Samstag, 31. Dezember 2016

Abschlusskonzert des Jahres: Katatonia - Last Fair Day Gone Night




  1. Dispossession
  2. Chrome
  3. We Must Bury You
  4. Teargas
  5. I Transpire
  6. Tonight's Music
  7. Clean Today
  8. The Future Of Speech
  9. Passing Bird
  10. Sweet Nurse
  11. Don't Tell A Soul
  12. Brave
  13. Nephilim
  14. My Twin
  15. I Break
  16. Right Into The Bliss
  17. The Promise Of Deceit
  18. Wait Outside
  19. The Longest Year
  20. July
  21. New Night
  22. Dissolving Bonds
  23. Forsaker



(Katatonia: "Last Fair Day Gone Night", live in London 2014)

Anmerkung: Mir fällt keine passendere Untergangsmusik für dieses grausige Jahr ein, die noch trauriger und hoffnungsloser sein könnte. Wenn unsere untergehende Zeit einen Namen verlangt, dann lautet er (doppelt unterstrichen) Katatonia.

Ich bedanke mich bei allen Lesern und Leserinnen dieses kleinen Blogs für Kommentare, Mails, persönlichen Zuspruch und andere Menschlichkeiten, die heute nur noch selten vorkommen. Den Weg in den Abgrund wird das freilich nicht aufhalten - immerhin können wir aber stolz grinsend behaupten, es vorher gewusst zu haben, wenn der Vorhang fällt.


Freitag, 30. Dezember 2016

Zitat des Tages: Interview mit mir selbst


Ich bin vor nicht zu langer Zeit geboren
In einer kleinen, klatschbeflissenen Stadt,
Die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren
Und eine große Irrenanstalt hat.

Mein meistgesprochenes Wort als Kind war "nein".
Ich war kein einwandfreies Mutterglück.
Und denke ich an jene Zeit zurück:
Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein.

Im letzten Weltkrieg kam ich in die achte
Gemeindeschule zu Herrn Rektor May.
- Ich war schon zwölf, als ich noch immer dachte,
Dass, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.

Zwei Oberlehrer fanden mich begabt,
Weshalb sie mich - zwecks Bildung - bald entfernten;
Doch was wir auf der hohen Schule lernten,
Ein Wort wie "Abbau" haben wir nicht gehabt.

Beim Abgang sprach der Lehrer von den Nöten
Der Jugend und vom ethischen Niveau -
Es hieß, wir sollten jetzt ins Leben treten.
Ich aber leider trat nur ins Büro.

Acht Stunden bin ich dienstlich angestellt
Und tue eine schlechtbezahlte Pflicht.
Am Abend schreib ich manchmal ein Gedicht.
(Mein Vater meint, das habe noch gefehlt.)

Bei schönem Wetter reise ich ein Stück
Per Bleistift auf der bunten Länderkarte.
- An stillen Regentagen aber warte
Ich manchmal auf das sogenannte Glück ...

(Mascha Kaléko [1907-1975], in: "Das lyrische Stenogrammheft. Kleines Lesebuch für Große", Rowohlt 1956; Erstausgabe in zwei Bänden: 1933 / 1935)




Donnerstag, 29. Dezember 2016

Weihnachtliche Mitmenschlichkeit (3): Terror in Chicago


Während die Propagandamedien hierzulande immer noch in breiter Ausführlichkeit über den bösen, islamistischen Terroranschlag in Berlin berichten und dabei das "Terror-Bingo" (Fefe) bis zur letzten Gesichtspalme ausreizen, geht im Rest der Welt das Leben einfach weiter. Auch in den USA sind zur highligen Weihnachtszeit wieder einmal eine Menge Menschen ermordet worden - in Chicago waren es mindestens zwölf:

Chicago erlebt blutige Weihnachten / Alles andere als friedlich vergehen die Weihnachtstage in Chicago. Während es die Menschen zu ihren Familien zieht, machen sich zahlreiche Bandenmitglieder auf, um alte Rechnungen zu begleichen. Bei mehreren Schießereien sterben 12 Menschen.

Das ist - laut Propagandapresse - nun aber kein Terror, sondern "normale" Kriminalität, weshalb es auch keine nennenswerte Berichterstattung oder gar Sondersendungen im Verblödungs-TV dazu gab. Man muss in Kapitalistan nämlich deutlich unterscheiden zwischen systemimmanentem Handeln (Mord aus Habgier) und fremdgesteuerten Anschlägen (Mord aus anderen, also noch niederträchtigeren Gründen). Der erstgenannte Punkt ist "normal" im Kapitalismus - schließlich geht es hier ja um Eigennutzmehrung um jeden Preis, im Zweifel bzw. in der Regel auch auf illegalem Wege. Wenn dabei Menschen sterben, ist das schlimm und wird geahndet (sofern "Kriminelle", also nicht zur "Elite" zählende Menschen dafür verantwortlich sind) - oder aber als "Kollateralschaden" abgelegt und nicht weiter verfolgt (wenn Großkonzerne oder ihre politischen Stiefellecker betroffen sind).

Die zweite Variante wird umso schärfer bis ins Absurde und darüber hinaus aufgeblasen - da rennen Journalisten und Politiker wie aufgeschreckte, panische Hühner durcheinander und gackern wild, was das Zeug hält - ohne Rücksicht darauf, wie lächerlich sie sich verhalten. Das macht aber nichts, denn die meisten BürgerInnen scheinen dies ebenfalls nicht zu bemerken - sonst wären diese politischen Hühnerzombies ja längst abgewählt. Sie gackern viel lieber mit im dissonanten Chor der Hirnverweigerer: "Oh, der böse Muselmann bedroht unsere Freiheit - legt uns doch bitte endlich allesamt in Ketten, damit der Terror keine Chance mehr hat!" - So jedenfalls posaunt es die Hühnerpresse gackernd ins vollkommen irre gewordene Land.

Derweil legen die nüchternen, exemplarischen Zahlen aus Chicago eine ganz andere Realität nahe:

Die drittgrößte Stadt der USA hat in diesem Jahr eine beispiellose Gewalteskalation erlebt. Seit Jahresbeginn sind nach Zählung von Lokalmedien mehr als 750 Menschen in Chicago erschossen worden. Dies sind mehr als die Opferzahlen der beiden größten US-Städte Los Angeles und New York zusammengerechnet.

Beim Barte des Propheten, wie kann das denn nur sein im Paradies des "American Exceptionalism", fragt sich verwundert der denkende Mensch. Die Antwort ist indes so einfach wie weitestgehend unbekannt bzw. verdrängt: Das ist Kapitalismus. Das ist Habgier. Das ist Machtgier. Deshalb werden 750 ermordete Menschen nicht als Terroropfer gezählt und nicht weiter beachtet, während zwölf ermordete Menschen die Propagandapresse und korrupte Politbande eines ganzen Landes zum rotglühenden Schäumen bringen.

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Goliath



(Gemälde von Hans Hofmann [1880-1966] aus dem Jahr 1960, Öl auf Leinwand, Berkeley Art Museum, Los Angeles, USA)

Mittwoch, 28. Dezember 2016

Realitätsflucht (35): The Stanley Parable


Der heutige Bericht über meine jüngste Realitätsflucht stellt mich vor einige Probleme, da ich über ein Spiel schreiben möchte, ohne es zu beschreiben - denn bereits eine schnöde Inhaltsangabe wäre schon ein unverzeihlicher Spoiler, der jenen LeserInnen, die das Spiel noch nicht kennen, es aber gerne ausprobieren möchten, sehr sauer aufstieße. Es handelt sich um das Indie-Adventure "The Stanley Parable" (2013) vom amerikanischen Entwickler Galactic Cafe, das auf eine "Mod" zur "Source Engine" von Valve aus dem Jahr 2011 zurückgeht.



"The Stanley Parable" ist eigentlich gar kein Computerspiel im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr eine interaktive, philosophische, sehr surreale Reise in die Untiefen der kapitalistischen Arbeits- bzw. Sklavenwelt und das damit verbundene Surrogat eines Lebens. Zu Beginn klärt der allgegenwärtige Erzähler den Spieler auf, dass er sogleich die Geschichte Stanleys, eines Angestellten einer nicht näher benannten Firma, erleben wird, indem er in dessen Rolle schlüpft. Schon dies ist aber nur die halbe Wahrheit, wie sich relativ schnell herausstellt.

Es ist nahezu unmöglich, dieses Werk spoilerfrei zu beschreiben, weshalb ich hier darauf verzichte und stattdessen den Trailer, der auch nur den groben Rahmen des Inhalts illustriert, sprechen lasse:



Das Spiel hat zwar einen Anfang, aber kein wirkliches Ende - inzwischen sind, wenn ich mich nicht irre, 18 mögliche Ausgänge bekannt - letztlich landet man aber sowieso immer wieder am Startpunkt, um eventuelle weitere Facetten neu zu entdecken. Immer wieder verändert sich durch den so erzwungenen Neustart die Umgebung, durch die Stanley irrt - wer also meint, diese oder jene Region sei bereits erkundet und könne damit vernachlässigt werden, verpasst den größten Teil des Spieles und damit auch die intellektuelle Herausforderung.

Es gibt hier keine Kämpfe oder typischen Rätsel - das Spiel eignet sich somit auch für Menschen, die sich mit diesem Medium noch nie auseinandergesetzt haben: Zur Steuerung muss man lediglich die Maus bewegen und zur Vorwärtsbewegung der Spielfigur die "W"-Taste drücken. Weitere Fähigkeiten sind nicht vonnöten.

Die Grafik ist auch heute noch durchaus ansehnlich; die Musik ist minimalistisch und durchaus passend; die Sprachausgabe beschränkt sich auf den fast ständig präsenten Erzähler, der den Spieler gekonnt und professionell durch die Geschichte führt - oder ihn davon abzuhalten versucht, je nach Sichtweise. Die Texte werden in gut verständlichem Englisch vorgetragen - optional kann man aber deutsche Untertitel einblenden lassen, wovon ich jedoch abrate. Auf meinem Win7/64-System läuft das Spiel problemlos und ohne jeden Absturz. Leider ist es an den Steam-Kraken gebunden, was sich aber mit ein wenig Geschick auch umgehen ließe. Das ist allerdings illegal und daher ausdrücklich nicht empfohlen.

Ganz besonders sei dieses Meisterwerk allen Menschen ans Herz gelegt, die sich im alltäglichen Irrsinn ihres Büroalltages in einem solchen "Borgwürfel" (Kiezneurotiker-Sprech für "Firma") befinden und die dennoch gelegentlich ein kritisches Bewusstsein bezüglich ihres Tuns pflegen. Die vielen kleinen Details im Spiel werden das Herz jedes Borgwürfelinsassen höher schlagen lassen - von hirnfreien Powerpoint-Präsentationen in dusseligen Meetings über nicht minder bescheuerte Flipcharts und firmeninterne Bekanntmachungen, die darüber aufklären, wie man es vermeiden kann gefeuert zu werden oder wie man dem Boss am besten Zucker in den widerwärtigen, verklebten Arsch bläst, ist bis zu den obligatorischen Kaffeetassen ("I hate Mondays" oder "I like work, I just hate my boss") alles dabei.

Dieser mehr oder weniger subtile Humor ist allerdings ebenfalls nur eine Facette dieses illustren, außergewöhnlichen Spieles; und er wird in manchen Szenarien auch gerne ins Absurde überhöht, wenn der arme Stanley beispielsweise aufgrund einer "falschen" Entscheidung samt der kompletten Firma mithilfe von Nuklearwaffen in die Luft gesprengt wird. Der überaus ernste und existenzielle Hintergrund der Geschichte, die am PC schon - je nach Spielweise - nach drei, vier oder fünf Stunden vorbei ist, hat mich noch sehr lange beschäftigt und tut das auch weiterhin. - Das ist großartige, wegweisende Computerkunst, die den Vergleich mit Kafka keineswegs scheuen muss.


Dienstag, 27. Dezember 2016

Weihnachtliche Mitmenschlichkeit (2): Propaganda und Verrohung


Eigentlich hatte ich vor, an dieser Stelle ein paar Worte zu dem Mordanschlag auf den schlafenden Obdachlosen in Berlin zu schreiben - allerdings ist mir der Altautonome in seinem letzten Kommentar schon zuvorgekommen, so dass ich mich nun lieber auf ein kleines Detail beschränken möchte.

Selbstverständlich sind solche unschönen Nachrichten aus dem paradiesischen Reich des kapitalistischen Wohlstandes, in dem es allen Menschen so unsäglich gut geht, wenig hilfreich für das verkündete Märchen. Daher werden solche Fälle in den Propagandamedien zwar gerne gemeldet (sie bringen schließlich "Klicks" und damit Profit), werden aber ebenso regelmäßig als bedauerliche, nicht repräsentative Einzelfälle dargestellt. Im vorliegenden Fall hat die n-tv-Redaktion das auf eine besonders perfide, gleichermaßen aber beliebte Art und Weise getan, die kaum jemandem auffallen dürfte, der den Artikel unbedarft liest.

In der - hübsch fett gedruckten - Zwischenüberschrift im Text heißt es lapidar: "Keine Zunahme von Angriffen auf Obdachlose", und schon kann der geneigte, womöglich humanistisch denkende Leser wieder erleichtert aufatmen. Sucht man im Text allerdings nach belastbaren Belegen für diese Behauptung, findet man lediglich eine statistische, unbelegte Zahl, die sich einzig auf Bahnhöfe bezieht, sowie dies:

Angriffe auf Berliner Obdachlose hätten nicht zugenommen, sagte Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission, die in der Hauptstadt vielen Menschen auf der Straße hilft. "Was passiert ist, tut mir sehr leid. Aber aus meiner Sicht häuft sich das nicht."

Wir lernen also: Angriffe auf Obdachlose gibt es offenbar einzig auf Bahnhöfen, nirgends sonst; außerdem ist die Videoüberwachung äußerst erfolgreich; und nicht zuletzt versichert der Leiter der Bahnhofsmission ganz ohne irgendwelche Statistiken oder andere Zahlen, dass "aus seiner Sicht" alles gut sei. Das ist zusammengenommen so aussagekräftig wie der Spruch "In der Nacht ist alles Grüne auch rot, blau oder schwarz." Der Informationswert dieses Artikels tendiert gegen null - der Propagandagehalt dagegen dürfte ganz im Sinne der korrupten Bande sein: Ein wenig Sensationsgeifer, eine unmittelbare, doppelte Relativierung und selbstverständlich ein Verweis auf das Erfolgsmodell der staatlichen Totalüberwachung lassen keine reaktionären Wünsche mehr offen. - Es überrascht nicht, dass weder n-tv, noch andere Massenmedien diesen Vorfall zum Anlass nehmen, über das furchtbare, wahrhaft existenzielle Thema der zunehmenden Obdachlosigkeit sowie die zunehmende Verrohung der Gesellschaft ausführlich und hintergründig zu berichten - gerade zu Weihnachten ziemt es sich nicht, an der heuchlerischen, zynischen Fassade des kapitalistischen Verelendungssystems zu kratzen.

Eben jene Verrohung, die sich in plumpestem Rassismus äußert, lässt sich übrigens - sofern der Kotzeimer bereit steht und die Nerven stahlhart genug sind - bei Zeit Online nachlesen. Die Kommentare zu einem dortigen Bericht über "plötzlich verschärfte Regeln für Obdachlose in Hamburg" bieten einen wenig erquicklichen Einblick in die dumpfe Denkwelt einer angeblich gebildeten Mittelschicht. Die brutale Menschenfeindlichkeit und die bodenlose, geradezu schmerzhafte Dummheit, die sich dort offenbaren, machen mir regelrecht Angst. Da wundert es den Bibbernden schon nicht mehr, dass zur heiligen Weihnachtszeit aus der SPD auch gleich Rufe nach neuen Konzentrationslagern für Flüchtlinge laut werden:

Nach dem Berliner Anschlag geht die SPD in der Flüchtlingspolitik auf die Union zu. Anstelle von Transitzonen schlägt Innenexperte Lischka "spezielle" Einrichtungen vor.

Der Weg zur "Sonderbehandlung" ist offenbar nur noch ein sehr kurzer.

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Wort zur Zeit

Schon mal'n sie wieder Sprüche an die Zäune
und bohren kleine Löcher ins Gesetz
und ritzen ihre krummen Hakenkreuze
in alle nur erreichbaren Klosetts.

Sie grüßen sich mit neu erfund'nen Zeichen
und helfen sich mit kriegserworb'nem Geld,
und alle Tage bringen ihre Weiber
ein frischgebackenes Gerücht zur Welt.

Sie schenken ihren Kindern Bleisoldaten
und falten heimlich Helme aus Papier
und tragen aus Prinzip nur Reiterhosen,
damit man merkt, sie waren Offizier.

Sie reißen nachts Plakate von den Säulen
und kratzen neue Straßennamen ab
und nennen unsre altgeword'ne Jugend,
die sie auf dem Gewissen haben, "schlapp".

Sie spotten über Kunst, die sie nicht fassen,
und lügen über Männer, die sich müh'n,
den nur von ihnen so verfahr'nen Karren
so langsam wieder aus dem Dreck zu zieh'n.

Sie führen sicherlich schon schwarze Listen
und denken an ein gut vergrab'nes Beil,
und da sie wieder Morgenlüfte wittern,
so sag'n sie (aus Versehen) manchmal "Heil".

Ihr haltet sie, wie einst, für große Kinder,
für harmlos irr - für geistig ausgebombt ...
Ihr solltet wirklich nicht so schnell vergessen
und dies Gewürm zertreten und zerpressen,
damit es nicht noch einmal soweit kommt!

(Heinz Hartwig, in: "Der Simpl", Nr. 13 vom November 1946)

Montag, 26. Dezember 2016

Weihnachtliche Mitmenschlichkeit (1): Die Rassisten aus Dresden


In Dresden gibt es einen neuen Verein, der sich - gerade zu Weihnachten - vorbildlich um Obdachlose kümmert und ihnen aus der Obdachlosigkeit heraushilft ein leckeres Mittagessen spendiert. Das müssen wahre Menschenfreunde sein, die sich gerade in dieser nicht nur saisonal bedingten eiskalten Zeit um die Schwächsten der Gesellschaft kümmern, für die der korrupte, kapitalistische Staat sich längst nicht mehr zuständig fühlt. Über die warmherzigen Humanisten aus Ostdeutschland berichtete vorgestern die Zeit:

In Dresden kümmert sich ein Verein um Obdachlose – aber nur deutsche. Auch andere Sozialvereine kooperieren mit den Flüchtlingsfeinden, nur einer hält dagegen. / (...) Man muss nicht lange suchen, um die Motivation dieses Vereins [Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen e.V., gegründet am 21. Juli 2016, vom Finanzamt als mildtätig anerkannt] zu entschlüsseln. Er rekrutiert sich aus der islamfeindlichen Pegida-Bewegung, die hier in Dresden ihre Wurzeln hat. [Vereinschef Ingolf Knajder] lief nicht nur bei den Montagsaufzügen mit, er stand neben Pegida-Mitgründer Lutz Bachmann auf der Bühne, trat als Ordner in Erscheinung, er ist fest mit dem rechten Milieu verwachsen. In seiner Wortwahl gegen "Gutmenschen" und Rassismusgegner ist er menschenfeindlich, auf der Straße wird er handfest. Andersdenkende beschimpft er als "elende Kommunisten Votze", die Linken-Vorsitzende Katja Kipping beleidigte er als "rote verlogene Stasi-Hexe", der erkrankten Oberbürgermeisterin Helma Orosz schrieb er: "Möge Sie der Krebs endlich holen".

Da geht einem doch das Herz auf vor lauter weihnachtlicher Mildtätigkeit und man möchte dem Herrn Knajder und seinen SpießgesellInnen ebenfalls genüsslich in die Weichteile treten, bevor man sie dekorativ an den Weihnachtsbaum neben einen posaunenden Engel oder einen kotenden Elefanten hängt. --- Doch halt: diesem durchaus verständlichen Impuls sollte man mit ebensolchem Ekel begegnen wie den Pegioten und ihrem rassistischen Irrsinn selbst. Ich muss mich zwar arg beherrschen, wenn ich einen solchen Bericht lese, der geradewegs aus dem Jahr 1933 stammen könnte; allerdings vermag ich dies auch zu tun - ein Umstand, der mich hoffentlich deutlich von den widerlichen Pegioten unterscheidet. Wenn irgendetwas auf diesem verkommenen Planeten alternativlos ist, dann ist es nach meiner Überzeugung der Pazifismus.

Wie soll man solchen Gestalten, die ganz offen rassistisch agieren, also begegnen? Diese Frage stelle ich mir schon so lange, ohne eine wirklich befriedigende Antwort darauf gefunden zu haben. Es ist deutlich erkennbar, dass der Rassismus sich wieder einmal wie ein Krebsgeschwür - nicht bloß in Deutschland - ausbreitet und festsetzt, und es ist dringend nötig, hier endlich ein Konzept zu finden, wie diesem Wahnsinn Einhalt geboten werden kann, ohne dieselben dumpfen und letztlich kontraproduktiven Gewaltstrategien der hirnlosen Menschenfeinde zu bemühen. Gespräche, Diskussionen oder Fakten helfen hier ebensowenig wie Ignorieren oder Aussitzen. Bleibt am Ende doch nur die Wahl zwischen Gewalt, Resignation und Emigration?

In der ostdeutschen Bastion der Rechtsradikalen scheint der Rassismus jedenfalls auf breite Zustimmung zu stoßen, wenn man der Zeit folgt:

Die Beschränkung der Hilfe auf deutsche Bedürftige hat in Dresden eine gewaltige Hilfsbereitschaft freigesetzt: Am Telefon erzählt Knajder von sieben Mercedes Sprinter-Transportern voll mit Kleiderspenden, die vor dem Weihnachtsessen zusammenkamen.

Mir fällt dazu - nach einem weihnachtlichen Kotzgelage, das sich wahrlich gewaschen hat - nur noch dieses schauderhafte Brett vorm Kopf ein:

Hoffnungsloser Fall



(Zeichnung von Helmut Beyer [1908-1962], in: "Der Simpl", Nr. 7 vom Juli 1946)