Samstag, 24. September 2016

Unheimliche Begegnung der Faulfuß'schen Art


Auch wenn der Titel etwas anderes suggeriert: Es geht hier nicht um meinen Lieblingsspinner Roland Faulfuß, auch wenn der aktuell mal wieder einen richtigen Klopper herausgehauen hat, der jedem Musik- und Literaturwissenschaftler zuerst die Haare zu Berge stehen lässt und sodann in eine unvermeidliche Glatze mündet, weil die Haarpracht vor soviel Stumpfsinn kapituliert. Einen derartig dämlichen, sachlich in jeglicher Hinsicht falschen und - natürlich - esoterisch verbrämten Schwurbeltext über die künstlerische Epoche der Romantik habe ich nie zuvor konsumieren müssen.

Aber das ist heute nicht mein Thema. Ich saß nämlich heute vormittag hochkonzentriert am PC und war mit der Erstellung einer Partitur beschäftigt, als mich das hässliche Schrillen meiner Wohnungsklingel aus der musikalischen Welt riss. Da ich keinen Besuch erwartete und die - inzwischen groteskerweise ja mehreren - Post- und Paketdienste bereits ihren Reklamemüll abgeladen hatten, war ich alarmiert und rechnete mit dem Verfassungsschutz, dem zackigen Vollstreckungsbeamten oder der Polizei, die mich aufgrund kapitalismusfeindlicher Aktivitäten im Auftrag der hohen Herrschaft in den Kerker schaffen soll.

Als ich die Tür öffnete, standen dort aber bloß zwei Damen mittleren Alters, die so gekleidet waren, als seien sie direkt von einem CSU- oder AfD-Parteitag angereist. Entsprechend verkniffen waren auch die Gesichter.

"Wir wollen mit Ihnen über Gott sprechen!"

Ich hatte wohl doch recht: Das müssen Jobcenter- oder andere Staatsschergen sein! Ich reagierte aber zu langsam und fragte bloß: "Warum? Ist das Kapital in Gefahr?"

Dann folgte ein auswendig gelernter Sermon, der mir offenbarte, dass es sich hier offensichtlich um "Zeugen Jehovas" handelte. Da sprang endlich mein innerer Schalter um und ich unterbrach die Heilsverkündigung der Damen:

"Es tut mir leid, aber ich bin Satanist."

Es folgte konsterniertes Schweigen, ungläubiges Glotzen. Dann die Nachfrage:

"Sie beten den Unaussprechlichen an???"

Ich grinste diabolisch (oder wahlweise dämlich - je nach Sichtweise) und nickte bloß. Nach einer Kunstpause fügte ich noch hinzu:

"Ich bin gerade mit einem uralten Ritual aus einem antiken Buch beschäftigt, mit dem ich Satan beschwöre. Sie sollten also besser Vorsicht walten lassen, damit er Sie nicht auffrisst, wenn er gleich hier erscheint. Mir fehlen nur noch etwas Jungfrauenblut sowie eine zu verbrennende Bibel ... können Sie mir da vielleicht aushelfen?"

Vielleicht hätte ich mir etwas mehr Zeit lassen sollen, denn nach dieser Bemerkung flüchteten die beiden Damen sehr schnellen Schrittes von meiner Haustür. Eigentlich schade, denn ich hätte mich mit den Fachfrauen doch sehr gern noch ausführlicher über Religiotismus, den "lieben Gott" und abnormale Sexualpraktiken unterhalten. So muss ich mich mit dem Flyer begnügen, den die beiden Schranzen zurückließen:



Besser könnte auch Faulfuß den religiotischen Irrsinn nicht formulieren. Ich bin mir inzwischen fast sicher, dass er mir die beiden Schrapnellen auf den Hals gehetzt hat ... ;-) Deshalb möchte ich ihm die Worte des nicht ganz unbedeutenden romantischen Dichters Heinrich Heine mit auf den Weg geben, der 1840 in seinem Tagebuch notiert hat:

Der Sklave, der dem Herrn gehorcht ohne Fessel, ohne Peitsche, durch das bloße Wort, ja durch einen Blick – die Knechtschaft ist in ihm selbst, in seiner Seele. / Schlimmer als die materielle Sklaverei [ist] die spiritualisierte – man muss [die Menschen] von innen befreien, von außen hilft nichts. (...)

Kampf der Philosophen gegen die Religion: [Sie] zerstören die heidnische, aber eine neue, die christliche, steigt hervor, auch diese ist bald abgefertigt, doch es kommt gewiss eine neue, und die Philosophen werden wieder eine neue Arbeit bekommen, jedoch wieder vergeblich: die Welt ist ein großer Viehstall, der nicht so leicht wie der des Augias gereinigt werden kann, weil, während gefegt wird, die Ochsen drinbleiben und immer neuen Mist anhäufen.

Hach, ich liebe die Romantik.

Freitag, 23. September 2016

Anonymes Surfen leicht gemacht


Ich mache ja höchst ungern Werbung für irgendein Produkt - wenn es allerdings kostenlos ist, sinkt meine Hemmschwelle deutlich. Das Thema Anonymität im Internet ist ja hochaktuell, da nach wie vor - auch wenn darüber in den meisten Medien nicht mehr berichtet wird - Geheimdienste und andere obskure Organisationen (beispielsweise Konzerne) sämtliche verfügbaren Daten abschnüffeln, archivieren und nach Möglichkeit auswerten.

Bislang war es mit etwas Aufwand verbunden, diesen Schnüffeleien zu entgehen, beispielsweise durch die Benutzung eines TOR-Browsers. Nun gibt es aber endlich einen Browser, der über ein integriertes VPN-System ("Virtual Private Network") verfügt, das mit zwei Mausklicks an- oder abgeschaltet werden kann, nämlich die aktuellste Version von Opera (Version 40).

Ich habe diese Version bereits seit einigen Tagen auf dem Rechner, bin aber erst jetzt durch den WDR-Blogger Jörg Schieb auf diese neue, grandiose Funktion aufmerksam gemacht worden:

Ein kostenloses VPN. Das wollte ich direkt ausprobieren. Denn VPNs sind eine praktische Sache: Wer in einem VPN surft, kann seinen aktuellen Aufenthaltsort verschleiern, etwa um Werbenetzwerken eine lange Nase zu machen oder um Videoinhalte zu sehen, die in seinem Land eigentlich geblockt sind. Viel wichtiger aber ist, dass im VPN alle übermittelten Daten verschlüsselt werden. Abhören: Nahezu unmöglich. Deswegen empfehle ich immer und gerne, ein VPN an den Start zu bringen, vor allem, wenn man sich in einen öffentlichen WLAN-Hotspot begibt.

Zusätzlich ist in dieser Opera-Version ein Werbeblocker integriert, den man ebenfalls in den Einstellungen mit einem Häkchen aktivieren kann. - Einen kleinen Wermutstropfen gibt es aber, wie fast immer, trotzdem: Falls man für den Start des Browsers die persönlich gestaltbare Startseite ausgewählt hat, wird dort leider auch Reklame angezeigt - die sich allerdings durch einmaliges Wegklicken dauerhaft (!) entfernen lässt.

Ich empfehle jedem, diesen Browser - und sei es auch nur als parallel benutzbare Alternative zum bisherigen Standard-Browser - zu installieren, die VPN-Funktion sowie den Werbeblocker zu aktivieren und fortan der NSA, dem BND, dem Verfassungsschutz, den Reklamespastis, der GEMA und sonstigen menschenfeindlichen Überwachungsfetischisten und habgierigen Krämerseelen das blanke Arschloch zu präsentieren, auf dass sie ausführlich daran lecken mögen.

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Nachtrag 29.09.16: Trotz anderslautender Information der Entwickler ist die Opera-Version 40 offenbar nicht kompatibel mit dem Betriebssystem Windows Vista/32. Auf meinem Win7/64-System läuft sie hingegen problemlos.
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Selbstbildnis mit blauer Mauritius und verschissener Unterhose



(Gemälde von Albert Oehlen [*1954] aus dem Jahr 1984, Öl auf Leinwand, "Sammlung Schürmann", Herzogenrath)

Mittwoch, 21. September 2016

Song des Tages: Message In A Bottle




(The Police: "Message In A Bottle", live in Japan, 2008; Original aus dem Album "Reggatta de Blanc", 1979)

Just a castaway an island lost at sea-o
Another lonely day, no-one here but me-o
More loneliness than any man could bear
Rescue me before I fall into despair-o

I'll send an S.O.S. to the world
I'll send an S.O.S. to the world
I hope that someone gets my
I hope that someone gets my
I hope that someone gets my
Message in a bottle, yeah
Message in a bottle, yeah

A year has passed since I wrote my note
But I should have known this right from the start
Only hope can keep me together
Love can mend your life but love can break your heart

I'll send an S.O.S. to the world
I'll send an S.O.S. to the world
I hope that someone gets my
I hope that someone gets my
I hope that someone gets my
Message in a bottle, yeah
Message in a bottle, yeah

Walked out this morning, I don't believe what I saw
A hundred billion bottles washed up on the shore
Seems I'm not alone in being alone
A hundred billion castaways looking for a home

I'll send an S.O.S. to the world
I'll send an S.O.S. to the world
I hope that someone gets my
I hope that someone gets my
I hope that someone gets my
Message in a bottle, yeah
Message in a bottle, yeah


Zitat des Tages: The Show’s Going On


Das wollte Robert Gernhardt unter anderem: Die Welt nicht als dümmeren Ort verlassen, als er sie vorgefunden hatte. Ob ihm das gelungen ist, will ich nicht beurteilen; dass mir es nicht gelingen wird, ist so gut wie sicher.

(Stefan Gärtner [*1973] in seiner Titanic-Kolumne "Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück" vom 18.09.2016)

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Betrachtung


"Die Biester sind Gott sei Dank genau wie die Menschen. Wenn sie nichts zu fressen kriegen, sind sie zu schlapp zum Beißen, und wenn sie zu fressen haben, zu faul."

(Zeichnung von Marcel Frischmann [1900-1952], in "Simplicissimus", Heft 12 vom 16.06.1930)

Dienstag, 20. September 2016

Die Erfolge der Linkspartei


Die ostdeutsche Provinz (Berlin) hat "gewählt" - es ist also an der Zeit, einmal zurückzuschauen, was die als "Gegenkraft" zur neoliberalen Einheitspartei (NED) auftretende Linkspartei in den vergangenen zehn Jahren dort bewirkt hat. In der Jungle World war dazu kürzlich ein äußerst informativer Artikel zu lesen, in dem es unter anderem heißt:

In der zehnjährigen Regierungszeit wurden über 35.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, was einem Anteil von mehr als 23 Prozent entsprach. 100.000 Wohnungen aus den landeseigenen Baugesellschaften wurden verkauft und die Berliner Wasserbetriebe teilprivatisiert. Das unbestreitbare Glanzstück aber gelang dem Bürgermeister und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) und seinem sozialdemokratischen Kollegen in der Finanzverwaltung, Thilo Sarrazin (SPD). 2003 fädelten die beiden den Austritt Berlins aus dem kommunalen Arbeitgeberverband ein, mit [dem] eine Kürzung der Gehälter der Landesangestellten um bis zu zwölf Prozent einherging. Durch Ausgründungen von einzelnen Bereichen öffentlicher Betriebe, wie etwa bei der BVG und der Charité, konnten dann schließlich die Gehälter teilweise nochmals um bis zu zehn Prozent abgesenkt werden. Hinzu kamen die Erhöhungen von Gebühren, beispielsweise bei den kommunalen Kindertagesstätten, Eintrittserhöhungen in Schwimmbädern, die Aufhebung der Lehrmittelfreiheit in den Schulen, Reduzierungen der Pflegegeldzuschüsse, Kürzungen bei Jugendprojekten und Universitäten und die Aufhebung der Ladenschlusszeiten. Die Liste ließe sich noch erweitern.

Das muss man sacken lassen. So viele soziale Wohltaten auf einem Haufen findet man selbst in grausigsten CSU-Kreisen äußerst selten; sogar Menschenfeinde wie Schäuble oder de Maizière schielen neidisch und geifernd auf diese inhumanen Errungenschaften.

Nun fragt sich ein beklommener Bürger wie ich angesichts dieser Farce ja unwillkürlich, wieso zur Hölle die verkommene Bande sich so strikt asozial verhält - aber auch auf diese Frage bietet der verlinkte Artikel eine plausible Antwort:

Damit wird vor allem deutlich, dass es in der Landespolitik neben dem Standortwettbewerb, der mit dem Mittel der Gewerbesteuer geführt wird, um Verwaltung geht – und um Posten für die Parteien. In nur wenigen anderen Bereichen beziehen Protagonisten, die keine besonderen Fähigkeiten mitbringen, so gute Gehälter.

Natürlich. Es geht ums eigene Bankkonto, um die Sicherung von Posten und einen trockenen Platz am Fleischtrog. Wir befinden uns nach wie vor in den Höhlen der Steinzeit und bewundern eine entsprechend steinzeitliche Parteienlandschaft. Ich kann mich gar nicht entscheiden, was ich ekelerregender finde - dieses perverse System oder die aalglatten, eigennutzorientierten Arschlöcher, die in eben diesem System auch noch Karriere machen.

Ich freue mich nun wahnsinnig auf die "neue Regierung" in Berlin - ob sie diesmal wohl wieder so effizient dem Kapital in den übelriechenden, braun verklebten Anus kriecht und den Schwächsten mit Schmackes die Fressen blutig haut? Ich nehme Wetten entgegen. Die Linkspartei in der ostdeutschen Provinz beherrscht das jedenfalls in Perfektion.

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Arbeiter auf dem Heimweg



(Gemälde von Conrad Felixmüller [1897-1977] aus dem Jahr 1921, Öl auf Holz, Privatbesitz [sic!])

Montag, 19. September 2016

Buchempfehlung: Die zweite Invasion der Marsianer


Die heutige Buchempfehlung der Gebrüder Arkadi und Boris Strugazki, auf die ich an anderer Stelle schon Bezug genommen habe, gehört heute längst zum Fundus der Weltliteratur. Der Suhrkamp-Verlag beschreibt diese ausgesprochen aktuelle Erzählung im Klappentext mit den folgenden Worten:

Die erste Invasion der Marsianer fand bekanntlich in H.G. Wells Roman "Krieg der Welten" (1898) statt. Wells' Marsianer überfielen die Menschheit mit Hitzestrahlen und Kampffahrzeugen, und sie ernährten sich vampirisch von menschlichem Blut. Die "Marsianer" der Strugazgis gehen weit weniger gewaltsam, dafür aber noch heimtückischer vor. Ihre Invasion vollzieht sich unversehens, heimlich und leise. Durch Flüsterpropaganda und eine Flut von Gerüchten geht der Mensch seiner Rolle als "Krone der Schöpfung" verlustig, und aus rein opportunistischen Erwägungen lässt er sich die Herrschaft der "Marsianer" willig gefallen.

Die Kölnische Rundschau resümierte - freilich, wie sollte es auch anders sein, viel zu kurz und simpel gedacht - über diese Erzählung:

Eine Groteske in Science-Fiction-Manier, eine Parabel der Feigheit und Anpassung. Die beiden Russen knüpfen in ihrer Erzählweise an die große Tradition ihres Landes an, an Gogol zum Beispiel.

Es versteht sich von selbst, dass - in guter Science-Fiction-Tradition - mit den "Marsianern" hier gewiss keine grünen Männchen vom Nachbarplaneten gemeint sind - das Büchlein ist nichts anderes als eine wunderbare Parabel auf die absurden Verwerfungen und Deformierungen, die der Kapitalismus unweigerlich und äußerst logisch in der menschlichen Gesellschaft unserer Zeit produziert. Bei der Lektüre dieser Erzählung drängen sich die hohlen Phrasen der Merkels, Gabriels, Petrys, Özdemirs et al. förmlich und schmerzhaft auf - es lässt sich hier Wort für Wort nachlesen, wie eine Gesellschaft sich vollkommen ohne Zwang und Not willfährig einem zerstörerischen Katastrophen-Regime ausliefert und dabei nicht müde wird, immer wieder unbeteiligte Dritte für das allmählich immer stärker werdende Fiasko und den zunehmenden Verfall verantwortlich zu machen.

Auch Wells' Vorlage war bereits eine deutliche Kapitalismuskritik, was von den vorhandenen, schaurigen Hollywood-Adaptionen dieses Buches konsequent verschwiegen und sogar ins - teilweise gar patriotisch verbrämte - Gegenteil verkehrt wurde. Diese Version der Strugazkis aber lässt keinen Zweifel mehr zu und hält der vom Kapitalismus verblendeten Menschheit standhaft den Spiegel vors egoistisch verzerrte Gesicht und beschreibt detailliert den Niedergang und Verfall einer eigentlich empathischen, zu sozialem Verhalten fähigen Spezies.

Dieses Buch sollte eine Pflichtlektüre an den Schulen sein - ein Wunsch, der inmitten des kapitalistischen Untergangs mindestens ebenso utopisch anmutet wie die allgemeine Erkenntnis, dass es schlicht und ergreifend der Kapitalismus ist, der unseren Planeten in Terror, Krieg, Hunger, Agonie, Religiotismus und letztlich gewiss in die Auslöschung führt.



(Arkadi und Boris Strugazki [1925/1933-1991/2012]: "Die zweite Invasion der Marsianer", Erzählung, 1967; dt. 1973)