Freitag, 6. Mai 2016

Zitat des Tages: Landschaft


Aus der Ebene sind bebende Häuser geflüchtet,
weit, wo sie am glühenden Horizont durcheinanderstürzen,
der die kreischenden Bäume schüttelt,
die verkrallt den verschwelten Himmel festhalten,
den ausgebrannten, mürben Himmel,
aus dem die Menschen wie Rußflocken gefallen sind,
Menschen, auf Äckern und Straßen klebend.
Blumen und Ähren stehen im Fieber und alles verdorrt.
Ist so elend verdorrt.
Angst umstellt das bittende Herz.

(Richard Oehring [1891-1940]: "Landschaft", in: "Die Aktion", 5. Jg., Nr. 31/32 vom 07.08.1915)



Anmerkung: Dies ist eines der Gedichte, die mein diskussionsverweigernder Lieblingsfan Holdger Platta jüngst als "Weltschmerzlyrik", die ich hier angeblich verbreite, diffamiert hat. Er erweckt damit den Anschein einer grandiosen Unwissenheit bezüglich der expressionistischen Lyrik und ihrer politischen Bedeutung, beweist aber unwillkürlich eine gewollte Irreführung seiner LeserInnen, da er als Philologe selbstverständlich weiß, dass derlei Texte mit dem Begriff "Weltschmerz" allenfalls auf BLÖD-"Zeitungs"-Niveau bezeichnet werden können. So findet ein blind gackerndes Huhn letzlich auch sein Eso-Körnchen.

Oehring hat dieses Gedicht nach seinen ersten Erlebnissen im Ersten Weltkrieg geschrieben, an dem er - wie so viele andere damals junge Menschen - aktiv teilnehmen musste. Diese furchtbaren Erfahrungen haben ausgereicht, ihn zum Pazifisten reifen zu lassen und sich jeder weiteren Teilnahme am großen Morden geschickt zu verweigern. Seine melancholisch-pessimistische Sicht auf die damalige Zukunft entspringt keiner diffusen "Weltschmerz"-Doktrin, sondern dem ganz realen Erleben des Horrors, den auch Oehring, der spätestens seit den Kriegserlebnissen Kommunist und ein Wegbegleiter Franz Pfemferts war, als logische Folge des krebsartigen Untergangs des Kapitalismus sah.

Sein Leben endete 1940 im Suizid, als auch sein gewähltes Exil - Holland - von den Nazis überfallen und okkupiert wurde.

Diese Lyrik hat nichts mit "Weltschmerz" zu tun, sondern ist hochaktuell - und Holdger Plattfuß sollte sich solcher dummen Äußerungen schämen - nicht zuletzt, da er selber auch einmal einen Text über den expressionistischen Dichter Armin T. Wegner, der ebenfalls vor den Nazis flüchten musste, geschrieben hat.

Menschen beispielsweise aus Syrien verbinden heute mit diesem Gedicht sicherlich etwas andere Ereignisse, die fernab jedes "Weltschmerzes" liegen.


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