Montag, 23. Mai 2016

Buchempfehlung: Die Kuppel der Hoffnung


Den Beginn des heute gar nicht mehr so furchtbar utopischen Romans "Die Kuppel der Hoffnung", den der sowjetische, nicht unumstrittene Autor Aleksandr Kazancev im Jahre 1980 (dt. 1984) veröffentlicht hat, zieren gleich mehrere bedenkenswerte Vorbemerkungen und Zitate - ich konzentriere mich hier jedoch auf das Zitat Goethes, das dem unmittelbaren Beginn des vom Autor als "Traumbuch" bezeichneten Science-Fiction-Romans, nämlich dem ersten Kapitel ("Ein Feind des Hungers - Unser tägliches Eiweiß") vorangestellt ist:

Es gibt nur wenige Menschen, deren Fantasie auf die Wahrheit der realen Welt gerichtet ist. Gewöhnlich ziehen sie es vor, in unerforschte Länder zu entweichen und in Verhältnisse, von denen sie nicht die geringste Vorstellung haben und welche die Fantasie auf die wunderlichste Weise ausschmücken kann.

Dies ist in der Tat das Programm dieses ungewöhnlichen Romans, der sich mit dem Hunger in der Welt, seiner Bekämpfung und damit - wen wundert's angesichts der Herkunft des Autors und der Zeit der Entstehung - selbstverständlich auch mit den bösen Auswirkungen des Kapitalismus beschäftigt: Kazancev hat nämlich eine sehr genaue Vorstellung vom Thema seines Romanes und präsentiert dem geneigten Leser ein profundes Wissen über Zusammenhänge und Selbstverständlichkeiten, die unseren heutigen Massenmedien ferner sind als die übernächste Galaxie.

Im Klappentext heißt es:

"Den Wissenschaftlern aller Länder ist klar, dass es keine Raumfahrt, keinen Flug zu den Sternen geben wird, solange die Probleme der Erde nicht gelöst sind, allen voran Problem Nummer eins: der Hunger. Auf nationaler Ebene jedoch lässt es sich nicht lösen, internationale Zusammenarbeit ist dazu nötig, und die Forscher müssen dem Zugriff und dem Einfluss der Getreidemultis und anderer Privatinteressen entzogen sein, die mit dem Hunger der Welt ihre Geschäfte machen.

Einer Gruppe internationaler Wissenschaftler gelingt es, die UNO für ein gigantisches Projekt zu interessieren und es in Angriff zu nehmen: Eine Forschungsstation im Eis der Antarktis, geschützt durch eine riesige Kuppel, in der Forscher aus allen Ländern der Erde (...) an der Herstellung künstlicher Nahrung auf der Basis von Kasein, Soja-Öl und Candida-Hefen arbeiten sollen.

Doch was als geschütztes Refugium geplant war, erweist sich als verletzliches Gebilde, das die Gegner des Projekts mit allen Mitteln zu sabotieren und zu vernichten bestrebt sind: Die Kuppel der Hoffnung."

Wir können heute, 36 Jahren nach der Erstveröffentlichung dieses Buches, allenthalben verfolgen, wie "Getreidemultis und andere Privatinteressen" den Hunger in der Welt geflissentlich zu ihrem eigenen Profit zementieren und ausbauen - sogar gänzlich ohne ein ehrgeiziges, wenn auch nicht unumstrittenes Projekt wie die "Kuppel der Hoffnung".

Der Roman regt in vielerlei Hinsicht zum Nachdenken an - beispielsweise ob es tatsächlich eine Lösung sein kann oder sollte, künstliche Nahrung, wie sie heute ja schon vielfach industriell produzierte Grusel-Realität im Sog des Profitzwangs ist, zu präferieren - und bietet darüber hinaus viel Spielraum für gedankliche Alternativen zum zerstörerischen Kapitalismus. Auch über den Schluss des "Traumbuches" kann man trefflich streiten - aber ich will nicht spoilern und verrate hier nichts weiter.

Fakt bleibt aber: Im Jahre 2016 gibt es nichts, das auch nur annähernd eine Bezeichnung wie "Kuppel der Hoffnung" verdiente - heute müssen wir uns längst wieder mit Begriffen wie "Szenario der möglichst wenigen Toten" oder "Wenn schon Hunderttausende Hunger leiden und sterben, soll das wenigstens nicht vor meiner Haustür geschehen" zufrieden geben. Und der grausige Abgrund rückt unaufhaltsam näher, für uns alle.

Und die "Elite" schlemmt und lacht weiter in ihren Luxusvillen an den schönsten, für alle anderen Menschen selbstredend verbotenen Orten dieses sterbenden, schreienden, traumlosen Planeten.



(Aleksandr Kazancev [1906-2002]: "Die Kuppel der Hoffnung", 1980, dt. Heyne 1984)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ob hier wohl auch "Entscheider" mitlesen? Wohl eher nicht.

Ich bin kein Roboter hat gesagt…

Danke Charlie :-)

Bin gerade noch an "Die letzten 48 Stunden" dran, aber dann habe ich ja direkt das nächste Werk zum Lesen.

(Wobei ich Tower of Glass auch noch holen muss ^.^)