Samstag, 10. Juni 2017

Song des Tages: This Sea




(Voltaire feat. Julia Marcell: "This Sea", aus dem Album "To The Bottom Of The Sea", 2008)

"'Twas the worst of times for tinkers like you and me.
So in search of fortune I took to the sea."

"Round my neck, a key, you said was to your heart.
Held it desperately as your ship left the dock."

I can't forget, I won't forgive this sea
For the endless hurt it gave to me.
I want to stab, I want to kill this sea.
Took you away, took you away from me.


"Silks from Singapore, a treasure from Tripoli for you.
And from Suvla Bay, I've scars for souvenirs."

"Love, your son was born. I wish you could see.
Eyes the same as yours and cries just like me."

I can't forget, I won't forgive this sea
For the endless hurt it gave to me.
I want to stab, I want to kill this sea.
Took you away, took you away from me.


"Years have passed – how many, I don't know anymore.
Lost adrift at sea, a storm comes. It's getting cold."

"I stand under moors searching a sea of blue.
And forever more, I'll wait here for you."



Anmerkung: Dazu passt wunderbar: "This Ship's Going Down" sowie "To The Bottom Of The Sea".

Donnerstag, 8. Juni 2017

Der hässliche Deutsche


"Schwarz-braun ist die Haselnuss, schwarz-braun bin auch ich"

Beim WDR war vor einigen Tagen ein nicht weiter lesenswerter, völlig unkritischer Text abrufbar, in dem es darum ging, dass von zwangsverarmten Familien in Deutschland viel zu selten Beihilfen für die ebenfalls betroffenen Kinder beantragt würden. Auf diesen lieblos zusammengeschusterten, aus journalistischer Sicht das Niveau einer schwäbischen Schülerzeitung der "Sekundarstufe I" locker unterbietenden Artikel, der, wie in diesen Massenmedien üblich, weitaus mehr Fragen offen lässt, gar nicht stellt sowie erzeugt, als er beantwortet, will ich inhaltlich nicht eingehen – da vertraue ich auf die Medienkompetenz der hier Mitlesenden.

Es ist in zwangsgebührenfinanzierten WDR-Kreisen inzwischen üblich, den LeserInnen einmal pro Woche oder seltener großzügig zu gestatten, zu einem ausgewählten Beitrag (natürlich moderiert bzw. zensiert) Kommentare abzusondern. Sie nennen das "Dialog". Welch eine bürgerfreundliche, demokratische Glanzleistung. Jedenfalls war der oben verlinkte Beitrag eine solche "Diskussionsgrundlage", die sich hier abrufen lässt: Inzwischen sind – nach acht Tagen – satte 19 Kommentare dort eingegangen bzw. freigeschaltet worden.

Der überwiegende Teil dieser Meinungsergüsse illustriert vortrefflich, wieso ausgerechnet die menschenfeindliche schwarz-gelbe Räuberbande an die Masttröge der nordrhein-westfälischen Landespolitik gewählt wurde. Nebenbei entblättert sich hier wieder einmal das allzu altbekannte Bild vom "hässlichen Deutschen", der in seinem triefenden Hass, seinem zerfressenden Neid, seiner rigorosen Bildungs- und Denkferne und seiner schier grenzenlosen Menschenverachtung und puren Dummheit fast schon legendär ist – auch wenn ganz ähnliche Horrorszenarien freilich auch anderswo in Europa und der Welt zu finden sind und dort ebenfalls krebsartig wuchern.

Hasstiraden gegen Zwangsverarmte

Ich zitiere aus diesen "Meinungen", verzichte dabei auf jedwede orthografische Korrektur und kommentiere den Sermon:

1. "Ehemals JobCenter u Sozialamt": Das Problem sind nicht die bürokratischen Hürden. Es sind die Eltern bzw. familiären Verhältnisse, die sich einen Sch.... kümmern (können / wollen). Das besorgen von Handy / Playstation mit Vertrag und Verklausulierungen klappt ja auch. Löst euch mal von der Sozialromantik das alle Eltern sich um die Kinder "kümmern", oft ist es ein Einkommensmodell, dass nur dazu dient größere Wohnungen und Beihilfen zu bekommen. Wenn man wirklich was für die Kinder tun will muss man die Eltern zwingen oder besser noch möglichst lange von zu Hause fernhalten.

Dies halte ich, wie der "Nickname" schon nahelegt, für einen dieser auftragsgenerierten Kommentare, von denen man immer wieder liest. Da finden sich auf engstem Raum so viele Vorurteile, kapitalistische Lügen und dümmlichste Unterstellungen, dass es in den morschen Balken nur so kracht. Ich fresse einen Besen, wenn das nicht von einem treuen "Staatsdiener", einer beauftragten Agentur oder gar einem für solche Zwecke eingerichteten "Robot" stammt.

2. "Thomas": Ich gehöre inzwischen schon zur Generation 50+. Als ich Kind war, gab es bei weitem nicht die staatlichen (Wohlfahrts-) Leistungen, die es heute schon gibt. Kindergeld gab es früher nicht eine müde Mark ! Von Hilfsprogrammen, staatlich geförderten "Ausflügen" konnte man damals nur träumen. Dennoch gab es früher nicht die Masse von Hilfsbedürftigen, den allgemeinen Niedergang der ganzen Gesellschaft, die Kriminalität, die Ghettos, die Verrohung, die es heute gibt. An staatlichen Leistungen kann es also nicht liegen.

Zu so viel Dummheit fällt mir nicht einmal mehr ein zynischer Kommentar ein – mit Ausnahme der Bemerkung, dass "Thomas" wohl eher zur "Generation 100+" gehören muss, sofern man seine lächerlichen Ausführungen für bare Münze nimmt.

3. "Rheinländer": In den meisten Fällen sind es die bildungsfernen Eltern, die die Angebote nicht nutzen. Oder jene mit Sprachbarrieren.

Dieser Herr ist offenbar Sozialwissenschaftler und weiß sehr genau, wovon er schreibt – woher sollte er sonst sein elitäres Wissen haben? Aber selbstverständlich sind auch diese Behauptungen hanebüchener Unsinn, der durch nichts zu belegen ist. Die völlig grotesken bürokratischen Hürden oder die schamlose Erniedrigung, die AntragstellerInnen für zehn Euro im Monat (jeweils auf sechs Monate begrenzt, dann geht das Prozedere wieder von vorne los) über sich ergehen lassen müssen, haben gewiss keinerlei Einfluss auf das Ergebnis – wie der Herr aus dem Rheinland zu wissen meint, über dessen Bildungsniveau sich anhand dieser nachgeplapperten Floskeln trefflich spekulieren lässt.

4. "Atze": Wer Geld für Tattoos, Smartphones und Oettinger ausgeben kann, der sollte auch 4,50 € für seine Kinder als Monatsbeitrag in einem Sportverein übrig haben. Für Ratenkäufe ist immer Geld vorhanden und wer kocht heute noch in bestimmten Kreisen, das wurde doch nahezu abgeschafft. (...) Dann noch ne Schachtel Kippen für schlanke 8,-€ und der Tag kann kommen. Ein wenig mehr an Eigenständigkeit und ein bisschen mehr an Bescheidenheit, würde manchem helfen.

Dieser Sprachklamauk lässt darauf schließen, dass "Atze" mit Vorliebe die BLÖD-"Zeitung" liest und/oder RTL glotzt und den dort dargebotenen Trash tatsächlich glaubt. Ähnlichkeiten mit den alten nationalsozialistischen Tiraden gegen "Asoziale", "Arbeitsscheue" und "sonstige Juden" sind sicher nur rein zufällig. "Atze" ist ein wahrer Menschenfreund, kocht gerne (aber bitte nur "BIO"), war noch nie arbeitslos und zahlt sogar seine Arztrechnungen selber, da er – ganz und gar eigenverantwortlich handelnd – dem Steuerzahler nicht "auf der Tasche liegen" will. Welch ein sagenhafter Held mit scharfem Durchblick, klarem Geist und deutscher Reinheit! Ich neige mein Haupt vor so viel verwesender, stinkender Debilität.

5. "Frank": Bisweilen beschleicht mich der Eindruck, dass je mehr Hilfe und Unterstützung für Einkommensschwache gewährt wird um so größer das Jammern und Wehklagen wird. Da bedeutet das Beantragen von Unterstützung zuviel Bürokratie (oh weh) (...). Und wer bitte bezahlt das alles? Der Depp natürlich, der mit einem Durchschnittslohn den Spitzensteuersatz abgezogen bekommt - das soll gerecht sein?

Ja, der "Frank". Ich habe lange überlegt, ob dem Knaben noch zu helfen ist und bin "frank und frei" zu dem Schluss gelangt: Nein. Wer angesichts des seit 20 Jahren andauernden sozialen Kahlschlags tatsächlich die Meinung vertritt, es werde "immer mehr Hilfe und Unterstützung" gewährt, kann nicht mehr bei Sinnen sein und nicht mehr therapiert werden. Und wer dazu noch meint, Durchschnittsverdiener müssten den "Spitzensteuersatz" zahlen – was sogar im Endstadium des Kapitalismus von der elitären Bande bislang noch nicht gewagt wurde – und noch dazu das Solidarprinzip, auf dem der gesamte (im Abbruch befindliche) Sozialstaat basiert(e), nicht einmal ansatzweise verstanden hat, dem braucht man gar kein Brett mehr vor den hohlen Kopf zu nageln, denn das hängt dort bereits felsenfest, betoniert und unlösbar verdübelt.

6. "Aufräumer": Stütze kürzen, in den Arsch treten, dann kommt er von alleine hoch, wenn das Volk nicht kuscht, den Brotkorb höher, Weg mit dem Linksblock. Deutschland ist gerecht, Schulz Geschwätz, ist Lügenerei, fallen wir nie wieder auf die Genossen rein. Wahlrecht ist Volksrecht und Volkspflicht = Arschtritt für SPD, MLPD, DKP, Linke Grüne und den anderen Gutmenschen Scheiß, Härte, Fleiß, Diszplin und Ungeduld führen zum Ziel. Befreien wir den Bund, nach dem die Sozen NRW vergeigt haben, das waren die ersten Schritte. Arsch hoch jetzt! Aufräumen

Dazu fällt mir nichts anderes mehr ein als eine respektvolle Ehrerbietung vor einem Menschen wie Georg Elser. – Weshalb dieses faschistische Affengebrüll vom WDR allen Ernstes freigeschaltet wurde, erschließt sich mir nicht – es sei denn, ich müsste dem Sender gezielte Provokation bzw. Irreführung unterstellen, welche die vorangegangen, inhaltlich nicht minder faschistoiden, dafür aber stramm systemkonformen Beiträge in ein "besseres Licht" hüllen sollen. Eine solche absurde Verschwörungstheorie täte ich allerdings niemals öffentlich kund.

Fazit: Eine Kakofonie in braun

Im "journalistischen" Teil der Systempresse wird bis auf wenige, schwer auffindbare und meist klitzekleine Feigenblätter weder der Kapitalismus generell, noch der Staatsterror gegen Millionen von Menschen und deren rigorose Zwangsverarmung thematisiert oder gar kritisiert. Im "Kommentarbereich" tummeln sich derweil braune Horden, denen eine Zeitreise ins Jahr 1933 wie eine paradiesische "Fahrt ins Grüne Braune" vorkommen muss, weil für sie dieser Staatsterror noch lange nicht weit genug geht und sie fälschlicherweise meinen, es seien nur "andere", nämlich "Asoziale", nicht aber sie selbst ebenfalls gemeint und schon ins Visier genommen. Ob dieses morbide, widerwärtige Kammerspiel der braunen Verwesung nun von Medien, politischen Parteien und/oder anderen Interessengruppen inszeniert ist oder nicht, spielt letzten Endes aber gar keine Rolle: Wichtig allein ist die Erkenntnis, dass man im Deutschland des Jahres 2017 tunlichst erneut auf gepackten Koffern sitzen und einen sehr schnellen Fluchtplan bereithalten sollte.

Mangels entsprechender Alternativen bietet sich immerhin noch der Mond als Ziel an. Deutsche Flüchtlinge sollten zuvor allerdings ihren Pass sowie alle anderen Ausweisdokumente verbrennen und sich als Österreicher oder Schweizer ausgeben – wer jemals in Sachen Asyl mit deutschen Behörden zu tun hatte, weiß nur zu genau, wieso das in untergehenden Zeiten ungemein wichtig ist.

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Hoffnungsloser Fall



(Zeichnung von Helmut Beyer [1908-1962], in: "Der Simpl", Nr. 7 vom Juli 1946)

Montag, 5. Juni 2017

Zitat des Tages: Das Leid und das Glück


Wenn man etwas schlimmes träumt, dann bedeutet das, dass man noch kämpft, dass man noch lebt. Wenn man erstmal anfängt, von schönen Dingen zu träumen, sollte man sich Sorgen machen.

(Der "namenlose Mann" in John Hillcoats Spielfilm "The Road", 2009)



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Anmerkung: Zu Flatters Frage nach der künstlerischen Gestaltung einer "lebenswerten Zukunft" merkte ich drüben an:

Ich halte die Frage, "ob es in diesen Zeiten quasi kritisch ist, eine Perspektive in der Kunst zu entwickeln, die anders wäre als niederschmetternd", für banal und wenig zielführend.

Einerseits ist das, was heute gemeinhin als "anerkannte" Kunst gilt, längst bis ins Mark durchkommerzialisiert – und zwar in einem weitaus rigoroserem Rahmen als das beispielsweise vor 100 Jahren der Fall gewesen ist. Andererseits legt diese These ja die Frage nahe, welche (gesellschaftliche, soziale, kulturelle, politische, unterhaltende, informative etc.) "Aufgabe" Kunst denn zu erfüllen habe – und schon an diesem Punkt kann ich nur noch das wallende Haupthaar heftig schütteln und muss mich gedanklich ausklinken.

Es ist aus meiner Sicht schlicht Unsinn, künstlerische Entwürfe danach zu beurteilen, ob sie – verkürzt gesagt – eher utopischen bzw. visionären oder dystopischen Pfaden folgen. Beides hat seine Berechtigung: Der visionäre Entwurf ebenso wie das dystopische Szenario, das die gegenwärtigen Zustände illustriert und – gerne auch ins Absurde – weiterdenkt. Und nebenher gibt es – das sei nur am Rande bemerkt – noch 1001 weitere Pfade, denen Kunst folgen kann, darf und bitte auch – ohne jede Einmischung von außen – soll.

Man lasse KünstlerInnen einfach machen. Anders als exemplarisch "Pelzer" meint, gibt es hier gewiss keinen "geistigen Stillstand" – der findet, wie immer, vornehmlich in der Rezeption, also in den Medien und finanzierenden Institutionen statt, ganz bestimmt aber nicht in den künstlerischen Tätigkeiten, von denen viele Menschen heute aus eben diesen Gründen gar nichts mehr erfahren.

Die eingangs erwähnte Frage ist also nicht nur redundant, sondern auch falsch: Zielführender wäre es, jedwede Kunst aus der kapitalistischen Verwertungsunlogik zu befreien, damit nicht mehr das, was "am meisten Kohle einbringt" oder politisch gerade opportun erscheint, gefördert, beworben und propagiert wird, sondern endlich wieder ein halbwegs sachlicher Diskurs über die künstlerische Qualität einsetzte.

In vergangenen Jahrzehnten gab es das zumindest rudimentär. Ich befürchte bloß, dass es dazu im Rahmen des untergehenden kapitalistischen Systemes selbstredend nicht kommen wird bzw. kann. Daran ändern auch "Rülpsfilme" nichts – wobei ich eine TV-Serie wie "The Walking Dead" nicht als "Kunst" betrachte, sie aber dennoch nicht so schlecht einschätze wie Epikur. Ein gutes Beispiel dafür ist der Film "The Road", der gänzlich ohne Zombies im herkömmlichen Sinne auskommt und die wenigen Überlebenden auf der sterbenden Erde aus reinem Nahrungsmangel zu Menschenfressern macht. Und das ist aus meiner Sicht ein äußerst künstlerischer, hervorragender Film, der an jeder Schule zum Pflichtprogramm gehören sollte, sobald es um das unsägliche Thema "Eigenverantwortung" bzw. "Eigennutz" geht.


Ergänzend möchte ich hinzufügen, dass es aus meiner selbstverständlich sehr subjektiven Sicht ein Wesensmerkmal von "guter" Kunst ist, wenn sie unablässig Salz, Schwefel oder schlimmeres in die Wunden ihrer Zeit streut. Das gilt umso mehr, wenn – wie heute – der "offizielle" Kunstbetrieb völlig korrumpiert ist und man beispielsweise in der öffentlich propagierten Musik lieber den belanglosen Volksweisen Mozarts als den drohenden Klangkulissen Mahlers lauscht – und letztere, wenn sie denn stattfinden, gar nicht mehr in einem aktuellen gesellschaftlich-politischen Rahmen interpretiert. So verliert Kunst jede Bedeutung, die sie einstmals hatte.

Es mag auch meinem persönlichen Geschmack geschuldet sein, aber mir sind aus den vergangenen 100 Jahren kaum Kunstwerke bekannt, die eine positive, visionäre Sicht auf die Zukunft zum Thema haben – diese Rolle hat fast immer nur der Kitsch der systemerhaltenden Propaganda, also der Boulevard, übernommen. Heute ist diese Verkitschung zur Perfektion gereift. Man kann das auch so formulieren, wie der in dieser Hinsicht unverdächtige Émile Zola es vor über 100 Jahren getan hat:
Das Leid ist ein großartiger Dramaturg – das Glück ist ein Stümper.

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Der Dichter, der für seine Zeitung eine Variation über "Das Glück" schreiben sollte

(Zeichnung von Franziska Bilek [1906-1991], in: "Der Simpl", Nr. 2 vom Januar 1948)