Samstag, 15. April 2017

Die Geißel des bizarren Privateigentumes


Es ist immer wieder erfrischend, wenn man wieder einmal mitbekommt, welche perversen Auswüchse der groteske, kapitalistisch begründete Reichtum einiger weniger Menschen annimmt. Die lächerlichen Luxusautos, peinlichen Luxusvillen oder albernen Accessoires wie teure Uhren, "exklusive" Mode oder dicke Klunker sind ja allseits bekannt. Was zumindest mir bislang aber weniger bewusst war, konnte ich kürzlich bei n-tv nachlesen. In einem – selbstredend völlig unkritischen – Artikel im Ressort "Reise" [sic!] hieß es (man beachte den hirnschmelzenden Begriff "Upper Class" in der URL):

Wer das nötige Kleingeld hat, braucht gar nicht jeden Sommer einen neuen Ferienort zu suchen, sondern kauft sich gleich eine ganze Insel. Privatinseln sind gerade bei Prominenten beliebt. Vor allem die Karibik steht hoch im Kurs. / Eine eigene Insel – wer würde sich diesen Wunsch nicht gerne erfüllen? David Copperfield, Richard Branson, Leonardo DiCaprio und Mel Gibson sind reich. Bei der Suche nach einem angemessenen Urlaubsziel geben sie sich nicht mehr mit "normalen" Resorts zufrieden.

Die Antwort kann ich gleich geben: Ich hege einen solchen Wunsch nicht. – Inzwischen reicht den Bekloppten ein "eigenes Grundstück" schon nicht mehr aus, um sich vom gemeinen Pöbel ausreichend abzugrenzen – es muss gleich eine ganze Insel sein. Welcher Irre ist bloß auf die Idee gekommen, irgendein Teil dieses Planeten könne irgendwem "gehören"? Die "Privatinsel" ist die Vollendung dieser Perversion, die mich an der Intelligenz dieser Spezies einmal mehr stark zweifeln lässt.

Durch den Text habe ich nebenbei erfahren, dass sogar ein gruseliger, sal­ba­dernder Schleimbolzen wie Jörg Pilawa, der einzig durch – notfalls vom Gerichtsvollzieher eingetriebene – Zwangsgebühren zum Multimillionär geworden ist, ohne je etwas Sinnvolles dafür getan zu haben, zu den Besitzern einer "Privatinsel" gehört:

Hier, mitten in der rauen Wildnis Nova Scotias [in Kanada], fand auch Jörg Pilawa sein Glück. "Es gibt dort den Atlantik, Wale, Wälder, Wildnis – die ganzen Ws eben", erklärte der deutsche TV-Moderator 2009 seine Entscheidung, "Hunt Island" [für 250.000 €] zu kaufen.

Solche Menschen scheren sich nicht darum, dass sie zufällig (!) zu den sehr wenigen Profiteuren eines grotesken Systems gehören, das die überwältigende Mehrheit der Menschen ins tiefste Elend stürzt. Sie hocken lieber – vermutlich einige Ferienwochen oder -monate pro Jahr – auf ihrer "Privatinsel" und genießen das dekadente, semifeudale Leben in vollen Zügen, während anderswo zehntausendfach Menschen verhungern oder millionenfach in der Armut versinken. In der übrigen Zeit wird das Etablissement natürlich gewinnbringend vermietet. Arme haben selbstverständlich keinen Zutritt. – Mich widert das so an.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Der Irrsinn des Privatbesitzes (insbesondere von Land) gipfelt in der fast schon satirischen "Geschäftsidee", sogar Grundstücke auf dem Mond zu verhökern. Es soll tatsächlich Menschen geben, die dafür an irgendeinen Hampelmann Geld bezahlen und sodann allen Ernstes der Meinung sind, ihnen "gehöre" nunmehr ein Stück des Mondes. – Ich persönlich würde mich sehr gerne an der Finanzierung der riesigen Raketenflotte beteiligen, mit der sämtliche KapitalistInnen final zu eben jenem Mond geschossen werden, damit das Leben auf der Erde endlich, endlich halbwegs erträglich und friedlich wird.

Wie heißt es doch so treffend – mit gar lieblicher Stimme vorgetragen – am Schluss des jüngsten "Songs des Tages": "All is lost but hope". So ist es.

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Bevorzugte Klasse


"Unsereiner hat's eben doch gut: Man macht 'inneren Wiederaufbau' und braucht nicht zu schippen!"

(Zeichnung von Hannes König [1908-1989], in: "Der Simpl", Nr. 6 vom Juni 1946)

Freitag, 14. April 2017

Song zum Karfreitag: Our Wings Are Burning




(Virgin Black: "Our Wings Are Burning", aus dem Album "Elegant ... and Dying", 2003; Single version)

We fell in love, with dust in our lids
And the pain of a severed soul
We lowered our heads and lifted our face
Placed our bodies in celebration

On the lips of a mutilated man
I carry the bones of a deformed child
And my own polluted breath
I speak the old man's words

In a persuasive eloquence
Bless the dust that hides
This unlamented head
On the crest of fire

Our wings are burning
How glorious the pain
And the ways of God
Shriek out of tune

All is lost but hope
On the crest of fire
Our wings are burning
To the wind's anthem

All is lost but hope


Mittwoch, 12. April 2017

Zitat des Tages: Ein Verbummelter


Eine Stunde war er umhergeirrt, dann hatte sich sein Sinnen zum Entschluss gereift. An alles hatte er gedacht, tausend bunte Bilder waren vor ihm aufgestiegen, seine Jugend, seine Zukunft, seine Eltern, aber jedes hatte seine Tat so gewendet, dass es ihm nur ein Wegweiser wurde, der seine führende Hand zum letzten dunklen Pfad hinstreckte. Und unwillkürlich hatte sich sein Schritt beschleunigt, und er begann zu laufen. Noch tauchten kleine Hoffnungen und vage Vermutungen in blitzartiger Raschheit vor ihm auf, aber er hielt nicht inne, sondern lief und lief. Die Ohren dröhnten ihm vom Donnern der Wagen, vom Poltern der Straße, vom Surren der Leute, die achtlos und unwissend an ihm vorüberglitten, und von seinen eigenen hastigen Schritten. Immer rascher lief er, wie um jeden Gedanken zu betäuben, und sein ganzes Gehirn summte nur einen Satz: Nur rasch, nur rasch ... Alles klang im Rhythmus dieser Worte und verströmte zu einem wirren tosenden Lärm, der ihn stumpf und unempfindlich machte. So kam er zur Brücke. Dort blieb er eine Minute stehen, aber nicht aus Angst vor der Tat, sondern weil seinen zitternden Armen die Kraft fehlte, sich übers Geländer zu schwingen. Einmal noch tauchte die Erinnerung an sein zerstörtes Leben auf, und wie ein jäher Ruck durchbebte es schon seinen Körper. Mit einem Schwung war er über der Rampe und sauste blitzartig hinab in die graue Flut ...

(Stefan Zweig [1881-1942]: "Ein Verbummelter", u.a. in: "Der Amokläufer. Sieben Novellen einer Leidenschaft", Fischer 1984; Erstveröffentlichung 1901)



Anmerkung: Bei dem obigen Text handelt es sich lediglich um den letzten Absatz aus Zweigs Kurzgeschichte, in der zuvor knapp, aber eindringlich von den Ängsten, Nöten und unausweichlichen Zwängen jenes Schülers berichtet wird, durch die er von Lehrern, Eltern, MitschülerInnen und letztlich der kompletten verlogenen "Leistungsgesellschaft" zu dieser tragischen Tat getrieben wird.

Montag, 10. April 2017

Die verkleisterte Wirklichkeit: Bildung und ihre mediale Negation


Mein Lieblingskolumnist Stefan Gärtner hat wieder einmal in die Vollen gehauen und in seinem sonntäglichen Text zwei Dinge miteinander verbunden, die zunächst nicht sonderlich viel miteinander zu tun haben: Das ewige Krimi-Gedöns und die Ruinen der kapitalistischen Bildung.

Gärtner resümmiert:

Aber seit Wochen laden im örtlichen Kindergarten die Grundschulen per Aushang zu "Schnuppertagen" und "Hospitanzen", und zwar fürs Schuljahr 2018/19, mit Bio-Essen hier und Projekt-Tamtam da, und im "Tatort" heute abend geht es um Flüchtlinge. Also, nicht eigentlich um Flüchtlinge, denn "der Sonntagabendkrimi ist nun mal ein Unterhaltungsformat" (SZ). Und die Schule der Leistungsgesellschaft eben nicht.

Man lese den gesamten Text, um dem zugrundeliegenden Gedanken auf die Spur zu kommen.

Was hierzulande als "Bildung" verkauft [sic!] wird, ist letzten Endes nichts weiter als die schnöde Zurichtung junger Menschen auf die kapitalistische Ausbeutungsmaschine. Das war indes nie anders: Es ist sicher kein Zufall, dass gerade zur Jahrhundertwende vor 100 Jahren die Literatur geradezu überquoll, wenn es um die Darstellung der Schule ging. Das Schulkapitel aus Thomas Manns Roman "Buddenbrooks" ist dafür ebenso bezeichnend wie die Kurzgeschichte "Ein Verbummelter" von Stefan Zweig, der Roman "Unterm Rad" von Hermann Hesse oder das Drama "Frühlings Erwachen" von Frank Wedekind.

Der militärische Drill von damals ist heute einem nicht minder ekelhaften Leistungsgedanken gewichen. Die neoliberale Zerstörung der Hochschullandschaft in Deutschland ist ein beredtes Beispiel dafür. Heute gilt es, Kindern bereits im Kindergarten und in der Grundschule einzubläuen, dass "Konkurrenz" und das "Eigenwohl" die Ziele des Lebens seien, während Toleranz, Solidarität und ähnliche Verwerfungen unbedingt zu vermeiden sind. Es ist kaum zu fassen, aber Kapitalisten denken wirklich so. Im "goldenen Westen" ist diese Prämisse Gesetz.

Was hat das nun mit dem allgegenwärtigen Krimi-Gedöns zu tun? Gärtner reißt das Thema an:

Der Krimi, wie er Tag für Tag stumm wegkonsumiert wird, erklärt nichts; täte er's, würde er nicht als die Maschine zur Komplexitätsreduktion geliebt, die er ist. Er vereinfacht, was sich, ohne zu lügen, nicht vereinfachen lässt. Er verkleistert nicht nur die Wirklichkeit, er verkleistert noch die Fähigkeit, sie zu erkennen.

Der Unsinn lässt sich kaum treffender formulieren. Dennoch reicht der Irrsinn wesentlich tiefer, denn selbstverständlich lassen sich so nicht nur kapitalistisch motivierte Straftaten wunderbar instrumentalisieren, sondern auch staatliche Überwachungsfantasien vorzüglich kolportieren. Wer hat schon Angst vor einem Axel Prahl?

Während gesichtslose "Jobcenter-" und "Ausländerbehörden"-Schergen sowie andere "Beamte" hunderttausendfach Menschen ins Elend stürzen, verfolgt die Bevölkerung lieber die boulevardesken, realitätsfernen Geschichten aus dem "Tatort" oder anderen Krimi-Serien. Dazu gibt es nichts weiter zu sagen.

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Der neueste Lustmord


"Ein Bild aus dem Familienleben"

(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 6 vom 11.05.1931)