Dienstag, 2. August 2016

Realitätsflucht (32): Enclave


Die heutige Reise in die virtuelle Fluchtwelt führt einmal mehr ganz tief in die Mottenkiste der Computerspiele, wo sich Spinnweben und modernde Leichen gute Nacht sagen. Das Spiel "Enclave" (Gold-Edition) des schwedischen Entwicklerstudios Starbreeze aus dem Jahr 2002 (PC-Version 2003) kennt heute wohl kaum jemand mehr - und das völlig zu unrecht, wie ich meine.

Es handelt sich um ein Action-Spiel mit Rollenspielelementen im sogenannten "Third-Person-Modus", in dem der Spieler seine Figur ganz im Stile von Gothic oder The Elder Scrolls durch eine ziemlich abgefahrene Fantasywelt steuert und dabei vornehmlich damit beschäftigt ist, verschiedenste Gegner auf unterschiedliche Arten auszuschalten. Anders als in den erwähnten beiden Rollenspielen hat man es hier aber nicht mit einer offenen Welt, sondern mit einem streng linear aufgebauten, in Level unterteilten Szenario zu tun. Das ist aus heutiger Sicht etwas gewöhnungsbedürftig, war seinerzeit aber völlig selbstverständlich.

Dass das Spiel bereits satte 14 Jahre auf dem Buckel hat, merkt man ihm allerdings keineswegs an: Sowohl die Steuerung, als auch die für damalige Verhältnisse bemerkenswerte Grafik können sich mühelos mit so manch anderem Spiel, das erst viele Jahre später erschienen ist, messen lassen. Die Story ist, wie in Fantasy-Spielen üblich, gewohnt hanebüchen und sowieso eher nebensächlich, dafür aber professionell erzählt und mittels Videosequenzen auch visuell schlüssig umgesetzt. Die deutsche Sprachausgabe rangiert auf Filmniveau, die Musik unterstützt die Atmosphäre der jeweiligen Szenarien perfekt. Auf meinem Win7/64-System läuft das Spiel problemlos und ohne jeden Absturz.



Das Alter ist dem Spiel vor allem in einer Hinsicht anzumerken: Es ist - und das ist nicht übertrieben - sauschwierig. Nach einem sehr leichten Beginn steigert sich der Schwierigkeitsgrad stetig und schnell bis hin zu einer - auch im einstellbaren "leichten" Spielmodus - fast schon obszönen Härte. Die fehlende Speicherfunktion unterstützt das vortrefflich: Man kann den Spielstand zu keinem Zeitpunkt selbst abspeichern, sondern muss gewisse "Checkpoints" erreichen - aber auch diese greifen nur, solange man die aktuelle Mission nicht vorzeitig unterbricht. Anders gesagt: Wenn man sich eineinhalb Stunden durch irgendeine verfallene Ruine gekämpft und endlich einen "Checkpoint" erreicht hat, ist es eine sehr schlechte Idee, das Spiel zu beenden und zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen zu wollen, denn dann landet man jungfräulich wieder am Eingang jener Ruine. Ebenso sollte man sich nie in Sicherheit wähnen, denn auch nach dem heftigsten, manchmal nur mit Glück überlebbaren Kampf mit besonders zähen Gegnern macht sich das Spiel einen Spaß daraus, dem Spieler, der das helle Glänzen des ersehnten "Checkpoints" in der Ferne bereits erspäht und diesen mit letzter Kraft und nur noch einem kleinen Hauch von Lebensenergie zu erreichen trachtet, unverhofft noch einmal eine ganze Meute von aus dem Nichts auftauchenden Gegnern entgegen zu schleudern oder ihm eine "Jump-and-Run"-Passage zu offerieren, die es in sich hat.

Zu erwähnen ist noch, dass man sich zu Beginn für die "helle" oder die "dunkle" Seite entscheiden muss. Diese Entscheidung zieht einen jeweils anderen Spielverlauf nach sich, der sich durch andere spielbare Charaktere (mit entsprechend anderen Fertigkeiten) sowie teilweise völlig unterschiedliche Regionen, Missionen und Gegner auszeichnet. Man kann das ohnehin umfangreiche Spiel also mindestens zweimal durchspielen, ohne auf allzu viele Wiederholungen zu treffen.

Ich habe während des Spielens das gruseligste Fluchen ganz neu erlernt, wenn mein gesamter Spielfortschritt des aktuellen Levels wieder einmal kurz vor dem rettenden (Speicher-)Hafen fast beiläufig im Morast versunken ist.



Mit anderen Worten: Das Spiel macht einen Heidenspaß. Mein ständig wiederholter Standardsatz während des Spielens lautete schlicht: "Ihr wollt mich doch verarschen!" - Solche Werke gibt es heute nicht mehr - selbst ein Titel wie "Dark Souls", der bekanntermaßen mit dem ständigen Ableben der Spielfigur kokettiert, ist gegen die höheren Levels von "Enclave" nichts weiter als ein müder Kindergeburtstag. Wer nach einer wirklich anspruchsvollen spielerischen Herausforderung sucht, kann mit diesem Meisterwerk aus der Mottenkiste nichts falsch machen.


4 Kommentare:

darkmoon hat gesagt…

Faulfuss gegen die Guten? Das klingt alles sehr spannend, das Spiel werd ich wohl mal ausprobieren müssen! Du überraschst mich, Charlie :)

dede hat gesagt…

Das Spiel ist Klasse! Mich würde ja interessieren @charlie, bis zu welchem level du durchgehalten hast? Oder hast du es wirklich bis zum bitteren Ende geschafft? :-))

Charlie hat gesagt…

@ dede: Kein Kommentar. Cheats gibt es nicht. ;-)

Martin hat gesagt…

Hui, ich denke das werde ich mir mal besorgen. Den Trailer fande ich durchaus sehr vielversprechend und ich mag diese angemotteten RPGs und Adventures von alter Schule. Habe vor kurzem RUNE CLASSIC gespielt und das ist wohl sehr ähnlich. Außerdem erinnert mich dieses Spielein wenig an SHADE: ZORN DER ENGEL.

Danke für den Tipp! Gehört habe ich davon schon mal, aber ich wusste nicht, dass es so interessant ist.

Grüße
Martin