Samstag, 4. Februar 2017

Integrations- und Arbeitsparadies Deutschland


Ein Bericht aus französischer Sicht von Tina B.

Heimatliche Gefühle

Ich habe Deutschland zwei Jahre nach der Wiedervereinigung – meine Tochter war noch nicht geboren – verlassen. Über viele Jahre und mit viel bürokratischem Aufwand (Aufenthaltsrecht, Arbeitsgenehmigungen etc.) habe ich mir eine selbstständige Existenz in Frankreich aufgebaut. Meine Tochter ist hier aufgewachsen, hat die Schule bis zum Gymnasium durchlaufen und kannte Deutschland nur aus den Besuchen von Freunden und Verwandten. Diese hat sie in schöner Erinnerung behalten und nach dem Abitur war es ein großer Wunsch von ihr, in Deutschland zu studieren.

Da ich meine Tochter nicht unbegleitet lassen wollte, habe ich meine selbstständige Arbeit ruhen lassen, um meiner Tochter den Einstieg in das Land ihrer Eltern zu erleichtern. Ich hatte mich bereits auf Stellen beworben und eine Zusage für eine Beschäftigung als Integrationslehrerin  in der Tasche, so dass  wir finanziell eigentlich nichts zu befürchten hatten. Allerdings hatte ich trotz zwölfjähriger Erfahrung in der Erwachsenenbildung nur eine eingeschränkte Zulassung vom Bundesamt für Flüchtlinge (BAMF) erhalten. Das bedeutete, dass ich für 700 Euro Kurskosten eine 70stündige Weiterbildung hätte ableisten müssen, die natürlich weiter entfernt angeboten wird, während ich alle Aufwendungen dafür (Hotel, Anfahrt etc.) selber hätte tragen müssen – es sei denn, ich hätte mich verpflichtet, für ein ganzes Jahr Integrationskurse zu geben – dafür hätte es dann Zuschüsse gegeben.

Andere müssen für 1.400 Euro eine verlängerte Weiterbildung absolvieren – da war ich schon etwas besser gestellt.

Also trotz allem: Koffer gepackt und zurück mit guten Gefühlen nach Deutschland, wo uns Freunde zunächst einmal Gastrecht gewährt haben. Was wir dann erlebt haben, hat sich allerdings eher als Albtraum herausgestellt denn als Perspektive.

Die erste große Überraschung war nicht unbedingt mein Arbeitsvertrag als Scheinselbstständige – ohne finanzielle Absicherung im Falle von Krankheit, Urlaub, von Feiertagen oder bei Ferien sowie die aus eigener Tasche zu bezahlende Sozial- und Krankenversicherung – sondern der immense Arbeitsumfang, den ich täglich abzuliefern hatte, um auf ein Einkommen zu kommen, das uns erlauben würde, nicht nur zu überleben, sondern davon auch halbwegs gut zu leben. Was die Arbeitsstunden betraf, so wurden diese weitgehend eingehalten, nur in der Vergütung gab es erhebliche Unterschiede. Das bedeutete für mich Arbeitstage, die um 8:00 Uhr begannen und häufig erst um 20:00 Uhr endeten.

Während die Integrationskurse einigermaßen korrekt bezahlt wurden, war eine 35-Stunden-Woche dennoch nicht ausreichend, um davon seinen Lebensunterhalt zu sichern, denn andere Kurse – wie beispielsweise Einzelunterricht für Firmen, B2-Kurse etc. – wurden mit lediglich 16 Euro vergütet. Die notwendige Unterrichtsvorbereitung ist in den 35 Stunden nicht enthalten und wird auch nicht anderweitig bezahlt. Trotzdem erhielt ich permanent Angebote für viele verschiedene Kurse, kurzfristig angesetzt, die ich von einem auf den anderen Tag und auch an unterschiedlichen Veranstaltungsorten wahrnehmen sollte.

Nachdem der erste Schock überwunden war, haben wir uns auf die Wohnungssuche begeben, denn wir konnten ja nicht ewig bei unseren Freunden bleiben. Also hieß es: jeden Tag die Zeitungsanzeigen anschauen und im Internet suchen!

Die Wohnungssuche

Der Besuch beim Immobilienmakler hinterließ folgende Bilanz: Horrende Mietpreise für drittklassige Unterkünfte; Nichtraucher erwünscht; ohne Kinder; mit gesichertem Einkommen; wenn möglich Wochenendheimfahrer – und natürlich ohne Haustier. Schufa-Auskunft inklusive. Beim Makler sollten wir eine schöne Bewerbungsmappe vorlegen – aber der Hund ...: "Können Sie den nicht woanders lassen???"

Nur nicht den Mut verlieren! Ich stoße auf eine Anzeige bei Ebay: "Zwischenmieter gesucht, Zweizimmerwohnung – Hund kein Hindernis!" – Sofort reagiert, und siehe da, wir dürfen die Wohnung besichtigen.

Bereits beim Betreten des Treppenhauses umgibt mich ein mulmiges Gefühl – es mieft und stinkt. Die Wohnung ist möbliert, aber die Einrichtung ist selbst für den Flohmarkt nicht mehr geeignet. Trotzdem haben wir keine andere Wahl: Der Mietpreis ist horrend und die Vermieterin, die mich fatal an ein "Nazi-Girl" erinnert, äußerst unsympathisch. Am nächsten Tag unterschreibe ich den Mietvertrag – drei Monate Kündigungsfrist.

Ich fühle mich, als hätte ich mein (Todes-)Urteil unterschrieben. Mittlerweile hatte ich fast täglich acht Stunden zu unterrichten – morgens fünf Stunden und nachmittags von siebzehn bis zwanzig Uhr. Die Teilnehmer der Kurse waren glücklich, denn bei anderen Lehrern ging es ihnen immer zu schnell – der Lehrplan musste ja eingehalten werden. Ob die Leute etwas verstehen oder nicht, ist schließlich egal ...

Was man in Deutschland unter Integration versteht

Wie gründe ich meine eigene Existenz, wie fülle ich Formulare für Ämter aus, wie trenne ich meinen Müll, was ist Heimat, was ist das Oktoberfest und was gibt es über andere deutsche Bräuche zu lernen – all das ist aus Behördensicht ungemein wichtig für die Integration von Ausländern in Deutschland. Es verlangt schon einiges pädagogisches Talent und Geschick, damit nicht sehr schnell eine allgemeine Ermüdung eintritt.

Die Teilnehmer der Kurse sind oftmals noch hoffnungsfroh und voller Dankbarkeit der Frau Merkel gegenüber, die sie "vor ihrem Elend gerettet" hat, aber auch schon häufig resigniert. Manche von ihnen leben in Lagern, andere bereits in eigenen Wohnungen.

Beim Arbeits- oder Sozialamt sind sie dann alle gleich und werden nur noch als Kundennummer geführt. Für die so genannten Bildungsträger gibt's nur dann Geld, wenn die Anwesenheit der Teilnehmer gesichert, also dokumentiert ist. Deshalb wird mit pedantischer Sorgfalt die Anwesenheit kontrolliert und es werden Entschuldigungen bei Abwesenheit verlangt (Krankmeldungen etc.).

Teilweise müssen die Kosten für diese Integrationskurse von den Teilnehmern selbst aufgebracht werden, denn was unter Integration allgemein verstanden wird, das beschränkt sich weitgehend auf Flüchtlinge. Integriert werden müssen in Deutschland aber nicht nur Flüchtlinge, sondern z.B. auch eine italienische Krankenschwester, die zunächst mal 600 Euro für die Anerkennung ihrer Krankenschwesterausbildung in Italien hinlegen muss, und zusätzlich, obwohl sie zwar sehr gut deutsch spricht, aber darüber noch keine offizielle Bescheinigung vorweisen kann, einen Kurs belegen muss, der sie noch einmal schlappe 1.500 Euro kostet, während sie vom Arbeitsamt in der Zwischenzeit nur als Praktikantin eingestuft wird.

Was für eine gute Lernatmosphäre nötig wäre, wird konsequent vernachlässigt und einzig der ökonomischen Devise geopfert: Es gilt, mit möglichst geringem Aufwand einen möglichst hohen Ertrag zu erzielen: Zwei Damen- und zwei Herrentoiletten für 60 Schüler samt Lehrpersonal und Angestellte; die Unterrichtsräume so eng bemessen, die Tische so eng gestellt, dass ich mir bei den Ausflügen zu den hinteren Tischen stets blaue Flecken geholt habe.

Die Wohnung

Zunächst waren wir sehr glücklich, unsere "eigenen" vier Wände zu haben – doch dann mussten wir sehr schnell feststellen, dass bei minus 10° C Außentemperatur nachts weder die Heizung im Badezimmer, noch die in der Küche funktionierte – im Wohnzimmer machte die Heizung einen Höllenlärm und wurde nur mäßig warm. Die Waschmaschine lief lediglich auf zwei Programmen und musste manuell weitergestellt werden.

Der Wäscheständer war schief und bereits mit Isolierband "repariert worden". Nach einer Woche musste ich in der Küche feststellen, dass sich an der gesamten Wand, die nach außen geht, ein widerlicher grün-schwarzer Schimmel bildete. Als wir das der Vermieterin mitteilten, machte sie uns dafür verantwortlich. Dann die böse Überraschung – mitten in der Nacht ein furchtbarer Lärm: der Küchenschrank war zur Hälfte zusammengebrochen. Ab dem Moment hatten wir richtig Panik, etwas anzufassen.

Krankheit

Ich weiß nicht, ob ich es dem Schimmel zu verdanken hatte oder einfach der Tatsache, dass ich ziemlich überarbeitet war – jedenfalls wurde ich ziemlich heftig krank. Fieber, Kopfschmerzen, Halsschmerzen, vereiterte Mandeln. Um keinen Verdienstausfall zu haben, bin ich weiterhin zur Arbeit gegangen mit dem Resultat, dass ich über mehrere Tage fast keine Stimme mehr hatte. Piepsiger Anruf beim Arbeitgeber, dass ich nicht unterrichten kann – mit der Antwort, ob ich das nicht früher hätte sagen können, ich wüsste doch, wie schwer Ersatz zu finden ist. Da kein Ersatz gefunden wurde, fielen die Kurse dann aus – selbstverständlich aber nicht die Integrationskurse, mit denen Geld zu verdienen ist.

Die Flucht

Da ich eigentlich nur Geld übrig hatte, um einigermaßen gut essen zu können – unser einziger Luxus –, beschloss ich, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Zum Glück konnte ich vorzeitig die wunderbare Wohnung kündigen. Die Wohnungsübergabe ist mir noch immer in traumatischer Erinnerung. Die Vermieterin kam, durchschritt die 58-qm-Wohnung mehrere Male, so dass man die Erschütterung ihrer Schritte geradezu bis in Mark und Bein verspürte. Bei minus 5° C riss sie alle Fenster auf – wir saßen wie zwei Schwerverbrecher auf dem verdreckten Sofa und nun wurden alle Schränke geöffnet, der Lattenrost des Bettes inspiziert, unter das Bett geschaut, die Waschmaschine in Gang gesetzt – nichts entging ihren Argusaugen. Am Wohnzimmerfenster entdeckte sie etwas Schimmel und an den Fenstern Feuchtigkeit – merkwürdig, dass sie alle "Stellen" bereits kannte.

Alle Mängel an Inventar und Wohnung lastete sie uns an und weigerte sich deshalb, die geleistete Kaution zurückzahlen. Das Ganze eskalierte und wir wussten keinen anderen Ausweg, als unseren Freund anzurufen, damit er uns hilft. Dieser drohte ihr dann mit einer Anzeige, da er den Eindruck hatte, sie wolle sich an uns bereichern.

Nach langem Hin und Her bekamen wir endlich unsere Kaution – bis auf 20 Euro, die sie unbedingt behalten wollte für die "Reparatur" des Küchenschrankes. Es folgte noch eine Nacht bei unseren Freunden und am nächsten Tag ging es endlich zurück nach Frankreich.

Meine Tochter hat nun doch Abstand von der Idee genommen, in Deutschland studieren zu wollen, wobei ich in diesen Bericht nichts von den Erfahrungen meiner Tochter habe einfließen lassen.

---

Dieser Text wurde dem "Narrenschiff" freundlicherweise von Troptard zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!

---

Symphonie in Müll



(Zeichnung von Otto Nückel [1888-1955], in: "Der Simpl", Nr. 8 vom Juni 1947)

Freitag, 3. Februar 2017

Musik des Tages: Starless Starlight




(David Cross & Robert Fripp: "Starless Starlight", 2015)

  1. Starless Starlight Loops
  2. In The Shadow
  3. Shine And Fall
  4. Starless Theme
  5. One By One, The Stars Were Going Out
  6. Fear Of Starlight
  7. Starlight Trio
  8. Sure Of The Dark


Donnerstag, 2. Februar 2017

Esoterische Literatur des Tages: Der Verlust


Meine esoterischen Lieblingsfeinde von "Jenseits der Realität" sind ja permanent auf der Suche nach esoterischen KünstlerInnen und graben dabei so manches verfaulte Volksmusik-Ei oder gerne auch populäre Musik vergangener Jahrhunderte ohne jeden Tiefgang aus. Ebenso gerne begeben sich Faulfuß und Konsorten aber auf die Jagd nach neuen literarischen HeldInnen und haben auf diese Weise schon für reichlich prustende Unterhaltung auf der Narrenschiffsbrücke gesorgt.

Kürzlich ist den Religioten, die sich selbst gerne "Spiris" nennen (ich verkneife mir jeden Brüllwitz dazu), ein echter Clou gelungen, denn sie haben den neuen leuchtenden Stern am deutschsprachigen Lyrikhimmel ausgemacht: "Worte – Neue Lyrik von Sabine B." - Ich empfehle die Lektüre dieser bahnbrechenden "Poesie" ausdrücklich, denn nach sieben Kästen Bier, zwei Flaschen Korn und 47 "funny cigarettes" gibt es in der Tat nichts mehr, das noch tiefgehender und ergreifender sein könnte.

Ich habe mir nun, mit etwas wissenschaftlichem Abstand, einmal die Mühe gemacht, die literarischen Heldentaten der Frau B. eingehend zu analysieren. Der Schwerpunkt lag selbstverständlich auf den ersten vier Buchstaben dieser Analyse. Dabei ist das folgende B-Plagiat entstanden, das ich der genervten Bevölkerung von Kleinbloggersdorf nicht vorenthalten mag:

Der Verlust
Für Sabine B., 2017 A.D.

Wenn der Zombie röhrend meint: "Es schmeckt!",
stellst du panisch und verzweifelt fest:
Dein Gehirn ist plötzlich, plötzlich weg!
Des Zombies grunzend' Schmatzen rülpst den Rest.

Trotzdem musst du dich nicht so furchtbar grämen,
denn letztlich ist's doch völlig einerlei,
dass dein Hirn nun im Zombiemagen 'west,
anstatt im Schädel deinen Leib zu lähmen.

Und mag der Faulfuß dich auch noch so kirren:
Schreib niemals wieder ein Gedicht, ich bitt'!
Als Zombie lebt es sich doch auch sehr nett.
Millionen Esos können sich nicht irren!



"Brains! Brains! I want your brain!"

Mittwoch, 1. Februar 2017

Philosophie heute: Weltschmerzgeschwurbel und Eigenverantwortungspropaganda


Es ist ja stets mit unfreiwilligem Slapstickhumor verbunden, wenn heutige kapitalistische Massenmedien sich dem Thema Philosophie widmen - die Beispiele dafür sind längst Legion (ich erinnere nur ungern an Peter Schlotterschwanz). Dass es aber ebenfalls in oberflächliche, geradezu lächerliche Küchentischweisheiten ausartet, wenn beispielsweise Zeit Online ein Interview mit einer Philosophieprofessorin bringt, läutet eine neue Stufe der Dämlichkeit ein, die sich gewaschen hat.

Die Rede ist von diesem Interview mit Prof. Sabine Döring, die "Praktische Philosophie" an der Uni Tübingen lehrt. Ich weiß freilich nicht, wie authentisch bzw. vollständig der wiedergegebene Text ist - was da aber zu lesen ist, muss jedem Geisteswissenschaftler und jedem denkfähigen Menschen aufgerollte Fußnägel und blutende Augen bescheren. Gerade zum Thema "Weltschmerz", das in Untergangszeiten wie heute nicht ohne Grund sehr aktuell ist, bekommt man dort hanebüchenen Unsinn zu lesen, der - wäre es nicht so ernst - karnevalistische Lachsalven zur Folge hätte. Döring vergleicht den "Weltschmerz" der Literatur der Jahrhundertwende, also ebenfalls einer Zeit des kapitalistischen Unterganges, einfach mal mit einer persönlichen "Spinnenphobie" [sic!] und negiert damit ganze Jahrzehnte der literaturwissenschaftlichen Erkenntnis gänzlich. Man könnte tonnenweise Regalwände aus literaturwissenschaftlichen Bibliotheken in die Müllverbrennungsanlage kippen, nähme man diesen grotesken Unfug ernst.

Des weiteren offenbart die Dame ein äußerst elitäres, geradezu faschistoides Menschenbild, wenn sie sagt:

Ob ich die Welt als unzulänglich erlebe oder nicht, hängt davon ab, welche Wünsche, Ziele oder Bedürfnisse ich habe. Ein Handwerker, der glücklich ist, wenn die Ziegel, mit denen er das Dach decken will, pünktlich ankommen, wird weniger Weltschmerz erleiden als jemand, der sich dafür verantwortlich fühlt, wie die Welt sich insgesamt entwickelt.

Ich weiß nicht, wie ich eine solche widerliche Aussage kommentieren soll, ohne ausfällig zu werden. Ich versuche es mal so: Eine Professorin, die im Rahmen des bestehenden und nicht angetasteten Systems bis zu ihrem Lebensende ohne materielle Sorgen leben darf, verspürt gewiss weniger Weltschmerz als ein prekärer Kollege, der sich mit unterbezahlten Zeitverträgen und zusätzlichen Taxischichten mühsam über Wasser zu halten versucht und von Monat zu Monat hangelt. Die Dame scheint aus ihrer eigenen rosafarbenen Filterblase nicht herauszukommen, wenn sie nachzudenken versucht.

Selbstverständlich darf in diesem bizarren Reigen auch die heute gängige Proklamation der "Eigenverantwortung" nicht fehlen. Frau Professor Dr. phil. meint:

Ich würde umgekehrt aus einer liberalen Tradition sagen, man macht es sich zu einfach, wenn man sagt: Jetzt ist die Politik verantwortlich dafür, dass eine Zukunftsperspektive entwickelt wird. Da sind alle verantwortlich. Wir sollten nicht in so eine Versorgungsmentalität verfallen.

Wer sich an dieser Stelle noch nicht erbricht, hat nicht verstanden, was die Frau da von sich gibt. Merkel & Co. sind entlastet - stattdessen haut die Olle den BürgerInnen, insbesondere natürlich den Ärmsten, den Kranken, den Alten, den Schwächsten den mit rostigen Nägeln gespickten Baseballschläger mit Schmackes in die Fresse, dass das Blut nur so spritzt. Das ist praktische Philosophie in Kapitalistan 2017.

Es versteht sich von selbst, dass ein solches Interview nicht ohne einen "Alles ist gut"-Höhepunkt auskommen kann. Den hebt sich die Schlägerin philosophiae aber bis zum Schluss auf, damit er richtig wirkt und keiner mehr aufstehen kann, um leise "Aber ..." oder gar "Nein" zu sagen:

Ich glaube, Weltschmerz wäre zum Teil schon therapiert, wenn man anerkennen würde, dass Prozesse wie Globalisierung, Digitalisierung oder Massenmigration zwar unaufhaltsam sind, wir sie aber durchaus steuern können. Wir sind nicht hilflos ausgeliefert. Wenn diese Ohnmacht wegfiele, wenn wir uns selber wieder ganz im Sinne der Aufklärung als autonome Individuen wahrnähmen, die eine gewisse Gestaltungsmacht haben. Und indem wir uns andererseits aber auch gleichzeitig klarmachen, dass unser Gestaltungsspielraum Grenzen hat und Antworten immer nur vorläufig sind. Wer erkennt, dass bestimmte Gefahren und Schmerzen unvermeidbar sind, muss nicht an Weltschmerz leiden.

Nachdem ich dieses unsägliche Interview gelesen hatte, beschloss ich, mich sinnlos zu betrinken, um dem aufklärerischen Weltschmerz in mir einen größeren Raum zu verschaffen, den er wahrlich verdient - leider scheiterte das an nicht vorhandenen Alkoholmengen. Vielleicht fahre ich demnächst mal nach Tübingen und hole das im Hörsaal der Frau Döring nach. Möglicherweise kann ich dann mit dieser Dame auf demselben intellektuellen Niveau diskutieren.

---

Weltangst



(Zeichnung von Alfred Kubin [1877-1959], in "Simplicissimus", Heft 4 vom 22.04.1934)

Dienstag, 31. Januar 2017

Die missverständlichen Kapazitätsgrenzen der Frau W.


Ein Gastbeitrag von Arbo Moosberg

Der Umstand, dass es in der letzten Zeit hier im Blog etwas ruhiger war, sollte nicht drüber hinwegtäuschen, dass es nichts zu schreiben gegeben hätte. Tatsächlich hat mich im letzten Jahr vor allem die Debatte über die Äußerungen von Sahra Wagenknecht umgetrieben. Leider hatte ich arbeitsbedingt wenig Zeit, dazu etwas zu schreiben. Das will ich nun nachholen.

Mir ist natürlich bewusst, dass alle, die nicht sonderlich von einer "sozialen" Politik angetan sind, jede Unstimmigkeit aus dem "linken" Lagen freudig aufgreifen, um eben eine Partei, die auf eine "soziale" Politik hinwirken möchte, zu diskreditieren. Aber eingedenk dieses teils sehr offensichtlichen Umstands stört mich ehrlich gesagt mindestens ebenso, wie unkritisch und polarisiert die Debatte auch von "linker" Seite geführt wird, ganz so, als ob völlig auszuschließen sei, dass Wagenknecht selbst ziemlich weit daneben greift. Offen gestanden finde ich manche ihrer Argumente ziemlich fragwürdig und bisweilen auch dreist in dem Versuch, Leute wie mich für dumm zu verkaufen.

Seitens Wagenknechts heißt es dann vereinzelt, sie hätte sich "unglücklich" (offenbar aber nicht falsch) ausgedrückt, es wären Missverständnisse entstanden. Komisch nur, dass diese Missverständnisse in einem bestimmten Kontext ziemlich häufig und geradezu systematisch vorkommen. Mely Kiyak bringt das wie folgt auf den Punkt:

Sahra Wagenknecht fühlt sich missverstanden. Ausgerechnet sie, deren Popularität sich auch aus ihrer Gabe speist, komplizierte ökonomische Verhältnisse talkshowgerecht zu servieren. Bei einem Thema wie Bankenregulierung hat sie bislang nie damit kämpfen müssen, dass jemand sie falsch versteht. Ihre Einstellung zur Riesterrente kann sie ebenfalls in einer halben Minute präsentieren. Das Verzocken der Renten auf den Kapitalmärkten über Mario Draghi und die EZB ist schon fast ein geflügeltes Wort. Nichts davon musste Sahra Wagenknecht jemals korrigieren. Nie fühlte sie Erklärungsbedarf. Das Ganze noch einmal in anderen Worten erklären? Niemals! (Mely Kiyak, ZEIT, 3.08.2016)

Gastrecht und Silvester

Nehmen wir die Debatte um die Silvester-Nacht in Köln 2016: In diesem Zusammenhang sprach Wagenknecht davon, dass jene, die ein Gastrecht missbrauchen, dieses verwirkt hätten (siehe z.B. taz, 13.01.2016). Ein Gastrecht ist nun aber eine eher informelle Idee, dazu gibt es kein Gesetz. Was es gibt, das ist ein Asylrecht, das als universelles Menschenrecht gilt. Und genau dort liegt der rhetorische Trick: Das "Gastrecht" sollte als "Asylrecht" gelesen und verstanden werden, ohne auch nur Letzteres auszusprechen. Auf diesem Wege ließ sich die Einschränkung eines universellen Menschenrechts fordern, ohne es direkt auszusprechen.

Der Ehrlichkeit halber ist aber darauf hinzuweisen, dass diese Wortwahl in der Partei "Die Linke" als "unglücklich" empfunden (RND, 8.08.2016) wurde, was Wagenknecht dann in einem Interview im Sommer 2016 einräumte, wobei sie auch betonte, diese Wortwahl nicht mehr verwenden zu wollen (ZEIT, 4.8.2016).

Kapazitätsgrenzen

Wäre die Diskussion um die Silvesternacht ein Einzelfall, dann könnte ich sagen "Schwamm drüber". Tatsächlich wilderte Wagenknecht angesichts der Flüchtlinge zusätzlich im rechtspopulistischen Spielfeld, als sie von "natürlichen Kapazitätsgrenzen" sprach und vor einem "Zerreißen der Gesellschaft" warnte, sollte noch eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen (RND, 14.01.2016, und RND, 14.01.2016).

Auch hier wieder ein rhetorischer Kniff, der aber reichlich plump als Spitzfindigkeit daherkommt. Natürlich hatte Wagenknecht nicht von "Obergrenzen", sondern von "Kapazitätsgrenzen" gesprochen (LVZ, 17.03.2016). Lassen wir das mal so im Raum stehen, dann bleibt das Sprechen von "Kapazitätsgrenzen" dennoch problematisch und zwar aus mindestens zwei Gründen.

Erstens: Wenn Wagenknecht von Kapazitätsgrenzen sprach und davon, dass die Flüchtlingsbewegungen die Gesellschaft auseinanderreißen könnten, mag das gerne als "Realismus" ausgelegt werden (übrigens auch eine Strategie der Neu-Rechten und Rechts-Populisten: man/frau sieht die "Realität", die anderen sehen sie nicht oder wollen sie nicht sehen). Stillschweigend werden aber mit diesem "Realismus" die vorherrschenden sozialen Verhältnisse einfach so akzeptiert (inkl. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit). Dabei hätte es Wagenknechts Aufgabe als "linke" Politikerin sein können, darauf hinzuweisen, dass die Menschen, die nach Europa kommen, letztlich ebenso "Globalisierungsverlierer" sind wie die Menschen, die bereits hier am Rande der Gesellschaft leben. Natürlich steigt mit mehr Menschen auch die Zahl der Erwerbsfähigen, so dass die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zunimmt. Aber davon sind alle betroffen. Das hätte eine "linke" Politikerin auch zum Anlass nehmen können, um an die Solidarität zu appellieren, neue Allianzen und Möglichkeiten für sozialen Protest aufzuzeigen und auf diese Weise die bestehenden Ängste abzubauen. Stattdessen steigt sie mit "Kapazitätsgrenzen" in die Diskussion ein, mit der die Frontstellung "Wir gegen die" bedient wird und damit auch noch in eine völlig falsche Richtung: Denn die eigentlichen Probleme liegen doch in der Vernachlässigung und im Schleifen des Sozialstaats.

Es ist nicht so, dass Wagenknecht diese Aspekte völlig ignoriert hätte - sie könnte immer darauf verweisen, dass sie auf den mangelnden sozialen Wohnungsbau, die Situation der Flüchtlinge vor Ort usw. aufmerksam machte. Aber das steht dann eben neben provokativen Äußerungen, die ein konfrontatives "Wir gegen die" bedienen, statt Solidarität zu fördern und Ängste abzubauen. Anders formuliert: Wenn es mir darum geht, soziale Spaltung zu vermeiden, dann sollte ich doch alles vermeiden, was einer "Wir gegen die"-Rhetorik Nahrung gibt. Verschärft wird das dadurch, dass sie ganz klar AfD-Argumente und -Motive bedient, wenn sie z.B. meint, es müsse das Ziel sein, dass Flüchtlinge wieder heimkehren (RND, 14.01.2016). (Kritisch lässt sich hier anmerken, dass in dieser Forderung ein Mangel an Empathie für Flüchtlinge aufkommt: Können wir überhaupt verlangen, dass die Menschen wieder dorthin zurückkehren, wo sie herkommen? Existiert diese "Heimat" denn überhaupt noch? Ich kann mir jedenfalls gut vorstellen, dass es manchen Flüchtlingen aus verschiedenen Gründen nicht zuzumuten ist, wieder zurückzukehren - selbst dann, wenn dort Demokratie, Rechtsstaat usw. Einzug halten.)

Zweitens ist die Debatte um Kapazitätsgrenzen schlicht unnötig – außer natürlich für die, die am "rechten Rand" fischen wollen. Zwar wird wohl niemand bestreiten, dass es theoretisch "Kapazitätsgrenzen" für die Aufnahme von anderen Menschen geben kann. Aber sind wir denn schon an einer solchen Grenze angelangt? Dass Wagenknecht immer wieder an der Behauptung festhält, es gebe "natürliche Kapazitätsgrenzen", wirkt reichlich absurd angesichts jener Länder, die gemessen an ihrer Einwohnerzahl, ihrer im BIP gemessenen Wirtschaftsleistung usw. viel mehr Flüchtlinge z.B. aus Syrien aufnehmen als Deutschland und dabei wohl noch viel eher an Grenzen stoßen müssten (Beispiel Libanon via ZEIT, 7.05.2015). Interessant ist in diesem Kontext, was die UNO-Flüchtlingshilfe unmissverständlich feststellt:

Selbst in Zeiten stark ansteigender Zahlen sind Flüchtlinge global sehr ungleich verteilt. Reichere Länder nehmen weit weniger Flüchtlinge auf als weniger reiche. Knapp neun von zehn Flüchtlingen (86 Prozent) befanden sich 2015 in Ländern, die als wirtschaftlich weniger entwickelt gelten. (UNO-Flüchtlingshilfe, Globale Trends – Jahresbericht 2015).

Nun kommt also eine als "links" bekannte Spitzenpolitikerin und spricht ohne Not (!) über hypothetische Kapazitätsgrenzen von reicheren Ländern wie Deutschland. Dass in diesem Kontext gerade linke Politikerinnen und Politiker ein ziemliches Problem mit den entsprechenden Äußerungen von Wagenknecht haben, das ist mehr als verständlich.

Fazit

Es handelt sich bei Wagenknechts Äußerungen also um alles andere als bedauerliche Einzelfälle. Dahinter steckt etwas Systematisches. Die konkrete Strategie besteht offenbar darin, zunächst entsprechende Äußerungen zu tätigen, sie danach zu relativieren und/oder als "missverstanden" darzustellen. Das war übrigens bereits bei Wagenknechts Mann Oskar Lafontaine schon so, als er den Begriff "Fremdarbeiter" benutzte, ihn danach erst verteidigte und sich davon distanzierte (Standard, 18.06.2005; Stern, 9.10.2005). Wagenknecht verfährt ähnlich und verliert sich in Spitzfindigkeiten wie die Diskussion um "Kapazitätsgrenzen" zeigt, bei der aber für jeden und jede sichtbar ist, dass Wagenknecht damit an die "Obergrenzen-Debatte" anschließen will. Es kommt nicht von ungefähr, wenn sie mit diesen Äußerungen auch Beifall von der AfD erhält.

Im Übrigen hat Wagenknecht selbst gesagt, dass sie auch diejenigen erreichen will,

die zurzeit aus Frust, aus Verärgerung über die bisherige Politik darüber nachdenken, AfD zu wählen, aber nicht, weil sie deren Parolen unbedingt gut finden, sondern wirklich nur, weil sie sagen: "Ich will deutlich machen, dass sich was ändern muss" (zitiert nach Stern, 7.01.2017).

Das ist natürlich etwas schräg. Denn wenn es nur danach ginge, "Protest" abzuholen (es muss sich etwas ändern), dann könnte Wagenknecht das auch mit "linken" Parolen machen. Da sie aber auf Wechselwählerinnen und Wechselwähler der AfD abzielt, muss (!) sie sich begrifflich in die Nähe der Neu-Rechten und Rechtspopulisten begeben.

Angesichts der Kritik sieht sich Wagenknecht einer Kampagne ausgesetzt (Tagesspiegel, 8.01.2017; siehe auch Telepolis, 10.01.2017). Die NachDenkSeiten (NDS) springen ihr zur Seite und schreiben von einer "Neujahrskampagne" (NDS, 9.01.2017). Kein Wunder, gehen die NDS doch schon länger von einer Kampagne gegen Wagenknecht aus (z.B. 28.07.2016 oder 30.09.2016, hier zur Nominierung der SpitzenkandiatInnen des Bundestagswahlkampfs 2017) und sehen "Die Linke" von außen gesteuert, fremdbestimmt oder als Opfer einer antideutschen Kampagne.

Nun kann es tatsächlich sein, dass Wagenknecht mit einer Kampagne konfrontiert ist. Und natürlich will ich auch nicht unterschätzen, was z.B. seitens antideutscher Kritik regelrecht ins Kraut schießt. Aber erstens heißt das nicht, dass jede Kritik an ihr automatisch unberechtigt sei. Und zweitens liefert sie selbst reichlich Material für die Kritik an ihr. Letzteres ist eine zwangsläufige Konsequenz daraus, dass sie die AfD-Wechselwähler erreichen will. Damit steht sie aber zielsicher bestimmten als "links" angesehen Grundwerten entgegen.

Nun ist es so, dass Wagenknecht auch oft Dinge sagt, die vernünftig klingen und die durchaus in den Kanon einer linken Politik passen. Nur ist das schon seit längerer Zeit in einen Kontext eingebettet, der mich nachdenklich stimmt. Mag am Anfang noch das Bild einer taffen, intellektuellen und versierten linken Politikerin im Raum gestanden haben, sieht es derzeit für mich danach aus, dass Wagenknecht schlicht auf ihren eigenen politischen Vorteil aus ist, indem sie u.a. rechtspopulistischen Trends hinterherjagt. Dabei scheint sie den eigentlichen linken Werten immer mehr entgegen zu stehen, was in der Folge die entsprechende Kritik in der Linken selbst auslöst. Das hat zunächst nichts mit Kampagne oder Verschwörung zu tun (obwohl diese Kritik dafür genutzt werden kann), sondern schlicht mit dem Umstand, dass Wagenknecht knallhart auf Wahlstimmenmaximierung aus ist und dabei das als "links" angesehene Wertefundament verlässt.

Vermutlich werden die einen oder anderen ähnliche Gedanken mit sich herumtragen. Es ist schlicht so, dass es irritiert und misstrauisch macht, wenn zwischen "linken" Forderungen und dem "rechten" Spielfeld herumgewuselt wird. Eine soziale Politik möchte ich ungern von Leuten umsetzen lassen, die eine "Wir gegen die"- und nationale AfD-Rhetorik bedienen.

Ob Wagenknecht mit ihrem Kurs tatsächlich Erfolg hat und viele Wahlstimmen abholt, das werden wir sehen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass das nach hinten losgeht. Ob das dann aber im erfolgreichen Falle zu einer "linken" Politik führt, das steht für mich ebenfalls in den Sternen. Jedenfalls erwarte ich von ihr keine "linke" Politik. Aber ich lasse mich auch gerne überraschen.

---

Dieser Text erschien zuerst im Blog "Krautism" und wird hier mit freundlicher Genehmigung des Verfassers wiedergegeben.

---

Deutsche Demokratie


"Ein hübsches Kind, von vorn geseh'n -
Aber hinten der Zopf ist gar nicht schön!"

(Zeichnung von Helmut Beyer [1908-1962], in: "Der Simpl", Nr. 9 vom August 1946)

Montag, 30. Januar 2017

Trump: Nur peinlich oder auch gefährlich?


Zu Donald Trump gäbe es sicherlich eine Menge zu sagen - zwei Blogger aus heimischen Gefilden haben das in den vergangen Tagen schon versucht und sind dennoch zu völlig unterschiedlichen Schlüssen gelangt. Meine eigenen Gedanken zu dieser zweifelsfrei peinlichen Gestalt behalte ich vorerst für mich, da meine Meinungsbildung mangels belastbarer Informationen noch nicht abgeschlossen ist und ich mich ungern verfrüht aus dem Fenster lehne.

Epikur vom Zeitgeistlos-Blog meint:

Eigentlich wollte ich nichts zu dem Trump-Medien-Hype schreiben, weil mich schon bei der US-Wahl diese völlig übertriebene, geschichtsvergessene und zugleich naive Analyse aus allen politischen Lagern entsetzt zurückgelassen hat. Aber es hört scheinbar nicht auf und ich muss mir mal Luft machen. Zunächst einmal: die Macht von US-Präsidenten wird immer wieder völlig überschätzt.

Stefan vom Blog der Fliegenden Bretter findet hingegen:

Faszinierend, wie auch dieses Mal der Weg in den Faschismus gepflastert ist mit den Sätzen: "Nun lass' ihn doch erst mal machen, vielleicht wird es gar nicht so schlimm." und: "Ich bin kein [beliebige Minderheit] und habe auch nichts zu verbergen, ich habe also nichts zu befürchten." Doch, natürlich habt ihr, ihr braven Bürgersleut', die ihr euch qua Anpassen und Kuschen einmal mehr irgendwelche Vorteile erhofft! Ihr seht nur den Hammer mal wieder nicht auf euch zufliegen. Glaubt ihr, ein Staatsoberhaupt, das sich offen für Folter ausspricht, belässt es im Zweifel bei Moslems und Mexikanern? Weil ihr immer so brav alles mitgemacht habt? Glaubt ihr ernsthaft, eure Daten, die ihr seit Jahren so treuherzigdoof an Googlefacebookamazon hergebt, werden niemals gegen euch verwendet werden? Träumt weiter.

Ich kann beiden Argumentationen mit gutem Gewissen folgen, will aber auch dritte oder vierte Varianten nicht ausschließen - das muss bzw. wird die nahe Zukunft zeigen. Die Propaganda der hiesigen Presse ("Trump ist mindestens so böse wie der Teufel oder - was in Kapitalistan dasselbe bedeutet - Putin") korrelliert hier mit der Propaganda der "alternativen Medien" ("Gegen Trump wird kampagnenartig interveniert") in einer infamen Weise, die ich nur noch befremdlich finden kann. Dabei ist es auffallend, dass ausgerechnet die Massenmedien, die das offen faschistische Gedankengut der kapitalistischen Bande stets kritiklos verbreiten, hier gegen den Trump-Faschismus argumentieren, während "alternative" Medien, die sich der "linken Sache" verpflichtet fühlen, gerade einen erzkapitalistischen, faschistoiden Menschenfeind wie Trump gerne verharmlosen.

Ich möchte hier, wie gesagt, beide Blogger, die ich sehr schätze (!), nicht diskreditieren - zumal ich mich selber oft genug weit aus dem Fenster lehne und Dinge behaupte, die durchaus diskutabel sind. Gerade diese Diskussionen aber wünsche ich mir - und ich gehe davon aus, dass auch Stefan und Epikur sie nicht ablehnen. In Sachen Trump und der ganzen verbandelten Kloake der Mainstreammedien und enttäuschten Transatlantiker in der Politik und den Medien wird diese Notwendigkeit nun offensichtlich.

Vielleicht sind Linke sich heute - auch ohne Diskussion - zumindest in dieser Hinsicht einig:

---

Neo-Faschismus

Sie kannten niemals geist'ge Waffen
und diskutierten mit der Faust.
Sie nannten uns die Schwachen, Schlaffen
und rannten hirnlos wie die Affen,
die einst im Urwald roh gehaust.

Sie wandten an, was ER befohlen
und lösten alles mit Gewalt.
Sie spannten fröhlich die Pistolen
und sandten "dreschend" ihre hohlen
und dummen Phrasen jung und alt.

Sie brannten nieder, was im Wege,
und stachen, traten, schossen tot,
verwandten "schlagende" Belege
und bannten in ein Drahtgehege
der freien Geister Aufgebot.

Sie planten eine Herrenrasse,
gezeugt aus Kraft und Stolz und Mut,
entmannten andere zum Spaße
und bahnten sich brutal die Gasse
und wateten mit Lust in Blut!

Glaubt ihr, heut wären sie am Ende,
und dass man sie gewandelt hat? --
Sie werfen Bomben, legen Brände
und haben ihre schmutz'gen Hände
in jedem neuen Attentat.

Die alten Formen und Methoden!
Dasselbe blutige Geschäft!
Zeit wird's, dies Unkraut auszuroden.
Schlagt die Faschisten drum zu Boden,
wann, wie und wo ihr sie auch trefft!

(Heinz Hartwig, in: "Der Simpl", Nr. 3 vom Februar 1947)