Geheimdienste - also eine massive Aufrüstung in Sachen Überwachung, Kontrolle, Kriegen und begleitender Propaganda - besitzen absolute Priorität - und wenn das Steuergeld in den Kassen der Konzerne, also auf den Konten der Superreichen, versickert ist, bleibt nichts mehr für Menschen übrig. So argumentiert diese Bande allen Ernstes, auch wenn sie es etwas anders formuliert - und dennoch jagt sie niemand geteert und gefedert aus dem Land.

Was ließe sich allein mit dieser Aufstockung für das Ressort der widerlichen Bürstenfresse de Maizière nicht alles an sinnvollen, humanen, erfreulichen Dingen anstellen: Mit knapp 3.000 Millionen (3 Milliarden) Euro allein in einem einzigen Jahr fielen mir jedenfalls auf Anhieb tausende von Möglichkeiten ein, wie man dieses verkommene Land insbesondere für benachteiligte oder zwangsverarmte Menschen wieder ein kleines bisschen besser machen könnte.

In der Erzählung stimmt jedoch ein kleines Detail nicht - und das ist die "schwarze Null" der schwarzen Null Wolfgang Schäuble. Dem Text ist der kleine Hinweis zu entnehmen, dass der Bund "bereits seit 2014 auf neue Kredite verzichten" könne (was im Übrigen auch auf den Seiten der statistischen Bundespropaganda nachgelesen werden kann). Falls diese Angabe stimmen sollte, hat der deutsche Staat seit 2014 also tatsächlich keine neuen Kredite zur Finanzierung des Haushaltes mehr aufgenommen (zahlt aber natürlich weiterhin die horrenden Zinsen auf die "alten" Kredite seit 1945, ohne diese zu "tilgen" - bis in alle Ewigkeit). Das indes verblüfft mich arg - denn schließlich ist die Vergabe von immer neuen Krediten - insbesondere an Staaten - bekanntermaßen die Haupteinnahmequelle der privaten Bankenmafia, und sie dürfte nicht sonderlich amüsiert sein, wenn dieses Füllhorn nun plötzlich versiegte. Ich stelle die steile These auf: Entweder stimmt diese "schwarze Null" nicht - oder die Bande hat in irgendwelchen Hinterzimmern längst ein alternatives, ebenso kriminelles Modell ausgekungelt, das den Banken auch weiterhin sprudelnde und stetig steigende Profite aus der Staatskasse garantiert, ohne dass irgendeine "Leistung" geliefert werden muss. Ich bin da aber, ehrlich gesagt, ratlos.

In jedem Falle gilt aber: Die korrupte Bande (quer durch alle Blöcke der kapitalistischen Einheitspartei) denkt nicht im Traum daran, Armen, Kranken, Alten, Behinderten, Flüchtlingen oder auch Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen - ganz im Gegenteil. Das noch schlechtere Leben für die Mehrheit ist ihr klar erkennbares Ziel, das sie mit aller Vehemenz seit Jahrzehnten verfolgt. Leider bemerkt das kaum jemand, während die selbsternannte "Elite" ihre Geldspeicher Jahr für Jahr vergrößern muss, damit die absurden Geldmengen überhaupt noch hineinpassen, ohne die Mauern zu sprengen.

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Der Herr der Welt


"Der rüstet nicht ab!"

(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 26 vom 22.09.1924)

Mittwoch, 23. November 2016

Choral des Tages: Mit leerem Hirn gen Untergang






Ich habe für meinen Lieblingsspinner ein kleines Musikstückchen für vierstimmigen Chor geschrieben. Vielleicht hat der Gute ja die Gelegenheit, es sich bei Gelegenheit von kompetenten Interpreten vorsingen zu lassen. Der expressionistische, unheimlich künstlerische Text - in trauter religiöser Tradition - lautet:

Oh Faulfuß, wir folgen deinen wirren Wegen.
Oh Faulfuß, mit leerem Hirn gen Untergang.
Oh Plattfuß, du kannst so herrlich sinnlos reden.
Oh Plattfuß, mit leerem Hirn gen Untergang.

Ob der Mann dieses musikalische Juwel zur Kenntnis nimmt und es vielleicht sogar in sein tägliches Brabbel-Ritual aufnehmen wird, damit sein Gehirn endlich einmal wächst, werde ich aber wohl nie erfahren. Schade eigentlich.

Dienstag, 22. November 2016

Die korrupte Demokratie: Überwachung in Freiheit


Der Marsch in den Überwachungsstaat geht unaufhaltsam weiter. Es gibt kein Innehalten, keine Bedenken, keine Frage nach einer sinnvollen Begründung jenseits des Terrorwahns. Die korrupte Bande - in diesem Falle mal wieder ein unschönes Gemisch aus SPD und Grünen - macht Überwachungsnägel mit Kameraköpfen:

Videobeobachtung in NRW wird ausgeweitet / Im Supermarkt oder an der Tankstelle gehören sie bereits zum gewohnten Bild, jetzt erobern sie langsam auch den öffentlichen Raum: Videokameras. In Essen etwa müssen Passanten in der nördlichen Innenstadt demnächst damit rechnen, beim Straßenbummel beobachtet zu werden - allerdings nicht von privaten Ladenbesitzern, sondern von Polizeibeamten. Dort haben am Montag (21.11.2016) die Installationsarbeiten für eine neue Video-Beobachtungsanlage begonnen.

Im verlinkten WDR-Bericht wird sogleich zurückgerudert und fast flehentlich versichert, dass es keine "anlasslose" Totalüberwachung geben werde und dass selbstverständlich nur an Orten überwacht werde, "an denen wiederholt Straftaten begangen wurden und deren Beschaffenheit die Begehung von Straftaten begünstigt". Sicher. Diese Argumentation ist dem autofahrenden Bürger schon lange bekannt, wenn es um mobile Geschwindigkeitskontrollen geht, die selbstverständlich auch nur an signifikanten "Unfallschwerpunkten" stattfinden. Wer glaubt diesen infantilen Mist eigentlich? Wenn diese Kameras einmal installiert sind und jederzeit in Betrieb genommen werden können - unabhängig davon, ob jemand die "Monitore beobachtet", was ohnehin ein Argument auf Sandkastenniveau darstellt -, dann werden sie auch genutzt - im Zweifel auch illegal. Da kennen deutsche Behörden traditionell keinerlei Skrupel.

Der WDR-Bericht ist schon hirnzerfressend genug - allerdings gibt es dazu ausnahmsweise auch einen Kommentarbereich (den der WDR ansonsten abgeschaltet hat). Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass sich dort überwiegend (wenn nicht gar ausschließlich) Gruselkommentare finden, die dem Herrn de Maizière einen tollen Orgasmus bescherten. - Gewiss ist das nicht repräsentativ. Ob hier "echte" LeserInnen oder doch nur Sockenpuppen oder Trolle kommentiert haben, ist unbekannt. Es lässt sich lediglich feststellen, dass hier der Gang in den totalitären Überwachungsstaat mehrheitlich freundlich begrüßt wird. Die menschenfeindliche Strategie der neoliberalen Einheitspartei wird also bestätigt.

Wieso kommt eigentlich niemand in der Politik, in den Medien und in den dort freigeschalteten Kommentaren auf den naheliegenden Gedanken, dass eine solche furchtbare Überwachungstechnologie jederzeit aufs Übelste missbraucht werden kann, ohne dass es eine sinnvolle Möglichkeit zur individuellen Gegenwehr gibt? Welche furchtbaren Terroranschläge und Verbrechen müssen in den zum Einkaufszwang pervertierten, überall gleichen Innenstädten abgewehrt werden, die ein solches Überwachungsszenario rechtfertigen? Die Gestapo der Nazis hätte sich ekstatisch die braunen Finger nach solchen Instrumenten geleckt - aber heute existiert diese Gefahr nicht mehr? Sind die Leute, die so etwas beschließen, medial begleiten, bejubeln und unkritisch zur Kenntnis nehmen, noch ganz bei Trost?

Diese Frage kann ich beantworten: Sie sind zwar ganz sicher nicht bei Trost, dafür aber vehement bei ihrem persönlichen Bankkonto. So funktioniert marktkonforme - also durch und durch korrupte - Demokratie. Nicht erst im 21. Jahrhundert.

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Schiffbruch



(Gemälde von Aleksander Orłowski [1777-1832] aus dem Jahr 1809, Öl auf Leinwand, Russisches Museum, Sankt Petersburg, Russland)

Montag, 21. November 2016

Der Auschwitz-Prozess in Frankfurt 1963-65


Eine Dokumentation von Rolf Bickel und Dietrich Wagner aus dem Jahr 1993.

1. Die Ermittlung


2. Der Prozess


3. Das Urteil


Siehe dazu auch: "Zeitzeugen sprechen über Auschwitz - Schnipsel des alltäglichen Horrors" - Teil 1 (Mauritius Berner), Teil 2 (Otto Wolken), Teil 3 (Hermann Langbein), Teil 4 (Emil de Martini), Teil 5 (Hermann Reineck), Teil 6 (Imrich Gönczi), Teil 7 (Friedrich Skrein), Teil 8 (Peter Budan), Teil 9 (Hermann Holtgreve), Teil 10 (Georg Severa und Paula Rosenberg).

Samstag, 19. November 2016

Zitat des Tages: "Besorgten Bürgern" ins Stammbuch!


Gewissen Bürgern ins Stammbuch!

Man war nicht restlos einverstanden,
Das Ganze war doch gar zu roh:
Die üblen braunen Mörderbanden,
Gestapo, Strang und Zwang und so,

Doch war die Aussicht, zu verdienen,
Dabei so gut, aus diesem Grund
Da blieb es bei den Flüstermienen,
Man hielt zu Lug und Trug den Mund.

Und weiß man viel von den Methoden,
Von Himmlers Menschenmetzelei,
Ein Trost: Den Juden galt's und Roten,
Den andern galt's mehr nebenbei!

So ließ man Hitler weiter wüten,
Marschstiefelwichse als Gehirn,
Und wand den Lorbeer, den verfrühten,
Um seine peinlich enge Stirn.

Und statt den Untergang zu wittern
Von Freiheit, Recht und von Kultur,
War man bereit, mitreinzuschlittern.
Nun schlittert nur, nun zittert nur!

(Ernst Klotz [1894-1970]: "Gewissen Bürgern ins Stammbuch!", in: "Der Simpl", Nr. 1 vom 28.03.1946)

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Der fliegende Holländer



(Zeichnung von Max Radler [1904-1971], ebd.)

Freitag, 18. November 2016

Der brabbelnde Spießer


Er hat es schon wieder getan. Wiederholungstäter wie Roland Faulfuß werden einfach nicht müde, immer und immer wieder ihrer esoterischen Mission zu folgen und das Gehirn der zum Lesen (und Schweigen) Verdammten solange zu ficken, bis nur noch brauner Matsch übrig bleibt.

Aktuell hat sich die dämmernde Funzelbirne auf Weckers Mönch-Blog "Jenseits der Realität" über das Thema "Göttliches Gehirntraining" erbrochen. Der Kollege vom frei-blog hat sich dazu bereits kreativ ausgelassen. Man muss diese salbungsvollen Worte auf sich wirken lassen: Da werden aus gehirnlosen bayerischen Rosenkranz-Omis im Handumdrehen "spirituelle" Leuchttürme, die dem verfaulenden Fuß den Weg in Gottes Reich zeigen. Den Kranken dieser Welt ruft Faulfuß aufmunternd zu: "Folgt mir auf dem Weg der Mantras, Gebete und Meditationen, liebe Schafe, dann werdet auch ihr endlich gesunden!"

Solcher Schmonzes ist aber nicht nur hanebüchen und äußerst witzig, sondern leider auch sehr gefährlich. Es gibt in dieser steinzeitlichen Welt leider Menschen - und das sind gar nicht wenige -, die nur allzu anfällig sind für derlei Hokuspokus. Es reicht daher nicht aus, sich über den offensichtlich Verwirrten lustig zu machen - es gilt vielmehr, die Hirnlosigkeit vehement zu bekämpfen. Lest Euch den wirren Text in Gänze durch (sofern das ohne blutige Schädelverletzungen möglich ist) und macht Euch klar, dass dieser debilen Gülle eine erhebliche Anzahl von "mündigen" Menschen auf den Leim geht, auch wenn man das partout nicht glauben mag.

Faulfuß schreibt allen Ernstes:

In einer ihrer jüngsten Studien stellten Newberg und Waldman nämlich fest, "dass das rituelle Rosenkranzbeten sowohl Spannung wie auch Stress und Angst abbaut." Also nehme ich manchmal sogar das "Ave Maria" in mein Ritual auf. Wenn während einer meiner Übungen ein junger Mensch am Fenster lauschen würde, dächte er vielleicht verächtlich: "Was ist das für ein brabbelnder Spießer?"

Ich bin nun weder ein junger Mensch, noch lausche ich an den Fenstern der Wohnungen verwirrter Esos - wenn ich aber dennoch solche Handlungen mitbekäme, spräche ich unverzüglich meine Empfehlung einer Einweisung ins Irrenhaus aus. Wahrscheinlicher ist indes, dass ich selbst längst den Verstand verloren habe und lediglich meinen Zellennachbarn belausche, den ich selbstverständlich - im günstigsten Falle - für einen brabbelnden Spießer halte.


(Der brabbelnde Spießer während eines "Rituals")

Donnerstag, 17. November 2016

Zitat des Tages: Trübsinn


Weltunglück geistert durch den Nachmittag.
Baracken fliehn durch Gärtchen braun und wüst.
Lichtschnuppen gaukeln um verbrannten Mist,
Zwei Schläfer schwanken heimwärts, grau und vag.

Auf der verdorrten Wiese läuft ein Kind
Und spielt mit seinen Augen schwarz und glatt.
Das Gold tropft von den Büschen trüb und matt.
Ein alter Mann dreht traurig sich im Wind.

Am Abend wieder über meinem Haupt
Saturn lenkt stumm ein elendes Geschick.
Ein Baum, ein Hund tritt hinter sich zurück
Und schwarz schwankt Gottes Himmel und entlaubt.

Ein Fischlein gleitet schnell hinab den Bach;
Und leise rührt des toten Freundes Hand
Und glättet liebend Stirne und Gewand.
Ein Licht ruft Schatten in den Zimmern wach.

(Georg Trakl [1887-1914]: "Trübsinn", in: "Gedichte", Kurt Wolff 1913)





Anmerkung: Lutz Görner zitiert in seinem verlinkten Beitrag auch aus dem Tagebuch Trakls: "Ich sehne den Tag herbei, an dem die Seele in diesem armseligen, von Schwermut verpesteten Körper nicht mehr wird wohnen wollen - und können; an dem diese Spottgestalt aus Kot und Fäulnis verlassen wird, die ein nur allzu getreues Spiegelbild eines gottlosen, verfluchten Jahrhunderts ist. Es ist ein namenloses Unglück, wenn einem die Welt entzwei bricht." - Dazu ist nichts weiter zu sagen.

Mittwoch, 16. November 2016

Song des Tages: Megalomania




There's a little bit of Adolf in everyone
And the hand that holds the whip sometimes has all the fun
There's a hidden desire that wants to rock the earth
And beat up old Idi Amin - for what it's worth!

Singing: Ooh Megalomania ...

Take a little ego, take a lot of money
Add some psychosis to the land of milk and honey
Get it on the radio, the TV and the paper
Stir up the nation - then you can rape her!

Ooh Megalomania ...

Call in the army, buy a politician
Promise anything to improve your own position
Print yourself some money, buy the world on a short-term loan
Invade Tasmania, then you call it home!

Ooh Megalomania ...

Legalize murder, imprison the students
A public execution or two
Put up the taxes on necessity
Be strong in everything you do
Let your supporters live in luxury
But shoot them in the back when they get too smart
Keep one step ahead of yourself:
Beware of that poison dart!

And the businessman sits dreaming in his office
Of making his next big deal!
The one that will bring down the president
Everybody will click their heels!
The people on the streets will turn to him
Because he has the answers!
One night in the White House he'll confess to his wife:
"You know I'm just a necromancer ..."

Ooh Megalomania ...



(Skyhooks: "Megalomania", aus dem Album "Guilty Until Proven Insane", 1978)

Anmerkung: Es ist schon ernüchternd, dass ich heutzutage auf eine australische Band der 70er Jahre zurückgreifen muss, um den Irrsinn unserer Zeit zu illustrieren. Ich kenne jedenfalls keinen Song, der den aktuellen kapitalistischen Gehirnmatsch noch besser karikiert.

Aus musikalischer Sicht ist hier besonders der witzige Wechsel vom gefälligen, satirisch überzeichneten Pop-Song zum "anarchistischen Chaos" bemerkenswert, sobald vom "businessman" die Rede ist. Das Cover der LP mit dem bezeichnenden Titel muss ich nicht weiter kommentieren.